08.09.2016

Jamal, ein Ozean aus Gas

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Jamal, ein Ozean aus Gas

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In keinem Boden der Welt scheint so viel Gas zu lagern wie in der teils gefrorenen, teils sumpfigen Tundrahalbinsel Jamal in der Karasee. Gleich am Flughafen von Salechard, der Hauptstadt des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen, prahlt ein Geologe: „Wenn wir den Hahn zudrehen, friert ganz Europa!“ So wie Baku zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Erdölökonomie symbolisierte, steht der Obbusen heute für das Erdgas.

Dank jüngster Erdgasfunde in der Polar­re­gion verfügt Russland über die zweitgrößten nachgewiesenen Reserven (hinter dem Iran). Schon heute kommen 83 Prozent der russischen Erdgasproduktion (581 Milliarden Kubikmeter jährlich) aus der Region. Bis 2030 soll Jamal mit 360 Milliarden Kubikmeter pro Jahr hinzukommen. Das ist das Fünffache des deutschen Verbrauchs 2014.

In dieser extrem unwirtlichen Gegend, in der bislang nur das Rentierzüchtervolk der Nenzen lebt, erfordert die Gasgewinnung erhebliche Infrastrukturinvestitionen. Neben der Gasleitung von Jamburg wird eine 2500 Kilometer lange Pipeline errichtet, die die Erdgasfelder Jamals mit Europa verbinden soll; außerdem werden mehrere Flughäfen und Hubschrauberlandeplätze gebaut sowie eine 525 Kilometer lange Eisenbahntrasse, die der Gazprom-Konzern zwischen Labytnangi und Bowanenkowo betreibt (siehe Karte).

Eine neue Gaspipeline soll durch den Arktischen Ozean führen. Die russische Novatek baut gemeinsam mit dem französischen Energieriesen Total und PetroChina eine große Gasverflüssigungsanlage, die jährlich 16,5 Millionen Tonnen Flüssiggas produzieren soll. Im Hafen von Sabetta, der bald per Eisenbahn erreichbar sein wird, soll Platz für 15 Eisbrecher-Gastanker entstehen. Obwohl die ersten Schiffe erst Ende des Jahres geliefert werden, ist ihre Ladung nach Angaben von Total schon für die nächsten zwei Jahrzehnte verkauft.

Der Gasboom macht Salechard und Nowy Urengoi zu den arktischen Städten der Zukunft, wobei es weniger um die Ansiedlung von Menschen geht – die meisten Beschäftigten haben befristete Einsätze.

Le Monde diplomatique vom 08.09.2016