Macrons Rundumschlag
von Serge Halimi
Ein ehemaliger sozialistischer Finanzminister, der später eine eigene Partei gründete, hat exakt beschrieben, wie man eine Gesellschaft marktliberal umbaut: „Versuchen Sie nicht, Schritt für Schritt vorzugehen. Definieren Sie klar Ihre Ziele und gehen sie diese in entschlossenen Schritten an, damit andere Interessengruppen keine Zeit haben, sich zu formieren und Sie zu irritieren. Schnelligkeit ist grundlegend, es kann nie zu schnell gehen. Sobald die Umsetzung Ihres Reformprogramms beginnt, ziehen Sie es durch: Das gegnerische Feuer ist weniger treffsicher, wenn sich das Ziel ständig bewegt.“ Diese Zeilen stammen von Roger Douglas, neuseeländischer Finanzminister von 1980 bis 1988, der damit das Handbuch für die neoliberale Konterrevolution in seinem Land schrieb.
Fast 30 Jahre später übernimmt der französische Präsident alle Tricks dieser Schockstrategie: Er reformiert die französische Bahn (SNCF), den öffentlichen Dienst, die Krankenhäuser und Schulen, das Arbeitsrecht, die Kapitalsteuern, das Einwanderungsrecht und die öffentlich-rechtlichen Sender. Wo soll man zuerst hinschauen, wie soll man sich wehren, wenn im Namen der drohenden Katastrophe und der explodierenden Schulden die Reformmaschine auf vollen Touren läuft?
Bei der Bahn bestellt er einen Bericht, der alle unerfüllten Wünsche der Neoliberalen aus der Versenkung holte: Schluss mit lebenslanger Beschäftigungsgarantie für Eisenbahner, Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, Schließung defizitärer Strecken. Fünf Tage nach Veröffentlichung des Berichts wurden „Verhandlungen“ angesetzt, um zu verschleiern, dass man den Gewerkschaften die Reform eigentlich diktieren möchte. Unverzüglich wird die Gunst der Stunde genutzt: das nachlassende politische Engagement, innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen, dazu der Unmut der Reisenden über Verspätungen, Unfälle, hohe Fahrpreise und ein überaltertes Schienennetz. Und natürlich sieht die Verkehrsministerin „dringenden Handlungsbedarf“. Ganz nach dem Rezept von Douglas: Es kann nie zu schnell gehen.
Die französische Regierung setzt auch auf Fake News der großen Medienhäuser, um Behauptungen zu verbreiten, die ihren Vorhaben nutzen, wie etwa: „Die SNCF kostet jeden Franzosen 1000 Euro, auch wenn er nie mit dem Zug fährt.“ Der flotte Spruch machte rasch die Runde. Er erinnert an die Behauptung, die 2015 zum finanziellen Erstickungstod der Griechen beitrug: „Jeder Franzose muss 735 Euro zum Abbau der griechischen Staatsverschuldung beitragen.“
Manchmal kommt die Wahrheit ans Licht, wenn auch zu spät. Mehrere Rentenreformen wurden mit einer verlängerten Lebenserwartung begründet. Laut einer offiziellen Studie ist es aber so, dass bei den Geburtsjahrgängen ab 1951, also bei 80 Prozent der französischen Bevölkerung, „die durchschnittliche in Rente verbrachte Lebenszeit gegenüber dem Jahrgang 1950 ein wenig sinken wird“. Was heißt, dass ein historischer Fortschritt sich gerade umkehrt. Aber mit solchen Meldungen werden wir nicht täglich traktiert. Und Macron sieht in diesem Punkt offenbar keinen „dringenden Handlungsbedarf“.
⇥Serge Halimi