Falsche Freiheit
von Serge Halimi
Freitag, 4. September im Weißen Haus. Donald Trump thront hinter einem riesigen Schreibtisch mit mehreren Telefonen. Rechts und links davon zwei leere Katzentische für Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić und den kosovarischen Ministerpräsidenten Avdullah Hoti.
Trump in der Rolle des Friedensstifters. Er kann zufrieden sein: Gerade hat er zwei Gegner, die sich lange bekriegt haben, zu einer Vereinbarung gezwungen. Und das in einer Region, in der bisher die EU das Sagen hatte. Umso begeisterter ist Trump über seinen Coup, für den er den Friedensnobelpreis verdient zu haben glaubt – war es doch die demokratische Clinton-Regierung, die 21 Jahre zuvor Ex-Jugoslawien bombardiert hatte.
Und dann erklärt der US-Präsident plötzlich: „Serbien verpflichtet sich, in Jerusalem eine Handelsmission zu eröffnen und im nächsten Juli seine Botschaft dorthin zu verlegen.“ Präsident Vučić ist offenbar überrascht, denn die Ankündigung hat mit dem Anlass der Zeremonie, einem Wirtschaftsabkommen zwischen Belgrad und Prishtina, nichts zu tun. Er wirft einen Blick auf das Dokument, das er unterschreiben soll, dann dreht er sich verstört zu seinen Beratern um. Zu spät: Benjamin Netanjahu, offenbar besser informiert als Vučić, kann sich gratulieren.
Der Leckerbissen für Trump und seine evangelikale Wählerschaft, die sich der Kolonialisierung Palästinas verschrieben haben, bringt Vučić sogleich eine Rüge der Europäischen Union ein, der Serbien bekanntlich beitreten will. Denn die Union hat eine andere Position zur Jerusalemfrage. Ein EU-Vertreter machte sich sogar über die besorgte Mine des serbischen Präsidenten lustig, mit der Vučić auf Trumps „israelische“ Ankündigung reagierte.
Auch der palästinensische Botschafter in Belgrad äußerte sich erbost. Und der Sprecher des russischen Außenministeriums verbreitete ein weiteres Foto des Treffens in Washington, das für Vučić auch nicht gerade schmeichelhaft ist: Neben Trump sitzend wirkt er angesichts des imperialen Gehabes des US-Präsidenten wie ein Schulschwänzer, der zum Direktor zitiert wird. Drei Tage später musste Vučić seine Position zum Nahen Osten klarstellen: „Wir tun unser Bestes, um EU-Resolutionen zu entsprechen. Aber natürlich folgen wir unseren eigenen Interessen.“
Das ist leichter gesagt als getan. Als nationalistischer Serbe mit rechtsextremer Vergangenheit hegt Vučić keinerlei Nostalgie für das alte Jugoslawien. Doch dessen Präsident Tito hatte seinerzeit eine internationale Statur erworben.
Was Kosovo betrifft, so vermochte das Land zwar seine Unterordnung unter Serbien zu beenden, aber nur um eine Kolonie der USA zu werden. Es ist das übliche Dilemma der Nationalisten: Wenn sie mit Völkern brechen, die ihnen geografisch und kulturell nahe sind, gibt es die „Unabhängigkeit“ oft nur um den Preis der Unterordnung unter ferne Mächte, von denen sie mit Verachtung behandelt werden. Innerhalb ihres kleinen Lands sind sie Autokraten, doch außenpolitisch werden sie zu Vasallen.⇥Serge Halimi