09.10.2009

Appell aus Paris

zurück

Appell aus Paris

von Serge Halimi

Seit zwanzig Jahren warnt Le Monde diplomatique (LMd) vor dem Sturm, der heute über die Redaktionsräume hinwegfegt und insbesondere die französischen Zeitungskioske verwaisen lässt. Aber die Ursachen zu durchschauen, schützt noch nicht vor den Folgen – und die bekommt auch LMd zu spüren, wenngleich nicht so stark wie andere Zeitungen und auf andere Weise: Weder das Überleben noch die Unabhängigkeit der internationalen Monatszeitung stehen auf dem Spiel. Aber es fehlen die Mittel für eine Weiterentwicklung. Um den Blick in die Zukunft wagen, den Kampf um die Ideen aufnehmen und neuen Lesern unsere Sicht der Dinge vermitteln zu können, wenden wir uns an Sie.

Mit der Presseindustrie geht es seit Jahren bergab. Der Journalismus leidet allerdings schon viel länger. Als vor zwanzig Jahren die meisten Zeitungen und Zeitschriften mit ihren Anzeigenaufkommen wahre Gelddruckmaschinen waren, kam das nicht unbedingt der inhaltlichen Qualität zugute. In den USA machten damals publizistische Flaggschiffe wie New York Times, Washington Post und Times Mirror zwanzigfach höhere Profite als in den Zeiten von Watergate, der Glanzzeit der „Gegenöffentlichkeit“.

Die Enthüllungen der Washington Post 1972 über die Umstände des Einbruchs in die Parteizentrale der Demokraten in Washington führte im August 1974 bekanntlich zum Rücktritt des republikanischen Präsidenten Richard Nixon. Zwischen 1975 und 1989 stiegen die Profite der New York Times von 13 Millionen Dollar auf 266 Millionen Dollar, die der Washington Post von 12 Millionen auf 197 Millionen Dollar. Doch auch mit jährlichen Gewinnmargen von 30 oder gar 35 Prozent entfaltete sich der Journalismus keineswegs kühn, kreativ und unabhängig.

Die tiefgreifenden Veränderungen in der Medienbranche verschonen auch uns nicht. Nach einem stetigen Aufschwung zwischen 1996 und 2003 ging der Verkauf von LMd an den französischen Zeitungskiosken bis 2008 stark zurück, während die Zahl der Abonnenten immerhin weiter zunahm. Das Bild verbessert sich zwar deutlich, wenn man die derzeit 73 internationalen Ausgaben dazunimmt, die etwa 2 Millionen Exemplare verkaufen. 2008 haben die internationalen Ausgaben 350 000 Euro Lizenzhonorar an LMd Paris abgeführt, das entspricht etwa 3 Prozent des Umsatzes.

Doch unsere mit Abstand wichtigsten Einnahmequellen sind nach wie vor der Kioskverkauf und die Abonnements. Ein Problem sind dagegen die Online-Nutzer. Denn die Internetleser stützen nur den Einfluss der Zeitung, nicht aber ihre Existenz. Im Grunde verhalten sich alle Benutzer, die zu unseren Einnahmen nichts beitragen, wie blinde Passagiere, deren Reise von den zahlenden Fahrgästen mitbezahlt wird.

Unserer Weiterentwicklung hängt zum großen Teil davon ab, wie wir euch mobilisieren können, uns zu unterstützen. Regelmäßiger Kauf der Zeitung am Kiosk, Abonnement, Geschenkabonnement für mögliche Leser, Beitritt zum Verein der Freunde von LMd: Es gibt viele Möglichkeiten der Beteiligung.

Dabei sind unsere Verluste vergleichsweise bescheiden (330 000 Euro 2007, 215 000 Euro 2008). Aber einstweilen hat sich noch kein Banker gefunden, der gern den Mäzen spielen und das Minus ausgleichen möchte. Eine Zeitung wie unsere, bei der alle Mitarbeiter auch Teilhaber sind, deren Leser einen Teil des Kapitals halten und Solidaritätsabos an Bibliotheken und Gefängnisse verschenken, wäre für ihn vermutlich nicht sehr verlockend.

Die Frage, die sich stellt, ist einfach: Wie können wir auch in Zukunft einen weltoffenen Journalismus von allgemeinem Interesse finanzieren? Natürlich macht auch die LMd ihre Fehler, aber sie ermutigt ihre Autoren, zu reisen, zu recherchieren, zuzuhören und hinzuschauen. Und sie verweigert sich dem Kult der kurzen Texte.

Wir haben viele Verbündete, darunter Lehrer, die ihren Schülern unsere Zeitung nahebringen; die alternative Presse, die von unseren Informationen profitiert; die vielen Neugierigen und Querdenker. Und all die alten und neuen Leser, ohne die in Zukunft gar nichts geht.

Kontakt und weitere Informationen: www.monde-diplomatique.fr

Le Monde diplomatique vom 09.10.2009, von Serge Halimi