13.02.2020

Drohnen für Frontex

zurück

Drohnen für Frontex

Statt sich auf die Rettung von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer zu konzentrieren, baut die EU die Luftüberwachung aus

von Matthias Monroy

Aus der Drohnenperspektive: Rettungsschiff „Eleonore“ von der Mission Lifeline, August 2019 JOHANNES FILOUS/picture alliance/dpa
Audio: Artikel vorlesen lassen

Es ist nicht einfach, in der Europäischen Union beim Thema Migration Mehrheiten für eine Gesetzesinitiative zu bekommen – es sei denn, es geht um die Aufrüstung der EU-Außengrenzen. Während die Reform eines gemeinsamen EU-Asylsystems seit Jahren auf Eis liegt, einigten sich EU-Kommis­sion, Parlament und Europäischer Rat kurz vor den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr in ungewohnter Eile auf eine Reform der Grenzagentur Frontex. Seit Dezember gilt eine neue Verordnung, mit der Frontex bis 2027 eine „Ständige Reserve“ von 10 000 uniformierten Beamten aufbauen will, die nicht nur an den EU-Außengrenzen, sondern auch in Drittstaaten eingesetzt werden können.

Frontex wird auf diese Weise zu einer „europäischen Grenzschutzpolizei“ und erhält dafür Kompetenzen, die bislang allein den Mitgliedstaaten vorbehalten waren. Zum Kern der neuen Verordnung gehört die Beschaffung eigener Ausrüstung. Noch ist der Mehrjährige Finanzrahmen, in dem die EU die Verteilung ihrer finanziellen Mittel bis 2027 festlegt, nicht beschlossen. Nach derzeitigen Plänen sind in dem Sieben-Jahres-Haushalt aber mindestens 6 Milliarden Euro für Frontex vorgesehen. Einen großen Teil des Geldes, nämlich rund 2 Milliarden, will Frontex für Flugzeuge, Schiffe und Fahrzeuge ausgeben.

Zu den Aufrüstungsplänen gehört die Stationierung von großen Drohnen im zentralen und östlichen Mittelmeer. Und dafür sucht Frontex gerade einen privaten Partner, der Flüge vor Malta, Italien oder Griechenland koordiniert. Eine entsprechende europäische Ausschreibung endete im Dezember 2019, derzeit läuft der Auswahlprozess. Die unbemannten Einsätze, für die laut Frontex 50 Millionen Euro an Gesamtkosten anfallen, könnten dann bereits im Frühjahr beginnen. Der Vertrag hat eine Laufzeit von zwei Jahren und kann zweimal für ein Jahr verlängert werden.

Frontex wünscht sich Drohnen der sogenannten Male-Klasse (Medium Altitude Long Endurance). Ihre Ausdauer soll mindestens 20 Stunden betragen. Zu den Anforderungen gehört die Flugfähigkeit bei allen Wetterlagen und zur Tages- und Nachtzeit. Geplant ist außerdem der Einsatz in Lufträumen, in denen auch zivile Flugzeuge unterwegs sind.

Für die Überwachungsmissionen tragen die Drohnen elektrooptische Kameras, Wärmebildkameras und sogenannte Daylight Spotter, die bewegliche Ziele selbstständig erfassen und im Fokus behalten. Zur weiteren Ausrüstung gehören Anlagen zur Ortung von Mobil- und Satellitentelefonen. Die Drohnen sollen außerdem Signale von Notrufsendern empfangen können, die in moderne Rettungswesten eingenäht sind.

Die Frontex-Drohnen sollen allerdings nicht vorwiegend die Seenotrettung unterstützen, sondern vor allem die Abwehr von Geflüchteten aus der Luft verbessern. Diese Einschätzung bestätigt auch die deutsche NGO Sea-Watch, die seit 2015 im zentralen Mittelmeer mit wechselnden Schiffen Hilfe leistet. „Frontex geht es nicht darum, Leben zu retten“, sagt Ruben Neugebauer von Sea-Watch. „Während die Luftüberwachung mit Flugzeugen und Drohnen ausgebaut wird, wurden für Rettungen dringend benötigte Schiffe abgezogen.“ Sea-Watch fordert, dass Lagebilder von EU-Drohnen auch den privaten Organisationen für die Seenotrettung zur Verfügung gestellt werden.

Frontex hat sehr spezifische Vorstellungen für die eigenen Drohnen, deshalb kommen weltweit nur wenige Anbieter infrage. Die israelische „Heron 1“, die Frontex bereits einige Monate vor der griechischen Insel Kreta getestet hat und die auch von der deutschen Bundeswehr benutzt wird, gehört dazu. Wie in der Ausschreibung von Frontex gefordert kann die Heron 1 mit rund 250 Kilogramm Nutzlast sämtliches Überwachungsgerät befördern, das die Agentur über dem Mittelmeer einsetzen will.

Unter den Bewerbern für den Frontex-Auftrag ist vermutlich auch die US-Firma General Atomics, die seit 20 Jahren Drohnen der Serie „Predator“ baut. Kürzlich präsentierte sie in Griechenland unter dem Namen „Sea­Guar­dian“ ein neues Predator-Modell zur Beobachtung von Meeresgebieten. Sie ist mit einem maritimen Überwachungsradar und einer Anlage zum Empfangen von Positionsdaten größerer Schiffe ausgerüstet und erfüllt damit eine der wesentlichen Anforderungen von Frontex.

General Atomics hat vielleicht einen Wettbewerbsvorteil, denn schon seit einigen Jahren verfügen ihre Predator-Drohnen über Einsatzerfahrung im Mittelmeer. Neben Frontex ist die Europäische Union auch mit der Operation „Eunavfor Med Sophia“ (European Union Naval Force – Mediterranean) im zentralen Mittelmeer aktiv. Italiens damaliger Innenminister Matteo Salvini hatte im März 2019 durchgesetzt, dass die EU-Mission nur noch aus der Luft betrieben wird.

Seitdem fliegen zwei unbewaffnete Predator-Drohnen des italienischen ­Militärs für „Eunavfor Med“ vor der libyschen Küste. Offiziell sollen die Drohnen aus der Luft beobachten, ob die Ausbildung der libyschen Küstenwache erfolgreich war und die Marinesoldaten ihre Kenntnisse entsprechend einsetzen. Vermutlich verfolgen die Predator aber vor allem das Mis­sions­ziel der „Schleuserbekämpfung“, indem die libyschen Küsten ausgespäht werden.

Außer Frontex investieren auch die EU-Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (Emsa) und die Fischereiaufsichtsagentur (EFCA) in die Meeresüberwachung mit Drohnen. Die drei Agenturen koordinieren zusammen rund 300 zivile und militärische Behörden in den EU-Mitgliedstaaten, zu ihren Aufgaben gehören die Grenz-, Fische­rei- und Zollkontrolle, die Strafverfolgung und der Umweltschutz.

2017 haben Frontex und die Emsa ein Abkommen geschlossen, um von gemeinsamen Aufklärungsfähigkeiten zu profitieren, auch die EFCA ist daran beteiligt. Damals hat die Emsa Tests mit Drohnen verschiedener Größen durchgeführt, mittlerweile gehören die Drohnenflüge zu ihren regulären Dienstleistungen. Das Angebot steht nicht nur EU-Mitgliedstaaten offen, als Erstes hat Island davon Gebrauch gemacht. Seit Sommer 2019 fliegt eine Langstreckendrohne des Typs „Hermes 900“ der israelischen Firma Elbit Systems vom isländischen Flughafen Egilsstaðir. Die Flüge sollen mehr als die Hälfte der Ausschließlichen Wirtschaftszone des Inselstaats abdecken und dort „verdächtige Aktivitäten und potenzielle Gefahren“ entdecken.

Mit Wärmebildkameras und Daylight Spottern

Auch die Hermes 900 wurde für das Militär entwickelt, die israelische Armee setzte sie zuerst 2014 im Gaza­streifen ein. Die Zeitung Times of Israel gibt die Kosten des Betreibervertrags mit der Emsa mit 59 Millionen Euro an, die Laufzeit beträgt zwei Jahre und kann um weitere zwei Jahre verlängert werden. Den Vertrag hat die Agentur nicht direkt mit dem israelischen Rüstungskonzern abgeschlossen, sondern über das portugiesische Unternehmen ­CEiiA. Darin sind die Stationierung, die Steuerung und die Missionsführung der Drohnen geregelt.

Auf Nachfrage der deutschen EU-Abgeordneten Özlem Demirel (Die Linke) hat die EU-Kommission eine Liste von Ländern veröffentlicht, die ebenfalls Emsa-Drohnen nutzen wollen. Demnach haben Litauen, die Niederlande, Portugal und auch Griechenland für dieses Jahr unbemannte Flüge zur Beobachtung von Umweltverschmutzung angefragt; Bulgarien und Spanien wollen sie zur allgemeinen maritimen Überwachung nutzen.

Bis Frontex über eigene Drohnen verfügt, setzt auch die Grenzagentur Emsa-Drohnen ein. Auf Kreta kommt dabei wie in Island eine Langstreckendrohne vom Typ Hermes 900 zum Einsatz. Laut griechischen Medienberichten stürzte sie jedoch am 8. Januar beim Start ab und wurde erheblich beschädigt. Die Ursache, heißt es, könnte ein kaputter Antrieb sein oder menschliches Versagen.

Auch Behörden aus Frankreich und Großbritannien haben die unbemannte maritime Überwachung bei der Emsa bestellt. Zu den genauen Einsatzorten ist bislang nichts bekannt, vermutlich geht es aber um den Ärmelkanal. Dort beobachtet bereits die britische Küstenwache den Grenzverkehr mit größeren Drohnen des portugiesischen Rüstungskonzerns Tekever. Die Londoner Regierung will damit Überfahrten von Migranten verhindern.

Die Drohnen starten vom Flughafen der südenglischen Kleinstadt Lydd und überwachen die rund 50 Kilometer lange und 30 Kilometer breite Straße von Dover. Großbritannien hat außerdem mehrere Quadrokopter an Frankreich geliefert, um potenzielle Migranten möglichst noch in französischen Hoheitsgewässern aufzuspüren. Laut der Präfektur Pas-de-Calais wurden acht Gendarmen in der Steuerung der kleinen Drohnen ausgebildet.

Die von den Emsa-Drohnen aufgenommen Bilder werden von den zuständigen nationalen Küstenwachen ausgewertet. Ein Livestream sendet sie außerdem in das Hauptquartier von Frontex nach Warschau. Dort werden sie in das Grenzüberwachungssystem Eurosur eingespeist. Dieses gehört zu Frontex und vernetzt die Anlagen aller EU-Mitgliedstaaten mit Außengrenze. Die Daten von Eurosur und den na­tio­nalen Grenzkontrollzentren bilden das „Informationsbild des Grenzvorbereichs“, mit dem Frontex Migrationsbewegungen frühzeitig erkennen und verhindern will. Dieser Bereich erstreckt sich bis weit in den afrikanischen Kontinent.

Auch die neuen Frontex-Drohnen sollen nach Auswahl des Anbieters für Eurosur fliegen. Der Ausschreibung zufolge sollen sie im östlichen und zen­tra­len Mittelmeer in einem Radius von bis zu 250 Seemeilen (463 Kilometer) unterwegs sein. Damit könnten sie auch im „Grenzvorbereich“ vor Tune­sien, Libyen und Ägypten aufklären. Im Rahmen von Eurosur teilt Frontex die aufgenommenen Daten über ein „Remote Information Portal“ mit weiteren europäischen Nutzern.

Gemäß der neuen Frontex-Verordnung darf die Grenzagentur mit benachbarten Drittstaaten zusammenarbeiten, die gesammelten Informa­tio­nen können demnach auch Behörden in Nordafrika zur Verfügung gestellt werden. Um allgemeine Informationen zur Überwachung des Mittelmeers mit einem Nicht-EU-Staat zu teilen, muss Frontex aber erst eine Statusvereinbarung mit dem entsprechenden Land abschließen.

Schon jetzt ist es aber möglich, Ländern wie Libyen die Koordinaten von Flüchtlingsbooten zu übermitteln. So bestimmt etwa das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, dass die nächstgelegen Seenotleitstelle über tatsächliche oder vermutliche Notfälle informiert werden muss.

Mit EU-Finanzierung errichtet Ita­lien seit zwei Jahren eine solche Leitstelle in Tripolis. Sie wird von der militärischen Küstenwache betrieben, verfügt aber bislang über keine nennenswerte eigene Ausrüstung. Weitgehender ist die Kooperation der EU-Militärmission „Eunavfor Med Sophia“ mit der libyschen Küstenwache. Für die Kommunikation mit europäischen Marinebehörden wird Libyen als erster Drittstaat über das Netzwerk „Seepferdchen Mittelmeer“ an Systeme zur Überwachung des Mittelmeers angeschlossen.

Menschenrechtsorganisationen wer­fen Frontex vor, dass eine Weitergabe von Informationen an Libyen zu völkerrechtswidrigen Zurückweisungen (sogenannten Pushbacks) führt. Menschen dürfen nicht in Staaten zurückgebracht werden, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Tatsächlich bringt Frontex die aus der Luft entdeckten Geflüchteten in Seenot nicht selbst zurück nach Libyen, sondern überlässt sie dem dortigen Militär.

Die privaten Seenotretter sprechen deshalb von sogenannten Pullbacks, die aber ebenfalls verboten sind. So argumentiert auch der israelische Menschenrechtsanwalt Omer Shatz. „Wer die Position von Menschen, die vor dem Krieg fliehen, an Milizen weitergibt, damit diese Menschen abgefangen und gewaltsam an den Ort zurückgebracht werden, von dem sie geflohen sind, begeht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Mit seinem Kollegen Juan Branco verklagt Shatz Verantwortliche der Europäischen Union und ihrer Agenturen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Demnächst wollen sie Einzelfälle und Namen der beklagten Personen veröffentlichen.

Matthias Monroy ist Wissensarbeiter, Aktivist und Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/Cilip.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 13.02.2020, von Matthias Monroy