Blinde Wut
Das Anti-Islam-Video „Die Unschuld der Muslime“ oder die dänischen Mohammed-Karikaturen haben in der arabischen Welt mehr Proteste ausgelöst als 2003 der Einmarsch der US-Truppen in Bagdad oder die fortdauernde israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete. Warum eigentlich?
In vielen Ländern der Region spiegelt die Konkurrenz zwischen Salafisten und Muslimbrüdern die außenpolitische Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Katar wider. Die Salafisten fürchten ihre saudischen Sponsoren zu vergraulen, würden sie Themen wie die israelische Besatzung oder soziale Gerechtigkeit in den Vordergrund stellen, und konzentrieren sich stattdessen auf die Verteidigung von Werten, die auch die erzkonservativen Saudis vertreten.
Aber es sind nicht nur die religiösen Eiferer – auch die arabischen Regierungen unterstützen Proteste gegen antiislamische Angriffe. Oft haben der katarische Sender al-Dschasira und sein Hausprediger Jussef al-Karadawi die öffentlichen Emotionen sogar noch angeheizt, vor allem als es zwischen Katar und den USA kriselte. Nur bei bei dem jüngsten Fall hielten sich sowohl al-Dschasira und als auch die saudischen Medien auffällig zurück. Über al-Karadawis fast versöhnliche Kommentare in Richtung USA muss man sich allerdings nicht so sehr wundern, weil er sich als Hofprediger der katarischen Herrscherdynastie andient.
Die arabischen Regime, die unterschiedliche Strömungen innerhalb des Islams unterstützen, sind in einer schwierigen Lage: Einerseits wollen sie als Verteidiger des Glaubens auftreten; andererseits sind sie bemüht, die USA nicht zu brüskieren. Diese Balance zu halten, wird immer schwieriger. Die jüngsten Proteste entsprechen in gewisser Weise dem politischen Aktionsmodus der arabischen Islamisten. Wenn sie nicht an Einfluss verlieren wollen, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als auf antiislamische Attacken heftig zu reagieren.
Umgekehrt verstärken die Proteste in der arabischen Welt die Hysterie unter den Fanatikern im Westen – etwa über eine Verschwörung der US-amerikanischen Muslime, die in den Vereinigten Staaten angeblich die Scharia einführen wollen (der Anteil der Muslime liegt hier übrigens bei 2 Prozent). So schaukeln sich die Radikalen auf beiden Seiten immer wieder gegenseitig hoch. As’ad Abu Khalil
Aus dem Englischen von Jakob Horst As’ad Abu Khalil ist Blogger, siehe angryarab.blogspot.com.