09.07.2020

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Corona und Pressefreiheit

In 90 von 193 UN-Mitgliedstaaten haben die Regierungen auf die Coronakrise mit der Einschränkungen der Pressefreiheit und Sanktionen gegen Journalisten reagiert, um die Berichterstattung über die Pandemie zu kontrollieren. Über die zensurähnlichen Maßnahmen berichtet RoG auf einer ständig aktualisierten Liste (#Tracker_19), auf der Großmächte wie die USA, China, Russland und Indien vertreten sind, aber auch 14 europäische Staaten, darunter 9 EU-Länder.

Am stärksten werden die Informationen über Covid-19 in Afrika eingeschränkt, wo aus 32 Ländern Verletzungen der Pressefreiheit gemeldet werden. In Simbabwe und Uganda gehen die Behörden so weit, Journalisten wegen ihrer Corona-Berichte zu verhaften oder physisch zu attackieren. Auch Asien ist mit 27 Ländern auf der Tracker-Liste vertreten, wobei die krasseste Zensurfälle aus Ländern Zentralasiens und aus Iran gemeldet werden. Übergriffe der Polizei gegen Medien­schaffende sind auch in Indien und Bangladesch an der Tagesordnung. Insgesamt korrespondieren die registrierten Verstöße häufig mit einer schlechten Platzierung auf der RoG-Rangliste der Pressefreiheit. In vielen Ländern dient die Pandemie offensichtlich als probater Vorwand, um die Kontrolle der Medien weiter zu verschärfen.

Besonders beunruhigend sind die persönlichen Attacken von Staatsoberhäuptern und Regierungschefs auf Medien und ihre Repräsentanten. Das gilt etwa für US-Präsident Donald Trump, der mindestens acht Journalistinnen und Journalisten namentlich angriff, und für Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der die Medien intensiver bekämpft als die Pandemie. In Weißrussland steht ein investigativer Onlinejournalist vor Gericht, weil er die offiziellen Coronazahlen angezweifelt und die Strategie von Präsident Lukaschenko kritisiert hat. In Nicaragua behindert die Regierung von Präsident Ortega eine unabhängige Berichterstattung als Flankenschutz für die amtliche Desinformationskampagne, die den Grad der Gefahr im Lande verschleiern soll.

Umso wichtiger ist es, auch auf die Medienschaffenden aufmerksam zu machen, die sich in der Coronakrise in besonderem Maß für eine freie Berichterstattung eingesetzt haben – oft gegen den Willen autoritärer Regierungen. RoG publiziert eine exemplarische – und keineswegs vollständige – Liste mit 30 Journalisten, Whistleblowern, Medien und Vereinigungen, die mutig und hartnäckig über die Pandemie berichten. Rund ein Drittel der in der Liste vorgestellten Medienschaffenden und Initiativen kommen aus Asien, sechs aus Europa und Zentral­asien, die anderen aus Afrika, Nord- und Südamerika und dem Nahen Osten. Sie tragen damit insbesondere in autoritär regierten Ländern dazu bei, die Bevölkerung vor weiteren Ansteckungen zu schützen. Häufig berichten sie dabei auch über Materialengpässe oder Mängel im Gesundheitswesen, die Regierungen lieber geheim halten würden. Stellvertretend für viele stehen die afghanische TV-Reporterin Anisseh Shahid und die serbische Onlinejournalistin Ana Lalić, die wegen ihrer Berichte über chaotische Verhältnisse in serbischen Krankenhäusern kurzzeitig verhaftet war.

Le Monde diplomatique vom 09.07.2020