09.02.2017

Nationale Träume

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Nationale Träume

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Die Tadschikische Sozialistische Sowjetrepublik (TaSSR) wurde im Jahr 1929 gegründet. Davor hatte das Gebiet seit 1924 lediglich den Status einer autonomen Republik innerhalb der Usbekischen SSR gehabt. Das hatte mit der Stärke des pantürkischen Nationalismus zu tun, der lange Zeit keinen Platz für die Tadschiken und ihre persische Sprache gelassen hatte.

Erst in der Sowjetunion wurden die Tadschiken, die ihre Identität zuvor nicht ethnisch definiert hatten, zum Teil des „nationalen“ bolschewistischen Projekts. Um ihren eigenen Platz innerhalb der Sowjetunion beanspruchen zu können, waren sie gezwungen, sich von den Usbeken abzugrenzen. Diese wiederum haben die Zerstückelung ­ihres Territoriums bis heute nicht restlos akzeptiert. Sie träumen immer noch von einem Großusbekistan, womit sie die Existenz Tadschikistans infrage ­stellen.

Die tadschikische Elite setzt seit der Unabhängigkeit des Landes auf die Stärkung des Nationalismus. Auch aus diesem Grund will die Regierung das Wasserkraftwerk Rogun um jeden Preis bauen; es ist zu einem Projekt der na­tio­nalen Ehre geworden. Die vorgesehene Rekordhöhe des Staudamms ist zwar auch technisch begründbar, denn angesichts der starken Sedimente im Fluss Wachsch wird so die Lebensdauer des Damms verlängert. Aber das Prestige spielt ebenfalls eine große Rolle. „Dieses Bauwerk soll alle denkbaren Superlative vereinen“, meint der Zentralasien-Experte Bernard Rouault.⇥R. G.

Le Monde diplomatique vom 09.02.2017