11.02.2016

Tutsi und Hutu

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Tutsi und Hutu

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Soziologen und Historiker haben hinreichend belegt, dass Tutsi und Hutu weder Stämme noch Ethnien sind: Sie stammen nicht aus unterschiedlichen Gebieten, sie haben dieselbe Sprache, dieselbe Kultur und dieselben religiösen Vorstellungen. Es handelt sich auch nicht um Kasten, denn Eheschließungen zwischen den beiden Gruppen waren seit jeher sehr häufig. Der zutreffendste Begriff wäre deshalb „Stände“, vergleichbar mit der Ständeordnung, die im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa die Beziehungen sowohl innerhalb der Stände (Klerus, Adel, Bürgertum) als auch die zwischen den Ständen regelte.

In Ruanda lebten die bäuerlichen Hutu wegen der brutalen informellen Verträge zwischen Patron und Klient (ubuhake) in einem fast sklavenartigen Zustand. In Burundi hingegen legte der Ubugabire-Vertrag erträglichere Bedingungen fest: Die Arbeit war zeitlich begrenzt und wurde in Naturalien entlohnt.

Ein weiterer wichtiger Unterschied bestand darin, dass das von 1350 bis 1962 existierende Königreich Ruanda zahl- reiche Kriege führte. Es stand dauernd in Konflikt mit seinen Nachbarn, den Königreichen Nkore (im heutigen Uganda), Karagwe (im Nordwesten des heutigen Tansania) und Kivu (im Kongo). Ruanda war gewissermaßen das Preußen Ostafrikas.

Burundi verhielt sich deutlich friedfertiger und musste sich manchmal gegen Ruanda verteidigen. Außerdem war die königliche Dynastie in Ruanda eindeutig als Tutsi anerkannt, während in Burundi das Herrschergeschlecht der Ganwa weder den Tutsi noch den Hutu zugerechnet wurde, sondern als eine eigene Gruppe galt, die die nationale Identität verkörperte. ⇥G.P.

Le Monde diplomatique vom 11.02.2016