11.08.2016

Atlantische Provokationen

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Atlantische Provokationen

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Wollen sich die Regierungschefs der europäischen Nato-Staaten ein Beispiel am ehemaligen EU-Kommis­sions­präsidenten Barroso nehmen, der künftig als Berater und „Präsident ohne Geschäftsbereich“ für Goldman Sachs arbeitet? Haben sie vielleicht den Nato-Gipfel vom 7./8. Juli in Warschau genutzt, um ihren Wechsel zu einer US-Rüstungsfirma vorzubereiten? Eine – hoffentlich – absurde Annahme. Der Nato-Beschluss ist aber kaum weniger absurd: neue multinationale Einheiten mit 4000 Soldaten in Polen und den baltischen Staaten zu stationieren – in Artilleriereichweite von Sankt Petersburg und der russischen Ostseeflotte.

Man kann sich die Verärgerung des Kremls vorstellen. Die Nato, dieses Erbe des Kalten Kriegs, das sich mit dem Ende der UdSSR überlebt hatte, trifft sich ausgerechnet dort, wo im Mai 1955 unter sowjetischer Vorherrschaft der Warschauer Pakt unterzeichnet wurde. Der neue Nato-Oberbefehlshaber in Europa, US-General Scaparrotti, setzte noch eins drauf: Er erklärte, die Kommandostruktur müsse „flexibel genug“ werden für „einen natürlichen Übergang zwischen Frieden, Provokation und Konflikt“.

Apropos Provokation: Eingeladen war auch der Präsident der Ukraine, die nicht zur Nato gehört und in latentem Krieg mit Russland liegt. Der US-Präsident sicherte ihr die Unterstützung in ihrem Bemühen zu, „ihre Souveränität und territoriale Integrität gegen die russische Aggression zu verteidigen“. Die westlichen Sanktionen gegen Moskau bleiben bestehen, „solange Russland seine Verpflichtungen aus den Abkommen von Minsk nicht vollständig erfüllt“. Unerwähnt bleibt, was auf ukrainischer Seite der Annexion der Krim vorausging und dass sie die Abkommen ebenso wenig einhält.

Warum fördern die USA die Spannungen zwischen Europa und Russland? Um jede Annäherung zu verhindern und um nach dem Brexit sicherzugehen, dass ihr engster Verbündeter Großbritannien militärisch mit dem alten Kontinent verbunden bleibt.

Deutschland, das gerade seine Rüstungsausgaben erhöht hat, erklärt im neuen „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“, dass Russland „ohne eine grundlegende Kursänderung [...] auf absehbare Zeit eine Herausforderung für die Sicherheit auf unserem Kontinent“ darstelle. Man ist versucht, diese Formulierung auf die ganze Nato zu übertragen.

Das Säbelrasseln wurde übertönt von anderem Lärm. Präsident Obama musste seine Europareise nach der Ermordung der Polizisten in Dallas abkürzen. Und Präsident Hollande sprach am französischen Nationalfeiertag – wenige Stunden vor dem Massaker in Nizza – über das Gehalt seines Friseurs. Über den Warschauer Gipfel, als sich auch Frankreich zur Entsendung von Truppen ins Baltikum verpflichtet hatte, verlor er kein Wort. ⇥Serge Halimi

Le Monde diplomatique vom 11.08.2016