12.03.2020

Trumps Plan für Palästina

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Trumps Plan für Palästina

Israels Regierungschef Netan­jahu konnte die dritte Parlamentswahl innerhalb eines Jahres trotz Korruptionsvorwürfen knapp für sich entscheiden. Dabei kam ihm auch Trumps „Deal des Jahrhunderts“ zur Lösung des Nahostkonflikts zu Hilfe. Denn der berücksichtigt ausschließlich die Interessen Israels.

von Alain Gresh

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Benjamin Netanjahu sah frohgemut drein. Der israelische Regierungschef stand als Einziger neben Donald Trump, als der Präsident der USA am 28. Januar 2020 im Weißen Haus seinen lange erwarteten „Deal des Jahrhunderts“ verkündete.1 Das Publikum im Saal war eine ausgesuchte Mischung aus ultra­nationalistischen oder streng religiösen amerikanischen Juden und eks­tatischen evangelikalen Christen, die in mystische Verzückung verfielen, als Trump auf die Bibel, die heiligen Orte des Judentums und das Wunder der Existenz Israels zu sprechen kam.

Die Beziehung zwischen den USA und Israel ist symbiotischer als je zuvor. Als Trump den anwesenden US-Botschafter in Israel, einen der Architekten des Plans, als „euren Botschafter“ bezeichnete, war nicht ganz klar, ob er David Friedman als seinen Botschafter in Jerusalem oder als Botschafter Israels in Washington ansprach.

Bei der Zeremonie im Weißen Haus war auch viel von den Palästinensern die Rede. Schließlich ging es auch um ihre Zukunft und um die Zukunft ihres Landes. Allerdings kam der gesamte Plan völlig ohne die Palästinenser zustande, und so waren sie denn auch bei dieser Veranstaltung nicht vertreten. Verfasst wurde der Plan von US-Amerikanern, die allesamt überzeugte Zionisten sind, und von Israelis, die die palästinensischen Vorstellungen entweder nicht kennen oder wissentlich missachten. Was sich schon daran zeigt, dass nach dem Trump-Plan ein Drittel des Westjordanlands Israel zufallen soll.

Die wie ein Hochamt zelebrierte Verkündigung am 28. Januar weckt die Erinnerung an jene Epoche nach dem Ersten Weltkrieg, in der befrackte Diplomaten bei ihren Konferenzen zwischen Dessert und Mokka den gesamten Nahen Osten zerstückelten, ohne dass die betroffene Bevölkerung irgendeine Art von Mitsprache gehabt hätte.

In der Tradition des Kolonialismus

Ganz in diesem Geiste hat damals auch Arthur James Balfour, Außenminister des britischen Empires, über das Schicksal Palästinas entschieden, als er in einem Schreiben vom 2. November 1917 die berühmte Erklärung abgab: „Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina.“

Weniger oft zitiert wird allerdings der zweite Teil dieses Versprechens an die zionistische Bewegung. Denn Balfour spricht von einer „klaren Übereinkunft, dass nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern infrage stellen könnte“.

Die „bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften“ machten zum Zeitpunkt der Balfour-Deklaration knapp 90 Prozent der Bevölkerung Palästinas aus.2 Also wurde der weitaus größte Teil der damaligen Bevölkerung seiner politischen und nationalen Rechte beraubt. Und weder damals noch heute wurden sie gefragt; weder damals noch heute wurde ihre nationale Identität anerkannt.

Das Konzept hatte einen Namen: Kolonialismus. Und der war im Jahr 1917 die Regel. Das britische und das französische Imperium waren davon überzeugt, ewig zu existieren und das unbestreitbare Recht zu besitzen, das Schicksal der „minderwertigen“ Völker in Afrika und Asien zu bestimmen. Ein Jahrhundert später ist das Kolonialsystem zusammengebrochen, nur ein paar Nostalgiker trauern der „devoir de civilisation“ (zivilisatorischer Auftrag) nach, auf die sich der französische Politiker Jules Ferry berief, oder der „white man’s burden“ (Bürde des weißen Mannes), die Rudyard Kipling in einem Gedicht feierte.

Doch genau diesen Geist atmet jeder Absatz in jenem „visionären“ Plan, den Präsident Trump am 28. Januar präsentierte. Aber auch Trump kann nicht darüber hinwegsehen, dass wir nicht mehr im Zeitalter des Kolonialismus leben. Weshalb er seinen Vorschlag als ausgewogen preist, weil er ja auch das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat beinhalte.

Neu ist das allerdings nicht: US-Präsident George W. Bush hat dieses Recht 2002 anerkannt. Und auch Netanjahu hat die Idee 2009 in einer Rede akzeptiert.3 Damals hatte er bereits die Konturen eines palästinensischen Staats skizziert, die jetzt auch wieder in Trumps Plan auftauchen: Völlig unabhängig von der Fläche und den genauen Grenzen des künftigen palästinensischen Staats (siehe Karte) wird dieser in Wahrheit nicht eines der Attribute aufweisen, die man normalerweise mit Staatlichkeit verbindet, angefangen bei der Souveränität.

Um diesen Mangel zu rechtfertigen, erklären die Verfasser des neuen Plans, Souveränität sei „ein dehnbares Konzept, das sich über die Zeit entwickelt hat“. Da die gegenseitige Abhängigkeit ohnehin zunehme, entscheide sich „jede Nation, mit anderen Nationen zu interagieren, indem sie Vereinbarungen abschließt, die grundlegende Parameter für jeden der Partner festlegen“. Allerdings klingt das Konzept reichlich paradox – und unfreiwillig komisch –, wenn es von zwei Staaten formuliert wird, die für sich in Anspruch nehmen, stets und ausschließlich im eigenen nationalen Interessen zu handeln.

Der demilitarisierte palästinensische Staat wird weder die Kontrolle über seine eigenen Grenzen noch über seinen Luftraum oder seine Küstengewässer haben. Sogar die Tunnel und Brücken, die die einzelnen Enklaven verbinden und so die „Kontinuität des palästinensischen Territoriums“ sicherstellen sollen, werden unter israelischer Oberaufsicht stehen. Noch die kleinste Entscheidung der Palästinenser unterliegt dem Vorbehalt, dass sie die „Sicherheit Israels“ nicht gefährden darf.

Während Washington dem israelischen Staat zugesteht, große Teile der nach dem Sechstagekrieg von 1967 besetzten Gebiete zu annektieren – und damit sämtliche Siedlungen im Westjordanland wie auch das Jordantal –, soll das Territorium des palästinensische Staats nur knapp ein Drittel des Westjordanlands umfassen. Und dies wird sogar noch als ein großartiges Zugeständnis an die Palästinenser dargestellt: „Sich aus einem Gebiet zurückzuziehen, dass im Laufe eines Defensivkriegs erobert wurde, ist eine historische Rarität“, heißt es in Abschnitt 2 der Trump’schen „Vi­sion“. Deshalb verdiene es Anerkennung, dass sich der Staat Israel bereits aus 88 Prozent der 1967 eroberten Gebiete zurückgezogen hat.4

Damit nicht genug, ist in der „Vi­sion“ ein weiterer „Transfer von beträchtlichen Gebieten durch den Staat Israel“ vorgesehen. Und zwar von Gebieten, „auf die der Staat Israel legitime rechtliche und historische Ansprüche geltend machen kann und die Teil der angestammten Heimat des jüdischen Volkes sind“. Eine verblüffende Argumentation: In der Welt von Donald Trump und Benjamin Netanjahu stellt ein Dieb, der 300 Euro ergaunert und 100 davon zurückgibt, seine Großzügigkeit unter Beweis.

Und selbst in diesem künftigen Bantustan – das erst nach vier Jahren als Staat anerkannt werden soll, falls Israel dazu grünes Licht gibt – haben sich die Palästinenser den Ansprüchen ihrer Gebieter unterordnen. Welche Logik der Unterjochung der Trump-Plan beinhaltet, zeigt sich schlagend an folgendem Beispiel: Seit der Besetzung 1967 können die Palästinenser nicht unbeschränkt bauen, zudem hat die israelische Armee hunderte ihrer Behausungen unter allen möglichen Vorwänden zerstört.

In ihrem künftigen „Staat“ sollen die palästinensischen Behörden zwar Baugenehmigungen erteilen können. Doch die Bebauungsplanung „in Gebieten an der Grenze zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Staat, einschließlich der Grenze zwischen Jerusalem und al-Quds5 , wird der ausschließlichen Sicherheitsverantwortung des Staates Israel unterliegen“ (Abschnitt 7: Sicherheit). Es genügt ein Blick auf die Karte, um zu begreifen, dass es keine Gebiete geben wird, die nicht „in Nachbarschaft“ des israelischen Staats liegen.

Alle diese Restriktionen erfolgen natürlich im Namen der „Sicherheit“. Bei diesem Wort, das im Text des Trump-Plans 167-mal auftaucht, geht es jedoch stets und ausschließlich um die Sicherheit Israels. Eines Landes also, das die stärkste Armee in der Re­gion hat und über Atomwaffen verfügt, dessen Luftstreitkräfte Syrien, den Libanon sowie den Irak und natürlich auch den Gazastreifen bombardieren können.

Im letzten Jahr töteten israelische Sicherheitskräfte 133 Palästinenser, von denen 28 minderjährig waren, auf israelischer Seite starben 10 Menschen, darunter ein Minderjähriger.6 Dennoch lautet der erste Satz im Abschnitt „Sicherheit“ des Trump-Plans: „Es ist unrealistisch, von Israel zu verlangen, in Sachen Sicherheit Kompromisse zu machen, die das Leben seiner Bürger gefährden könnten.“

Im Appendix 2 A („Sicherheitserwägungen“) ist von den „defensiven Kriegen“ Israels die Rede, von denen einige „existenzieller Natur“ waren. Demzufolge war die Invasion Ägyptens 1956 ebenso „defensiv“ wie der Sechstagekrieg von 1967 oder der Einmarsch in den Libanon 1982.

Der angemessene Obertitel für die „Vision“ Trumps wäre die römische Drohung „Vae victis!“ (Wehe den Besiegten!). Palästinensische politische Häftlinge in israelischen Gefängnissen werden – wenn sie Gewaltverbrechen verübt oder auch nur geplant haben – selbst nach einem Friedensschluss nicht freikommen. Die palästinensischen Flüchtlinge werden nicht in ihre Häuser zurückkehren können, sie erhalten auch keine Entschädigung und können sich nur mit Zustimmung Is­raels im palästinensischen Staat niederlassen. Außerdem soll die palästinensische Führung ihr Volk „erziehen“, damit sie von den „Hassreden“ ablassen – die es auf israelischer Seite selbstverständlich nicht gibt.

Und schließlich sollen die Palästinenser Israel als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ anerkennen und damit die zionistische Version der Geschichte legitimieren – also die Vorstellung, dass sie Eindringlinge in ihrem eigenen Land seien. Damit würde auch die Position der über 1,5 Millionen arabischen Staatsbürger geschwächt, die oft als „arabische Israelis“ klassifiziert werden und damit als Bürger zweiter Klasse. In Trumps Plan ist ein Gebietstausch vorgesehen, nach dem sich 400 000 dieser arabischen Israelis außerhalb der Grenzen Israels wiederfinden würden. Womit der Traum von einem „ethnisch reinen“ jüdischen Staat ein Stück näher rücken würde.7

„Don’t Call It a Peace Plan“, lautet das Fazit einer Analyse von Daniel Levy über die Trump-Vision. Der israelische Politikwissenschaftler war unter der Regierung Rabin an den Verhandlungen zum Oslo-II-Abkommen von 1995 beteiligt. Levy schreibt: „Es gibt einen Unterschied zwischen Kapitulationsbedingungen und einem Friedensplan. Aber selbst Kapitulationsbedingungen haben größere Chancen zu überdauern, wenn sie so beschaffen sind, dass sie dem Verlierer ein Mindestmaß an Würde bewahren.“ Aus dem Trump-Plan spreche das Gegenteil: eine „tiefe Verachtung und Verhöhnung der Palästinenser“. Dieser Text sei daher „ein Hassplan und kein Friedensplan“.8

Im Verlauf der jüngeren Geschichte haben US-Präsidenten schon öfter „Friedenspläne“ vorgestellt – von Ronald Reagan 1982 bis George H. W. Bush 1991. Trumps Plan enthält erstmals die explizite Ablehnung der einschlägigen UN-Resolutionen und spe­ziell der Resolution 242 des Sicherheitsrats vom November 1967, die auf die „Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Krieg“ verweist.

Der neueste Plan wird womöglich die Amtszeit seines Namenspatrons nicht überdauern. Allerdings schreibt Trump nicht nur die Anerkennung Jerusalems als „ewige und ungeteilte Hauptstadt Israels“ fest, die jeder künftige US-Präsident nur sehr schwer rückgängig machen kann. Er empfiehlt auch die Bildung einer bilateralen Kommission, die nach der kommenden Präsidentschaftswahl die genauen Grenzen der Gebiete festlegen soll, die Israel mit Zustimmung Washingtons annektieren kann.

Wie können die Palästinenser auf diese Entwicklung reagieren? Die Arabische Liga, die Organisation für islamische Zusammenarbeit und die Afrikanische Union haben Trumps Plan einhellig abgelehnt. Zwar gab es auch öffentliche Demonstrationen wie in Marokko, aber nur wenige arabische Hauptstädte haben sich offen gegen die USA gestellt. Und die Golfstaaten Bahrain, VAE und Oman schlugen sich sogar auf die Seite Washington, wie die Anwesenheit ihrer Botschafter bei der Vorstellung des Plans zeigte.

Mehrere westliche Regierungen, darunter die französische, begrüßten die „Bemühungen von Präsident Trump“ – und übten damit vorauseilenden Gehorsam gegenüber Washington, bevor sie das Dokument überhaupt zu Gesicht bekamen.9 Den Palästinensern selbst fehlt in der UNO die nötige Unterstützung, um eine Resolution im Sicherheitsrat einzubringen. Deshalb wird es nicht einmal einen Text geben, der zumindest auf die in den vergangenen Jahrzehnten schon tausendmal beschworenen Prinzipien verweisen würde.

Auf palästinensischer Seite wird ­eine wirksame Gegenreaktion auch durch die Spaltung zwischen der Autonomiebehörde in Ramallah und der Hamas im Gazastreifen erschwert. Nachdem Präsident Mahmud Abbas angedroht hatte, die Sicherheitskooperation mit Is­rael zu beenden, ist er wieder einmal zurückgerudert. Er begnügt sich mit ein paar diplomatischen Gesten und hofft im Übrigen, dass sich der Plan mangels palästinensischer Gesprächspartner irgendwann von selbst erledigt.

Tatsächlich ist das größte Hindernis für Trumps Plan die einhellige Ablehnung der Palästinenser, die sich an ihre Rechte ebenso klammern wie an ihr Land und die sich unverschämterweise weigern, ihre Niederlage einzugestehen.10 Diesen Widerstand können weder Israel noch die USA überwinden, zumal inzwischen die halbe Bevölkerung auf dem Gebiet des historischen Palästina aus Palästinensern besteht.

Der US-Historiker David Fromkin hat 1989 in seinem Buch „A Peace to End All Peace“ untersucht, wie die europäischen Mächte den Nahen Osten zerstückelt und Palästina für die jüdische Besiedelung geöffnet haben.11 Damals konstatierte Fromkin: „Die zen­trale britische Illusion über den Nahen Osten, dass diese Region von den Briten oder mit deren Hilfe regiert werden wolle, ist gegen die Mauer der Realität geprallt.“

Diese Illusion hat in der Folge Millionen Menschen das Leben gekostet. Eine ähnlich Illusion liegt der „Vision“ von Trump zugrunde – und es drohen vergleichbare Konsequenzen.

1 „Peace to prosperity: A vision to improve the lives of the Palestinian and Israeli people“, Weißes Haus, Washington, D. C., Januar 2020.

2 1918 lebten in dem Gebiet nach britischen Angaben 573 000 Araber und 66 000 Juden. Zu den verschiedenen Schätzungen siehe Gudrun Krämer, „Geschichte Palästinas“, München (C. H. Beck) 2002, S. 165 f.

3 „Full text of George Bush’s speech“, The Guardian, 25. Juni 2002; die Rede von Netanjahu vom 14. Juni 2009 wurde am Begin-Sadat Center for Strategic Studies, Universität Bar-Ilan, Ramat Gan (Tel-Aviv) gehalten.

4 Mit dieser Rechnung wird die Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten (1982) als Rarität und großmütige Geste gewertet.

5 Al-Quds, der arabische Name für Jerusalem, bezeichnet im Dokument die zukünftige Hauptstadt Palästinas. Damit ist allerdings weder die heilige Stadt selbst noch ihr Ostteil gemeint, sondern die aktuellen Vororte außerhalb der israelischen Sperranlagen (siehe Beitrag auf Seite 2).

6 Siehe: „The year in review: Israeli forces killed 133 Palestinians, 28 of them minors“, B’Tselem, Jerusalem, 1. Januar 2020; sowie: Israel-Palestine Timeline, 2019.

7 Siehe Sylvain Cypel, „En quête du ‚gène juif‘ “, Orient­XXI, 5. Februar 2020.

8 Daniel Levy, „Don’t Call It a Peace Plan“, The American Prospect, 30. Januar 2020.

9 Georges Malbrunot, „Comment les États-Unis ont demandé à la communauté internationale de soutenir leur plan israélo-palestinien“, Le Figaro, 1. Februar 2020.

10 Siehe Alain Gresh „Sechs Tage und kein Ende“, LMd, Juni 2017.

11 David Fromkin, „A Peace to End All Peace: The Fall of the Ottoman Empire and the Creation of the Modern Middle East“, New York (Henry Holt) 1989.

Aus dem Französischen von Jakob Farah

Alain Gresh leitet das Onlinemagazin OrientXXI.

Le Monde diplomatique vom 12.03.2020, von Alain Gresh