Künstler dieser Ausgabe: ANRI SALA
An einem südlichen Strand werden zartgliedrige Krabben von dem Lichtkegel zweier Taschenlampen um die Wette über den Sand gejagt („Ghostgames“, 2002): In den meist kurzen Videos (zwischen 3 und 10 Minuten) des mittlerweile weltbekannten albanischen Foto- und Videokünstlers Anri Sala gibt es keine Geschichten, keine Erzählungen. Es geschieht nichts, oder fast nichts.
Die „still“ gestellten Bilder seiner Videos lassen sich vom Betrachter mit immer neuen Bedeutungen aufladen. So wird dieser zum Koautor, ganz in der Freiheit der eigenen Assoziationen. Passend zum Zwielicht, in das viele dieser Inszenierungen getaucht sind, dominiert aber der Zweifel – nicht zuletzt der an den eigenen Sehgewohnheiten, den eigenen Denkgewohnheiten, an den vorgefassten Wahrnehmungsmustern.
Anri Sala wurde 1974 in Tirana geboren. Anders als viele seiner gleichaltrigen Kollegen aus Osteuropa hat er nach dem Ende des Staatssozialismus die Krise der Bedeutung und des Sichtbaren nicht postmodern beantwortet. Er habe, sagt er, viel zu viel Zeit mit Antwortsuchen verbracht, jetzt wolle er Fragen stellen.
Die erdichtete Wirklichkeit seiner konstruierten Szenen vereint Politik und Ästhetik. So etwa wenn er den erhofften Neuanfang in Tirana nach 1991 mit einer Bemalung der Häuser inszenieren will. Doch am Ende bleibt auf dem Bildschirm die Frage stehen, „whether painting is worthwhile at all“.
Salas Videos sind äußerst einprägsam. In seiner jüngsten Arbeit („The long sorrow“), die derzeit in Berlin im Hamburger Bahnhof zu sehen ist, steht ein schwarzer Free-Jazz-Saxofonist in Schwindel erregender Höhe an die Fassade eines Hochhauses gekettet, ein Blumenbouquet im dichten, schwarzgrauen Haar. Er improvisiert auf seinem Instrument. Doch die Frage ist, ob die Musik die gähnende Leere unter ihm zu füllen vermag. M.L.K.
Ausstellungen: 2. 9.–16. 10. „Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst“ im Hamburger Bahnhof, Berlin.
Sala wird in Deutschland von der Johnen Galerie in Berlin vertreten.
© für alle Abbildungen: Anri Sala. Galerie Hauser & Wirth Zürich, London.