Strom für Plan Grande
von Thelma Mejía
Das kleine Fischerdorf Plan Grande an der Atlantikküste von Honduras ist zum Vorzeigemodell geworden. Seinen Bewohnern ist es gelungen, Kerzenlicht und die schmutzige und teure Energie, auf die sie ohnehin nur drei Stunden in der Woche Zugriff hatten, hinter sich zu lassen und ihre eigenen Regeln für Stromverbrauch und Umweltschutz aufzustellen.
Plan Grande ist Teil der Gemeinde Santa Fe im nördlichen Verwaltungsbezirk Colón und nur über den Wasserweg zu erreichen: Von der Hauptstadt Tegucigalpa aus muss man zunächst rund 400 Kilometer mit dem Auto über kleine, teilweise verschlungene Straßen bis Río Coco an der karibischen Küste fahren. Am nächsten Tag kann man dann von hier aus das Boot nehmen, das einen in zwanzig Minuten zu dem Fischerdorf bringt.
Es ist 6 Uhr morgens, Sonnenaufgang. Das Meer ist ruhig. Gutes Wetter, um hinauszufahren, sagen die Bootsführer, und erzählen, dass es hier früher Manatis gegeben habe, Rundschwanzseekühe. Aber die seien mit der Zeit verschwunden, ausgestorben, wegen der Umweltzerstörung, sagen sie.
Plan Grande mit seinen etwa 500 Einwohnern liegt eingebettet zwischen den hohen, der Karibik zugewandten Klippen. Während der Überfahrt beobachten wir, wie Möwen am Himmel ihre Sturzflüge vollführen, und sehen die Fischer in ihren Einbäumen und Kähnen vom nächtlichen Fang zurückkehren. Viel größere Fischerboote, die bis zu acht Monate unterwegs sind, befinden sich weit draußen.
Fischfang und Landwirtschaft, das sind hier die einzigen Einkommensquellen. Deshalb ist Elektrizität auch von so eminenter Bedeutung. Denn bis vor Kurzem konnten die Fischer ihren Fang nicht einmal kühlen und waren deshalb gezwungen, ihn so schnell wie möglich loszuschlagen. Das heißt auch: schnell und billig. „Wir hatten praktisch keinen Verhandlungsspielraum, unsere ganze Arbeit wäre sonst vergeblich gewesen“, erzählt uns Óscar Padilla, Dorfvorstand und Hauptinitiator des Wandels in Plan Grande.
Bis 2004, also bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts, musste das Dorf warten, bis es einen Stromanschluss bekam, dank eines spanisches Entwicklungshilfeprojekts. Der Strom stammte aus einem Wärmekraftwerk und war, wie die Leute schmunzelnd erzählen, nur „halber Strom“, da er viel Geld kostete: Für nur drei Stunden Beleuchtung in der Woche musste jeder Haushalt im Schnitt 13 bis 17 Dollar bezahlen.
„Weder für Fernseher noch für Kühlschränke hat es gereicht, gerade mal die Straßenlaternen waren drin, der Strom war einfach viel zu teuer. Aber unsere Lebensmittel halten sich ohne Kühlung hier nicht lange, das Fleisch und die Milchprodukte verderben sehr schnell“, berichtet der 65-jährige Padilla.
Doch im Jahr 2011 entscheiden sich die Einwohner von Plan Grande für Strom aus Wasserkraft. Technisches Fachpersonal vom SGP (Small Grants Programme, ein Mikrokredit-Programm), das von der GEF, der Globalen Umweltfazilität, und dem UNDP, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, gefördert wird, legte den Leuten nahe, die natürlichen Wasservorkommen in der Region zu nutzen und ein gemeinschaftliches Wasserkraftwerk zu bauen.
Tiefkühlen ist nur nachts erlaubt
Die gesamte Dorfgemeinschaft stimmte dem Vorschlag zu und entwickelte ihr ganz eigenes Projekt in Sachen erneuerbarer Energie und Nachhaltigkeit. Mit 30 000 Dollar an Spendengeldern vom SGP und in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sowie der Honduranischen Stiftung für Agrarforschung konnten sich die Bewohner von Plan Grande von Kerzen und Wärmekraft befreien. Ihr neues Miniwasserkraftwerk befindet sich zweieinhalb Kilometer vom Dorf entfernt und ist über einen Weg durch den 300 Hektar großen Wald rund um den Río Matías zu erreichen, der auch das Wasserkraftwerk speist.
Jetzt können die Dorfbewohner Licht anschalten, wann immer sie wollen. „Unser Leben hat sich völlig verändert“, sagt Edgardo Padilla, der Sohn des Initiators. „Wir haben jetzt Strom rund um die Uhr und können Kühlschränke und Tiefkühler, Ventilatoren und sogar Fernseher benutzen. Wir achten dabei aber auf einen maßvollen Gebrauch, wir haben Regeln aufgestellt, an die sich jeder hier hält. Sonst würde der Energieverbrauch in die Höhe schnellen, und wir stünden vor dem nächsten Problem“, erklärt der 33-jährige Fischer, den man mit der Wartung des Miniwasserkraftwerks betraut hat.
Diese Regeln sind genaue Verbrauchs- und Sparrichtlinien. Sie bestehen zum Beispiel in einem festen Zeitplan, der vorgibt, wann Telenovelas angesehen, wann Lebensmittel gekühlt oder Ventilatoren eingeschaltet werden dürfen. „Nur von zehn Uhr abends bis sechs Uhr morgens, also zu den Zeiten geringen Energiebedarfs, dürfen die Tiefkühler in Betrieb genommen werden.
Klimaanlagen dürfen gar nicht installiert werden, da diese sehr viel Strom fressen; als Leuchtmittel müssen spezielle Energiesparlampen verwendet werden, und auch die Kühlschränke müssen bestimmte Energiesparkriterien erfüllen“, erläutert Edgardo Padilla; und er sagt, dass im Dorf großer Wert auf Transparenz und Rechenschaftspflicht gelegt werde.
Die neue Energiequelle hat enorme Vorteile. „Früher haben wir für drei Stunden Strom in der Woche 260 Lempiras (17 Dollar) bezahlt, jetzt sind es nur noch 100 Lempiras (4 Dollar) für Strom rund um die Uhr“, freut sich der junge Mann.
Die Bewohner von Plan Grande haben sich zudem einen Staffeltarif ausgedacht. Wer Kühlschrank, Ventilator, Computer und Tiefkühlschrank besitzt, zahlt einen Tarif von 11 Dollar, wer nur einen Ventilator und einen Fernseher hat, 6 Dollar, und wer nur Strom für Glühbirnen oder Lampen benötigt, 4 Dollar.
Überdies gibt es ein vom Dorf initiiertes und umgesetztes Naturschutzprojekt: In der Umgebung des Flusses wurden Überwachungskameras installiert, mit denen die Fauna in der Region beobachtet wird. So wird kontrolliert, ob jemand dort unerlaubt Bäume fällt.
Belkys García leitet die Baumschule, die 2014 angelegt wurde, um Nutzholzbäume zu pflanzen: Kiefern und andere Baumarten, mit denen der Wald aufgeforstet werden kann, sodass die Natur in der Umgebung erhalten bleibt. Sie organisiert die Pflege der Bäume und die Aufforstungsarbeiten, an denen sich sämtliche Dorfbewohner beteiligen.
Während sie die jungen Bäumchen wässert, erklärt uns Garcia, wie das Gemeinschaftsmodell funktioniert: „Wenn jemand nicht kommt, der zum Arbeiten oder Saubermachen in der Baumschule oder zur Instandhaltung der Straßen und Wege zum Wasserwerk eingeteilt wurde, muss er den Arbeitstag bezahlen. Wir packen hier alle mit an.“ Mit der Baumschule wolle man sich auch unternehmerisch in andere Wirtschaftszweige vorwagen, zum Beispiel den Rambutan-Anbau. Diese tropische Pflanze (Nephelium lappaceum) trägt stachelige, wohlschmeckende Früchte, die in Geschmack und Konsistenz den Litschis ähneln.
Die Bevölkerung in Plan Grande ist gemischter Herkunft, die meisten Menschen in der Gemeinde Santa Fe zählen zu den Garifuna, einer der sieben Bevölkerungsgruppen in Honduras.
Die Garifuna stammen von Kariben ab, die im 17. Jahrhundert schiffbrüchige afrikanische Sklaven auf ihrer Insel aufnahmen und mit ihnen Familien gründeten. Der Gemeindevorsteher von Santa Fe, der Garifuna Noel Ruíz, ist sehr stolz auf das Dorf. „Es ist ein Vorbild für das ganze Land in der Nutzung sauberer Energie“, betont er. „Hier zu investieren lohnt sich. Es ist eine engagierte Dorfgemeinschaft, und ihre Anführer sind verantwortungsvoll, halten sehr viel von Transparenz und sie lieben die Natur – drei Dinge, die man selten zusammen hat.“
Der 44-jährige Diplomlandwirt Ruiz, der selbst schon zweimal wiedergewählt wurde, sieht Plan Grande auf dem richtigen Weg: „Diese Leute sind glücklich. Während es überall im Land Probleme mit der Energieversorgung gibt, haben sie die ihren gelöst. Und sie haben verstanden, dass der Erhalt der Natur und das Wohlergehen der Menschen zusammenhängen.“
Der Energiebedarf der knapp 9 Millionen Einwohner von Honduras beläuft sich auf etwa 5 Millionen Megawattstunden pro Jahr. 60 Prozent davon erzeugt der staatliche Stromversorger Enee (Empresa Nacional de Energía Eléctrica). Der Rest stammt von Privatunternehmen oder muss aus anderen mittelamerikanischen Staaten zugeführt werden.
Der Strom speist sich aus vier verschiedenen Quellen: Wasser, Wind, Biomasse und Kohle. Bis 2010 stammten noch 70 Prozent der Elektrizität aus fossilen Brennstoffen und 30 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Doch seit 2013 beginnt sich das Verhältnis umzukehren: Ende 2015 kamen noch 51 Prozent des Stroms aus Kohlekraftwerken, der Rest aus erneuerbaren Energiequellen.
Plan Grande ist ein Musterbeispiel für besonnenen Stromverbrauch und den sinnvollen Ausbau regenerativer Energien. Das abgelegene Dorf verfügt inzwischen sogar über eine eigene Bäckerei. Die 55-jährige Dorfbewohnerin Julia Baños ist noch immer begeistert. „Ich hätte mir als Kind nie träumen lassen, dass ich die Kerzen einmal durch Glühbirnen ersetzen würde. Wie sich alles verändert hat!“
Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek
Thelma Mejía ist Journalistin in Tegucigalpa, Honduras.
Diese Reportage ist Teil einer Serie, die in Zusammenarbeit mit Ecosocialist Horizons entstand. Sie erschien im Oktober 2015 auf der Website der International News Agency.
© IPS News
© Für die deutsche Übersetzung Le Monde diplomatique, Berlin