13.08.2020

Antirussische Kriegslobby

zurück

Antirussische Kriegslobby

von Serge Halimi

Die 18-jährigen US-Soldaten, die heute zum Einsatz in Afghanistan aufbrechen, waren bei Beginn dieses Krieges noch nicht geboren. Dabei hatte Donald Trump schon 2012 über Twitter verkündet: „Es ist Zeit, Afghanistan zu ver­lassen.“ Doch ob er den Abzug, anders als Barack Obama, bewerkstelligen wird, ist keineswegs ausgemacht.

Audio: Artikel vorlesen lassen

Jeder Versuch, die US-Armee aus einem Land abzuziehen, sei es aus Syrien, Libyen, Korea oder auch Deutschland, löst in Washington ein heftiges Säbelrasseln aus. „Die Russen kommen, die Russen sind da!“, lautet der Schlachtruf der Kriegslobby. Die Militärausgaben der Vereinigten Staaten sind mit 738 Milliarden Dollar im Jahr 2020 mehr als zehnmal so hoch wie die Russlands, aber sobald die russische Gefahr beschworen wird, sind Republikaner und Demokraten plötzlich in seltener Eintracht mobilisiert – und können auch mit einem zustimmenden Leitartikel in der New York Times rechnen.

Diese Zeitung berichtete am 26. Juni dieses Jahres unter Berufung auf CIA-Quellen, Russland habe afghanischen Aufständischen ein Kopfgeld für getötete US-Soldaten angeboten. Das erinnert uns an die maßgebliche Rolle, die das New Yorker Blatt im Vorfeld des Irak­kriegs von 2003 gespielt hat, als es die Lüge verbreitete, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen. Die antirussische Fixierung dieser großen liberalen Zeitung springt übrigens sofort ins Auge, wenn man auf ihrer Website die Suchbegriffe „Russia“ oder „Putin“ eingibt.

Der Afghanistan-Scoop – an dem der New York Times nur acht Tage, nachdem sie ihn ausposaunt hatte, Zweifel zu kommen schienen – wirft weitere Fragen auf. Wem nützt diese „Infor­ma­tion“ zu einer Zeit, in der der Rückzug der letzten US-Truppen schon eine ausgemachte Sache zu sein schien? Wie können sich die USA darüber empören, dass einer ihrer erklärten Gegner den afghanischen Aufständischen hilft, wo doch ihr Verbündeter Pakistan seit Langem das Gleiche tut? Und wo sie selbst zwischen 1980 und 1988 den Mud­schaheddin für ihren Krieg gegen Moskau hochmoderne Waffen ­lieferten, mit denen tausende ­sowjetischer Soldaten getötet ­wurden?

Und wie lässt es sich erklären, dass die New Yorker Zeitung es sich nicht nehmen ließ, detaillierte und bewegende Geschichten über drei Marines zu publizieren, die angeblich Opfer des „russischen Kopfgelds“ wurden – der erste hatte einen Schnurrbart und machte Bodybuilding, der zweite war ein „Star Wars“-Fan, der dritte liebte seine drei Töchter –, aber in ihrem ersten Bericht mit­zu­teilen „vergaß“, dass ein anderer US-Geheimdienst, die NSA, dem CIA-Knüller keinen Glauben schenkte?

Dennoch verwies der Militärausschuss des Repräsentantenhauses – mit einer breiten Mehrheit von demokratischen und repu­bli­kanischen Abgeordneten – auf die „Enthüllungen“ der New York Times, als er am 1. Juli eine Resolution verabschiedete, die Trumps Rückzugspläne stoppen soll. Dass ausländische Soldaten in Afghanistan sterben, könnte man allerdings viel wirksamer dadurch verhindern, dass man sie abzieht.

⇥Serge Halimi

Le Monde diplomatique vom 13.08.2020, von Serge Halimi