10.12.2015

Krieg um Rohstoffe

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Krieg um Rohstoffe

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Als am 14. Februar 1879 zehntausend chilenische Soldaten im bolivianischen Hafen Antofagasta an Land gingen, stießen sie auf keinerlei Widerstand. Das war kein Zufall: Etwa 6500 der 8500 Einwohner der Stadt waren Chilenen, was mit der geografischen Lage zu tun hatte. Antofagasta war von der chilenischen Küste her viel leichter zu erreichen als von der bolivianischen Hochebene über die Anden und durch die Atacama-Wüste. In der Atacama herrscht die geringste organische Dichte des gesamten Globus. Obgleich es dort praktisch keine Lebewesen gibt, entdeckte man Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich wirtschaftliches Potenzial: Man fand Salpeter (ein Bestandteil von Dynamit), Guano (Exkremente von Seevögeln, die als Dünger dienen) und vor allem Silber. Zahllose Waggons mit Erz fuhren täglich von den Bergwerken in Caracoles nach Antofagasta. Chilenische Siedler, aber auch britische Abenteurer strömten in die Region.

Zu dieser Zeit folgte in La Paz ein Staatsstreich auf den anderen, und keiner der Diktatoren scherte sich um die Gesetze und Versprechen seines Vorgängers. Als die bolivianische Regierung von den chilenischen Unternehmen vertragswidrig eine Exportsteuer von 10 Centavos pro Zentner Salpeter erhob, weigerte sich die (englisch-chilenische) Salpeter- und Eisenbahngesellschaft von Antofagasta (CSFA) zu bezahlen. Daraufhin verfügte La Paz deren Enteignung. Zusätzlich sah Chile durch die Allianz zwischen Boli­vien und dem großen Rivalen Peru seine wirtschaftlichen Interessen gefährdet. So begann der Krieg, den die einen (Bolivien, Peru) Salpeter- und Guanokrieg nennen, die anderen den pazifischen Krieg (Chile).

Die chilenische Armee, ausgebildet von ehemaligen preußischen Offizieren, rückte rasch vor. Die pazifische Küstenregion ist weitläufig, zudem extrem wasserarm und sehr weit von der bolivianischen Hauptstadt entfernt. Da man keine Telegrafen besaß, war die Kommunikation mangelhaft: Die Nachricht, dass die Chilenen die Silberminen von Caracoles eingenommen hatten, erreichte La Paz erst zehn Tage später. Bolivien und Peru leisteten Widerstand, so lange sie konnten. Aber am 7. Juni 1880 wurde die chilenische Flagge in der peruanischen Hafenstadt Arica gehisst, im Januar 1881 sogar Lima kurzfristig besetzt.

Peru unterzeichnete 1883 einen Friedensvertrag, Bolivien im folgenden Jahr ein Waffenstillstandsabkommen, mit dem es 400 Kilometer Küste und 120 000 Quadratkilometer Fläche abtrat, ein Zehntel seines Territoriums. Ein US-Unternehmen begann 1912, die riesigen Kupfervorkommen von Chuquicamata im annektierten Gebiet auszubeuten. Es ist der größte Kupfertagebau der Welt.

Abraham Koenig, der chilenische Gesandte in La Paz, hatte im Jahr 1900 verkündet: „Chile hält dieses Küstengebiet besetzt, dessen es sich mit dem gleichen Recht bemächtigt hat wie Deutschland, als es Elsass-Lothringen annektierte. Unsere Rechte wurzeln im Sieg, dem obersten Gesetz der Völker. Dass diese Küste reich und Millionen wert ist, wissen wir sehr wohl.“ 1904 unterzeichneten Chile und Bolivien einen „Friedens-, Freundschafts- und Handelsvertrag“, in dem La Paz ein „freier Durchgang“ zum Meer zugestanden wurde.⇥C. G.

Le Monde diplomatique vom 10.12.2015