Eine Geschichte mit Allergien
von Etgar Keret
Der Hund war eigentlich meine Idee. Wir waren gerade auf dem Heimweg vom Gynäkologen. Rakefet weinte, und der Taxifahrer, der sogar nett war, setzte uns an der Ecke Arlozorov ab, weil sie die Ibn Gvirol wegen einer Demonstration gesperrt hatten. Wir gingen zu Fuß nach Hause. Die Straße war überfüllt und nass, Leute brüllten in Megafone. Auf einer Verkehrsinsel war eine riesige Puppe mit dem Gesicht des Finanzministers aufgestellt, und Leute schichteten Bündel von Geldscheinen um sie herum auf.
Gerade als wir vorbeigingen, steckte jemand die Scheine in Brand, und die Puppe fing Feuer. „Ich will nicht adoptieren“, sagte Rakefet, „es ist schwer genug, wenn du ein eigenes Kind zuhause hast. Ich will keins von jemand anderem.“ Die Leute um uns herum johlten, aber sie schaute nur auf mich, wartete auf meine Reaktion. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich hatte keine richtige Meinung dazu, und auch wenn ich eine gehabt hätte, wäre das nicht der Zeitpunkt gewesen, sie zu äußern. Ich sah, dass sie wirklich geladen war.
„Vielleicht gehen wir morgen einen Hund kaufen?“, meinte ich schließlich, um überhaupt irgendetwas zu sagen. Die Puppe brannte jetzt lichterloh. Über uns konnte ich einen Hubschrauber hören, von der Polizei oder vom Fernsehen. „Wir kaufen keinen“, schrie Rakefet, die versuchte, gegen den Hubschrauberlärm anzukommen, „wir nehmen einen auf. Es gibt genug verlassene Hunde, die ein Zuhause brauchen.“ Und so kam Michi zu uns.
Wir holten Michi aus dem Tierheim. Er war kein Welpe mehr, aber noch nicht ganz ausgewachsen. Die Verantwortliche dort sagte, dass er misshandelt worden sei und niemand ihn nehmen wolle. Ich versuchte herauszubekommen, warum, denn eigentlich war er ein schöner Hund, er sah irgendwie reinrassig aus, aber Rafeket interessierte das nicht. Als wir zu ihm gingen, um ihn zu streicheln, krümmte er sich, als ob wir ihm gleich wehtun würden, und den ganzen Nachhauseweg über zitterte er und stieß komische Töne aus.
Aber Michi gewöhnte sich sehr schnell an uns. Er liebte uns wirklich, und jedes Mal wenn einer von uns weg musste, heulte er richtig. Wenn wir beide aus dem Haus gingen, bellte er wie wahnsinnig und zerkratzte die Tür. Beim ersten Mal, als das passierte, beschlossen wir, unten zu warten, bis er damit aufhören würde, aber das tat er nicht. Nach ein paar weiteren Versuchen hörten wir einfach auf, ihn allein zu lassen. Rakefet arbeitete sowieso hauptsächlich von Zuhause aus, so dass es nicht besonders kompliziert war.
So sehr Michi uns liebte, so sehr hasste er alle anderen Menschen, vor allem Kinder. Nachdem er die Tochter der Nachbarin im Erdgeschoss gebissen hatte, fingen wir an, ihn nur noch an der Leine und mit Maulkorb nach draußen zu lassen. Die Nachbarin machte eine Riesenaffäre daraus. Schrieb Briefe an die Stadtverwaltung und rief den Eigentümer unserer Wohnung an, der gar nicht wusste, dass wir uns einen Hund angeschafft hatten, und er stellte uns per Schreiben vom Rechtsanwalt eine Aufforderung zu, die Wohnung sofort zu räumen.
Es war schwierig, eine andere Wohnung in unserem Viertel zu finden, vor allem eine, wo sie damit einverstanden waren, dass Michi mitkam, also zogen wir ein bisschen weiter nach Süden. Wir nahmen etwas in der Jonah Hanavi, eine große, allerdings sehr dunkle Wohnung. Michi aber liebte sie. Er konnte Licht sowieso nicht leiden, und jetzt hatte er mehr Platz zum Herumrennen.
Es war lustig, wenn Rakefet und ich auf dem Sofa saßen und redeten oder Fernsehen schauten, und er dabei stundenlang im Kreis um uns herumlief, ohne müde zu werden. „Wenn er ein Kind wäre, hätten wir ihm schon längst Ritalin gegeben“, sagte ich einmal im Scherz zu ihr. Aber Rakefet erwiderte mir völlig ernst, auch wenn er ein Kind wäre, würden wir ihm keins geben, denn Ritalin sei ein Medikament, das nicht für die Kinder selber erfunden worden sei, sondern für faule Eltern, die nicht genug Energie hätten, es mit ihren Kindern aufzunehmen.
Inzwischen fing Michi an, so eine komische Art von Allergie zu entwickeln, ein rötlicher Ausschlag, der sich über den ganzen Körper verbreitete und echt beängstigend aussah. Der Tierarzt erklärte uns, es handle sich anscheinend um eine Allergie gegen das Hundefutter, und schlug uns vor, es mit frischem Fleisch statt mit Fertigfutter zu probieren. Ich fragte ihn, ob es sein konnte, dass der Ausschlag mit den Raketenangriffen auf Tel Aviv zusammenhing, denn Michi kam zwar mit dem Krach der Einschläge ganz gut zurecht, aber die Sirenen stressten ihn ziemlich, und der Ausschlag war erst nach dem ersten Alarm aufgetaucht.
Der Tierarzt beharrte aber darauf, dass das nichts damit zu tun hätte, und sagte wir sollten es wirklich mit Frischfleisch versuchen, und zwar mit Rind, denn auch Huhn würde ihm nicht guttun. Michi liebte das Fleisch vom Schlachter, und der Ausschlag verschwand.
Er fing auch an, aggressiver gegenüber Leuten zu werden, die zu uns kamen, und nachdem er den Lieferanten vom Supermarkt gebissen hatte, fassten wir den Entschluss, keine Gäste mehr zu uns einzuladen. Mit dem Lieferanten hatten wir großes Glück. Michi brachte ihm eine tiefe Wunde bei und zerriss ihm den zweitwichtigsten Muskel am Bein, aber da er aus Eritrea war, wollte er nicht ins Krankenhaus gehen. Rakefet desinfizierte und verband ihm die Wunde, und ich gab ihm tausend Schekel in Zweihunderterscheinen und entschuldigte mich. Der Bote versuchte zu lächeln, sagte auf Englisch, das käme schon wieder in Ordnung, und humpelte hinaus.
Nach drei Monaten kam der Ausschlag zurück. Der Tierarzt meinte, der Körper habe sich an das neue Futter gewöhnt und man müsse wechseln. Ich versuchte, Michi Schweinefleisch zu geben, aber er konnte es nicht verdauen. Da riet uns der Tierarzt, es mit Kamelfleisch zu probieren, und gab mir die Telefonnummer von einem Beduinen, der welches verkaufte.
Dieser Beduine war misstrauisch, denn er hatte kein Zertifikat vom Gesundheitsministerium. Jedes Mal bestellte er mich zu einem anderen Treffpunkt an einer Straßenkreuzung, immer in der Gegend von Kiriat Gat. Ich bezahlte ihn bar auf die Hand, und er füllte mir die Proviantbox mit Fleisch. Michi liebte dieses Fleisch ungemein. Wenn ich es für ihn kochte, stand er immer in der Küche vor dem Topf und bellte flehentlich. Sein Gebell war echt menschlich, es hörte sich so ähnlich an wie eine Mutter, die versucht, ihren Sohn zu überreden, dass er von dem Baum runterkommt, auf den er geklettert ist. Mir und Rakefet zerriss es jedes Mal das Herz dabei.
Einmal als ich Michi in den Hof hinunterbrachte, fiel er den alten Russen aus dem ersten Stock an. Er biss ihn nicht, weil er den Maulkorb umhatte, aber er schaffte es, so auf ihn drauf zu springen, dass er ihn rücklings umwarf. Der Alte bekam einen ernsthaften Schlag auf den Kopf ab und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Er war nicht bei Bewusstsein, als die Ambulanz eintraf, und Rakefet sagte zu dem Sani, er sei gestolpert, aber wir bekamen beide eine Depression von dieser ganzen Geschichte, denn wir fürchteten, wieder die Wohnung zu verlieren, wenn der Russe aufwachte. Eigentlich bekam ich die Depression.
Rakefet sorgte sich mehr darum, dass sie Michi abholen und einschläfern würden. Ich versuchte ihr zu sagen, dass man das vielleicht wirklich tun müsste. Denn er war zwar echt eine gute Seele, aber, wie man es auch drehte, eine Gefahr für seine Umgebung. Nachdem ich das gesagt hatte, fing Rakefet an zu weinen, machte sich stocksteif und ließ sich von mir nicht mehr anrühren. Danach sagte sie, sie denke, ich redete so, weil es mir besser in den Kram passen würde, den Hund loszuwerden, wegen der ganzen Probleme mit dem Fressen für ihn, und weil es unmöglich war, Leute zu uns nach Hause einzuladen oder wegzugehen und ihn allein zu lassen, und sie sei tief enttäuscht von mir, denn sie hätte gern geglaubt, ich sei stärker und nicht so egoistisch.
In den Wochen nach diesem Gespräch wollte sie nicht mit mir schlafen und redete mit mir nur das Nötigste. Ich versuchte ihr zu erklären, dass das überhaupt nichts mit Egoismus zu tun hätte. Ich würde mit Freuden mit diesen ganzen Schwierigkeiten leben, wenn ich dächte, dass es eine Lösung gäbe, aber Michi sei einfach zu stark und zu angsterfüllt und ganz gleich, wie sehr wir auf ihn aufpassten, er würde weiter Leute anfallen, und man müsste schließlich auch an die denken. Rakefet fragte, ob ich ihn auch einschläfern lassen würde, wenn er unser Kind wäre, und ich sagte, er sei kein Kind, er sei ein Hund, und das müsste sie akzeptieren, und sie brach wieder in Tränen aus. Während sie im Schlafzimmer weinte, ging Michi zu ihr und fing auch an zu heulen, und ich entschuldigte mich demütig. Nicht, dass es was geholfen hätte.
Nach einem Monat kam der Sohn des alten Russen vorbei und fing an, Fragen zu stellen. Sein Vater war im Krankenhaus gestorben. Nicht an dem Schlag gegen den Kopf, sondern an irgendeinem Virus, den er sich dort eingefangen hatte. Der Russe fragte uns in allen Einzelheiten aus, was genau passiert war, denn er hatte eine Klage gegen die Sozialversicherung eingereicht. Er sagte, sie hätten auf dem Körper seines Vaters tiefe Kratzer von einem Tier gefunden, aber in dem Bericht vom Roten Davidstern stand, wir hätten gesagt, sein Vater sei einfach gestolpert, und er wollte wissen, ob da noch etwas gewesen sei, das wir nicht erzählt hätten.
Wir ließen ihn nicht in die Wohnung. Aber während wir im Treppenhaus miteinander redeten, fing Michi an zu bellen, und der Sohn begann uns Fragen nach dem Hund zu stellen und wollte ihn sehen. Wir sagten zu ihm, er könne nicht reinkommen, und der Hund sei neu, wir hätten ihn erst vor zehn Tagen bekommen, lange nachdem sein Vater hingefallen sei. Er bestand darauf, ihn trotzdem zu sehen, und als wir uns weiter weigerten, drohte er, mit der Polizei zurückzukommen. Noch am gleichen Abend packten wir unsere Sachen und fuhren für ein paar Tage aufs Land, in den Moschav zu Rakefets Eltern.
Ich trieb mich ein bisschen bei Maklern herum und fand eine Wohnung für uns im Florentin-Viertel. Sie war klein und laut, aber die Eigentümer hatten kein Problem mit dem Hund. Inzwischen schliefen Rakefet und ich wieder miteinander. Sie war immer noch ein bisschen unterkühlt, aber der ganze Aufstand mit dem Sohn des Russen half uns, einander wieder näher zu kommen. Sie sah auch, dass ich nicht den Schwanz einzog und alles für Michi tat. Und dann kam Michis Ausschlag wieder zurück. Mit unserem alten Tierarzt konnten wir nicht mehr reden, denn es stellte sich heraus, dass er als Major im Reserveeinsatz bei irgendeiner Vergeltungsaktion in Syrien getötet worden war.
Rakefet war nicht damit einverstanden, zu einem neuen Tierarzt zu gehen, denn sie hatte Angst, dass der Michi einschläfern würde, und wir wollten ihm kein Kamelfleisch mehr zu fressen geben. Ich versuchte es stattdessen mit Fisch und auch mit Fleischersatz, aber er weigerte sich, das Zeug anzurühren, und nach zwei Tagen, in denen er überhaupt nichts gefressen hatte, sagte Rakefet, wir müssten ein anderes Fleisch finden, oder er würde schlicht verhungern.
Wir füllten eine Plastikschale mit Milch, und Rakefet krümelte Schlaftabletten hinein, die ihr ihre Mutter vor langer Zeit einmal gegeben hatte, als wir nach New York in die Flitterwochen geflogen waren. Wir spähten vom Balkon hinunter und sahen ein paar Katzen, die sich der Schale näherten und die Milch beschnupperten. Sie rührten sie nicht an, außer einem mageren roten Kater. Rakefet sagte, ich müsse hinuntergehen und ihm folgen, damit er uns nicht entwischte.
Aber der rote Kater ging nirgendwohin. Er lag nur neben der Milchschale und regte sich nicht, auch als ich ganz nahe an ihn heranging. Er schaute mich mit den menschlichsten Augen der Welt an, mit einem Blick trauriger Schicksalsergebenheit. Als ob er genau wusste, was passieren würde, und sich damit abgefunden hatte, weil die Welt einfach beschissen war. Als er völlig eingeschlafen war, hob ich ihn hoch, aber ich ging mit ihm nicht zu Rakefet und Michi hinauf. Ich spürte ihn zwischen meinen Händen atmen, und ich konnte es einfach nicht. Ich setzte mich auf die Treppe und fing an zu weinen. Nach ein paar Minuten fühlte ich eine Hand, die mich streichelte. Es war Rakefet, ich hatte sie nicht einmal die Treppe herunterkommen hören. „Lass es“, sagte sie zu mir, „leg ihn da hin und komm rauf, nach Hause. Wir finden was anderes.“
Wir beschlossen, es mit Taubenfleisch zu probieren. Auf der Washingtonallee, ein paar Meter von unserer Wohnung, gab es tonnenweise fetten Tauben, die die alten Leute im Viertel die ganze Zeit fütterten. Dann suchten wir im Internet nach Möglichkeiten, sie zu fangen. Wir fanden eine Menge Methoden, aber alle wirkten echt kompliziert. Am Ende kaufte ich in einem Laden für Rekrutenausstattung am alten zentralen Busbahnhof so eine Profischleuder, die Stahlkugeln abschießt. Es dauerte ein Weilchen, bis ich lernte, wie man damit umgehen musste, aber nach ein paar Tagen war ich ein echter Scharfschütze.
Nachdem Michi eine Taube gefressen und total gut darauf reagiert hatte, leerten Rakefet und ich zwei Flaschen Wein und vögelten die ganze Nacht, so richtig fröhlicher Sex. Es ging uns gut, sehr gut. Und wir hatten das Gefühl, dass wir all das Gute wirklich verdient hatten.
Rakefet schlug vor, dass ich die Tauben in aller Frühe jagen sollte, wenn keine Leute auf der Straße waren, das würde uns überflüssige Fragen ersparen. Seitdem stelle ich zweimal in der Woche den Wecker auf halb fünf, gehe hinaus, während die ganze Straße noch schläft, streue Brotkrümel aus und suche mir ein Versteck in den Büschen. Ich bin süchtig nach diesen Stunden, nach dieser zarten Morgenkälte, kühl genug, um aufzuwachen, aber nicht wirklich eiskalt. Ich liege dort zwischen den Büschen, setze die Kopfhörer auf und höre Musik aus dem iPhone. Das ist meine wahre quality time. Vollkommen allein. Nur ich, meine Gedanken, ein bisschen Musik und manchmal auch irgendeine Taube, die mir ins Visier gerät.
Am Anfang habe ich immer nur zwei bis drei auf einmal erlegt, aber jetzt schieße ich schon mehr ab. Es macht Spaß, wenn du mit deiner Beute zu deiner Frau nach Hause kommst wie irgend so ein Urzeitmensch. Ich habe das Gefühl, das hat etwas, das unserer Beziehung wirklich gut tut, jedenfalls hat es geholfen, den Schaden wiedergutzumachen, der damals entstanden ist, als Michi den Russen angesprungen hat.
Bei unserer Suche nach Taubenfallen hat Rakefet im Internet ein fantastisches Rezept gefunden, ein französisches, und manchmal kocht sie uns die Tauben mit Reis gefüllt in Wein, das schmeckt besser als alles andere auf der ganzen Welt.
Und Michi ist ganz verrückt danach, dass wir das gleiche essen wie er. Manchmal setzte ich mich, nur so zum Spaß, neben ihn auf den Küchenboden, und da heulen wir dann beide, während uns Rakefet die Tauben zubereitet. „Jetzt steh auf“, lacht sie immer, „steh schon auf, sonst denk ich noch, dass ich einen Hund geheiratet hab.“ Aber ich bleibe auf dem Boden sitzen und jaule weiter. Und höre erst damit auf, wenn Michi beunruhigt zu mir kommt und mir ganz liebevoll das Gesicht ableckt.
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner
Etgar Keret ist israelischer Schriftsteller. Zuletzt erschienen: „Die sieben guten Jahre: Mein Leben als Vater und Sohn“, Frankfurt am Main (S. Fischer), 2016.
Diese Erzählung ist auf Hebräisch und Englisch erschienen: „Tel Aviv Noir“, Tel Aviv (Kinneret, Zmora-Bitan Dvir) 2014, und New York (Akashic Books) 2014.
© Etgar Keret. © 2016 für die Deutsche Übersetzung Le Monde diplomatique, Berlin. Published by Arrangement with the Institute of the Translation of Hebrew Literature