Kongos Wirtschaft im freien Fall
von Dominic Johnson
Vor einigen Wochen machte ein ungewöhnliches Schreiben des kongolesischen Finanzministers Henri Yav die Runde. „Im Bestreben, den Akteuren der Wirtschaft in einem friedlichen Klima die Versorgung des Landes mit Waren des Grundbedarfs zu ermöglichen und jeden Vorwand zu einer Erhöhung der Preise dieser Produkte zu vermeiden“, hieß es in dem Brief vom 31. Oktober an die Leiter der diversen Steuer- und Zollbehörden der Demokratischen Republik Kongo, „fordere ich Sie auf, Ihre Dienste sowohl auf zentraler als auch auf Provinzebene anzuweisen, alle unangekündigten und belästigenden Kontrollen einzustellen.“ Auch angekündigte reguläre Betriebs- und Steuerprüfungen seien für die kommenden drei Monate zu vermeiden. „Diese Anweisung ist strikt zu befolgen.“
Mit diesem seltsamen Brief gestand die Regierung ein, was jeder Kongolese bereits wusste : Kontrollen durch staatliche Stellen sind in erster Linie Willkürmaßnahmen, eine Belastung für die Wirtschaft und Anlässe, um Schmiergeldzahlungen, Vergünstigungen oder Wohlverhalten einzufordern. Der kongolesische Staat stellte mit dieser Maßnahme praktisch auch seine Aktivitäten zum Generieren von Einnahmen ein.
Kongos Staatsgeschäfte kommen zum Stillstand – mitten in der politischen Krise rund um das Datum des 19. Dezember, die das gesamte Land erschüttert, und mitten in einer parallel verlaufenden und sich vertiefenden Wirtschaftskrise, die die ohnehin geringen Fortschritte der letzten Jahre wieder zunichtezumachen droht.
Die Zeiten, in denen Kongos Regierung von einem zweistelligen Wirtschaftswachstum und einem Take-off in Richtung Industrienation ab 2030 träumte, sind längst vorbei. Die „Revolution der Moderne“, die Präsident Joseph Kabila bei seiner Wiederwahl 2011 ausrief, ist längst Geschichte. Nach ein paar fetten Jahren wurden die Wachstumsprognosen für das laufende Jahr 2016 seit Jahresanfang von 9 auf 4,3 Prozent heruntergestuft – das ist kaum höher als das Bevölkerungswachstum, viel zu wenig also für eine effektive Armutsbekämpfung.
Der Kupfer- und Kobaltbergbau in der südlichen Provinz Katanga, Motor der kongolesischen Exportwirtschaft, steckt tief in der Rezession: Die Fördermengen sind dieses Jahr um ein Siebtel geschrumpft, die Exportpreise sind noch stärker gefallen. Der Grund: eine nachlassende Nachfrage aus China und anderen asiatischen Ländern. Die Folge: Es kommen viel weniger Devisen in den Kongo als in vergangenen Jahren. Die Konsequenz: Der Staat hat kein Geld mehr.
Dieses Jahr rutschten die staatlichen Devisenreserven zum ersten Mal seit 2008 wieder unter die kritische Marke von 1 Milliarde US-Dollar; damit kann man nur noch einen Monat lang die Importe bezahlen. Mitte November lagen sie laut Zentralbank bei noch 863 Millionen. Bereits im Frühjahr gingen den Banken zeitweise die Dollarscheine aus; wer kann, hortet sein Bargeld in Erwartung schlechter Zeiten, zumal die Inflation allmählich spürbar wird und der Wechselkurs des kongolesischen Franc langsam, aber stetig sinkt (siehe dazu auch den Artikel von Lea Frehse auf Seite 16 f.).
Weil die Staatseinnahmen aus Steuern, Abgaben und Zöllen weit unter Plan liegen, musste der scheidende Premierminister Augustin Matata Ponyo im Oktober dem Kongo eine Schocktherapie verordnen: Sein Haushaltsentwurf für 2017 war mit umgerechnet 4,5 Milliarden US-Dollar nur noch halb so groß wie der Staatshaushalt für das Jahr 2015 und 15 Prozent kleiner als der geschrumpfte Nachtragshaushalt für das laufende Jahr. „Lächerlich“ nannte das der kongolesische Weltbank-Ökonom Noel Tshiani: Bei 80 Millionen Kongolesen mache das gerade mal 50 Dollar pro Person im Jahr aus oder 1 Dollar pro Woche. Gleichzeitig aber verschwänden jedes Jahr Milliardensummen aus Rohstoffgeschäften in privaten Taschen. Der Haushalt sei ein Offenbarungseid für eine gescheiterte Politik in einem der ärmsten Länder der Welt.
Tshiani plante eigentlich eine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2016, aber anstelle dieser Wahlen tritt die Demokratische Republik Kongo nun in eine unklare Übergangsphase von unbestimmter Dauer ein, in der die Wirtschaft keinen Vorrang genießen dürfte. Ausländische Investoren machen bereits wieder einen großen Bogen um den Kongo, mehrere vielversprechende Projekte wurden eingestellt oder eingefroren.
Dem bisherigen Premierminister Augustin Matata Ponyo wurde zwar immer wieder Vetternwirtschaft vorgeworfen, aber er war immerhin ein Finanzexperte. Sein von Präsident Kabila Mitte November ernannter Nachfolger Samy Badibanga ist hingegen Vollblutpolitiker, seine Nominierung entspringt rein parteipolitischen Erwägungen.
Ob Badibanga das wichtigste wirtschaftspolitische Instrument der Regierung beibehält, das „strategische Troika“ genannte wöchentliche Treffen von Premierminister, Finanz- und Wirtschaftsministern und dem Direktor der Zentralbank, ist offen. Die „Troika“ war das einzige Gremium, von dem die kongolesische Öffentlichkeit einigermaßen verlässliche Wirtschaftsdaten erfuhr – ein Garant für ein Mindestmaß an Transparenz also.
Die Krise rührt natürlich nicht nur daher, dass die Rohstoffpreise auf den Weltmärkten gesunken sind. Wirtschaft ist im Kongo immer auch Politik. Seit der Mobutu-Ära ist es quasi Tradition, dass der Staatspräsident faktisch über dem Gesetz steht: Er bedient sich selbst aus der Zentralbank, seine Finanzpolitik und Machtinstrumente setzen sich über die Verfassung hinweg. Gerade in Krisenzeiten, wo es um das politische Überleben des Staatschefs geht, ist dieses Phänomen besonders ausgeprägt.
Hinzu kommt, dass die Rivalität zwischen Kongos Präsident Joseph Kabila und dem mittlerweile exilierten und mit einer Haftstrafe belegten Oppositionsführer Moise Katumbi auch eine Rivalität zwischen Politik und Wirtschaft ist. Der stille, undurchsichtige, aber zielstrebige Kabila kontrolliert das Militär und den Staatsapparat, Katumbi war in seiner Zeit als Provinzgouverneur von Katanga Architekt des Wirtschaftsaufschwungs, Ansprechpartner und Garant für ausländische Investoren und selbst einer der reichsten Geschäftsleute des Landes sowie Kongos erfolgreichster und beliebtester Fußballmäzen (sein Club „Tout Puissant Mazembe“ gewann mehrfach die afrikanische Champions League CAF).
Seit sich Katumbi 2015 von Kabila losgesagt hat, geht es auch mit Katangas Wirtschaft bergab: Das finanzielle und politische Netzwerk rund um Katumbi wird zunehmend schikaniert, marginalisiert und aus dem Land gedrängt, um die Opposition auszuhöhlen. Dass das unvermeidlich die Wirtschaft des gesamten Landes in Mitleidenschaft zieht, ist da gewissermaßen ein bewusst in Kauf genommener Kollateralschaden. Den Preis dafür zahlen die Kongolesen – politisch durch die Absage der Wahlen 2016, aber auch persönlich, indem sie immer weiter verarmen und sich ihre Perspektiven auf ein besseres Leben verschlechtern.
Dominic Johnson
Dominic Johnson ist Ressortleiter der Auslandsredaktion der taz.die tageszeitung und Autor. Zuletzt erschien (mit Simone Schlindwein und Bianca Schmolze): „Tatort Kongo – Prozess in Deutschland“, Berlin (Ch. Links) 2016.
© Le Monde diplomatique, Berlin