08.03.2018

Die Rückkehr der Kosaken

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Die Rückkehr der Kosaken

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Einmal im Jahr finden in den Ruinen der Festung Stary Tscherkess in Südrussland die Donkosakenwettkämpfe statt. Da zerteilen mehrere hundert Männer in traditionellen Uniformen mit dem Säbel Wassermelonen oder springen auf galoppierende Pferde.

Die Kosaken dienten einst in der Zarenarmee als Hilfstruppen und wurden insbesondere zum Grenzschutz eingesetzt. Dafür genossen sie relativ große Autonomie. Zu Beginn der Russischen Revolution schlossen sich die meisten den Weißgardisten an. Nach deren Niederlage gegen die Rote Armee wurden die Kosakenverbände von den Sowjets aufgelöst. Doch seit dem Zerfall der UdSSR lassen Vereine die Folklore an die „ruhmreichen Söldner“ wieder aufleben.

Die Sonne brennt heiß, aber eine leichte Brise bewegt die Fahnen mit Christus drauf. Waleri Resanow zeigt auf das schwere Holzkreuz an seinem Hals. „Wir sind bewaffnete Christen, Beschützer des orthodoxen Glaubens“, verkündet er. Früher nahmen die Kosaken in ihren Reihen Kämpfer jeglicher Herkunft auf. Heute sind sie der Orthodoxie fest verbunden. „Der Respekt für den Glauben, der Schutz des Vaterlands, die Liebe zur Familie“ sind die drei Werte des Kosaken, erklärt uns der Ataman (lokale Anführer) Michail Bes­palow und zeigt uns eine Ikone, die er mitgebracht hat. „Wir stehen im Dienst der Kirche und unseres Präsidenten. Das war schon immer so.“

Ilja Tschertschinow nickt. Auch er trägt ein riesiges Kreuz über dem T-Shirt, auf dem ein orthodoxes Gebet steht. Für die Kosaken, von Patriarch Kyrill als „sehr wichtige Mitglieder der orthodoxen Gemeinde“ gelobt, spielt der Glaube seit jeher eine große Rolle, auch wenn sie keine eifrigen Kirchgänger sind. „Wenn die Kosaken und Russland ihren Glauben bewahren, bewahren sie ihre Identität“, erklärt Tscher­tschinow. Für ihn ist Putin „ein guter Anführer, denn er ist gläubig und er stiehlt und trinkt weniger als die anderen“. Auch für die meisten seiner Kameraden gehören Patriotismus und Orthodoxie zusammen: „Die Kosaken haben die Pflicht, gegen die Feinde der Kirche und Russlands zu kämpfen.“

In den Separatistengebieten der Ukraine, knapp hundert Kilometer entfernt, herrscht der gleiche kriegerische Ton. Die neuen Machthaber in Kiew sind für die Milizen „Feinde Russlands“. Einige Gruppen haben im prorussischen Osten gegen die ukrainischen Soldaten gekämpft. Kiew behauptet, sie seien von Moskau entsandt, aber sie versichern, sie hätten freiwillig an den Kämpfen teilgenommen, die seit April 2014 schon mehr als 10 000 Tote gekostet haben. „Wir waren immer Patrioten und werden überall Krieg führen, wo man die I­nteressen Russlands verteidigen muss“, versichert Resanow. „Wir gehen dahin, wo der Staat und der Glaube uns brauchen. Wir führen einen heiligen Krieg.“

Den Kirchenoberhäuptern ist die massive Verschlechterung der Beziehungen zwischen Kiew und Moskau jedoch nicht recht. Nach der Annexion der Krim im März 2014 fiel Patriarch Kyrill durch Abwesenheit bei den Feierlichkeiten sowie durch sein Schweigen in den folgenden Monaten auf. Die russisch-orthodoxe Kirche kann es sich nicht leisten, ihre ukrainischen Glaubensbrüder vor den Kopf zu stoßen (offiziell sind 75 Prozent der ukrainischen Bevölkerung russisch-orthodox). Die Ukraine-Krise ist einer der wenigen Fälle, wo der Staat nicht auf die ­Unterstützung des Patriarchen zählen kann.

Ansonsten herrscht zwischen Kirche und Regierung eitel Harmonie, was die meisten Kosaken schätzen. Doch für eine Minderheit, zu der sich der junge Sergei L. zählt, der anonym bleiben möchte, ist die Staatsnähe fast ein „Verrat“. Er zeigt uns Fotos seiner Ururgroßeltern, die umgebracht wurden oder im Exil starben, nachdem die Sowjets die Donkosaken in den 1920er Jahren deportiert hatten. „Der russische Staat hat uns Entschädigungen für diesen Genozid versprochen. Bekommen haben wir nichts! Warum sollen wir eine Kirche respektieren, die sich den Erben der Sowjetmacht unterwirft?“ Und er fügt hinzu: „Sie versuchen uns zu treuen Untertanen zu machen, indem sie unseren Glauben manipulieren.“ Ein Kosake sei „von der Messe ausgeschlossen“ worden, weil er Putin kritisiert habe.

Alexei Lebedew, Kosake und Priester in der autonomen orthodoxen Gemeinde, ist ebenso entschieden: „Wer dir sagt, dass alle, die an die Orthodoxie glauben, den Staat schützen müssen, plappert nur das religiöse Programm nach, das sich Putin ausgedacht hat. Für mich ist die Kirche des Patriarchen Kyrill keine echte religiöse Organisation, sondern die Kreml-Abteilung für religiöse Angelegenheiten.“

Le Monde diplomatique vom 08.03.2018