Chronologie eines Verfassungsstreits
von Johanna Fricke
Nachdem am 21. November 2006 Premier Koirala und Maoistenführer Prachanda den zehnjährigen Bürgerkrieg der Kommunistischen Partei Nepals gegen die Monarchie und das Kastensystem beendet hatten, beauftragte das Übergangsparlament 2007 eine verfassunggebende Versammlung. Bei deren konstituierender Sitzung am 28. Mai 2008 erfolgte die offizielle Ausrufung der „Demokratischen Bundesrepublik Nepal“ – die 240 Jahre alte Hindumonarchie war zu Ende. Nach einem jahrelangen Streit innerhalb der Siebenparteienallianz, die seither die Regierungskoalition bildet, wurde am 20. September 2015 Nepals erste demokratische Verfassung verabschiedet. Sie löste die fast zehn Jahre geltende Interimsverfassung ab.
Aus Protest gegen die neue Verfassung blockierten am 23. September 2015 Demonstranten eine Brücke nach Indien, das daraufhin vier Grenzübergänge bis zum 4. Februar 2016 dicht machte. 2000 Lastwagen mit lebensnotwendigen Versorgungsgütern für die Erdbebenopfer wurden nicht nach Nepal durchgelassen.
Da die Madheshi und Tharu ihre Rechte durch die neue Verfassung verletzt sehen, eskalierte der Unmut in gewaltsame Aufstände mit über 50 Toten. Streitpunkte waren erstens die Regelung der Staatsbürgerschaft, nach der Kinder nepalesischer Mütter keine volle Staatsbürgerschaft erhalten können, wenn ihr Vater eine andere Nationalität besitzt, was wegen der offenen Grenze zu Indien bei vielen Terai-Bewohnern der Fall ist.
Der zweite strittige Punkt betraf die ungenügende Repräsentation ethnischer Minderheiten im Parlament – die Anzahl der Sitze richtete sich nach dem geografischen Zuschnitt der Wahlkreise. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt jedoch im dicht besiedelten Terai, mehrheitlich Madheshi oder Nepalesen indischer Abstammung. Drittens ging es um die föderale Aufteilung des Landes in sieben Provinzen – die Madheshi wehren sich gegen die Eingliederung ihrer Siedlungsgebiete in Wahlkreise, die von den Eliten der Mittelgebirge kontrolliert werden.
Am 23. Januar 2016 verabschiedete das Parlament schließlich eine Verfassungsänderung. Etwa die Hälfte der Parlamentssitze sollen Vertretern des Terai vorbehalten sein, der Zuschnitt der Wahlkreise richtet sich nun nach demografischen Kriterien, und ein fester Prozentsatz soll Minderheiten den Zugang zum öffentlichen Dienst erleichtern. Den Madheshi gehen die Änderungen nicht weit genug. Sie fordern mehr Zugeständnisse – vor allem bei der Grenzziehung der neuen Provinzen – und kündigen weitere Protestaktionen an.