Wahre und wütende Finnen
von Mika Rönkkö Rönkkö
Vermutlich hat sich der Parteivorsitzende der Wahren Finnen Timo Soini gehörig an seinem Kaffee verschluckt, als eine Verlautbarung des Abgeordneten Olli Immonen mitten ins Sommerloch platzte: „Ich träume von einer starken, mutigen Nation, die den Albtraum des Multikulturalismus besiegen wird. Diese hässliche Blase voller Feinde wird bald in eine Million Teile zerspringen.“ Und weiter: „Ich glaube fest an meine Mitstreiter. Wir kämpfen bis zum Ende für unsere Heimat und eine wahre finnische Nation. Wir werden siegen.“ Das Facebook-Posting schaffte es sofort auf alle Titelseiten.
Wir sind es in Finnland ja mittlerweile gewohnt, dass Mitglieder der Wahren Finnen mit rassistischen oder frauenfeindlichen Parolen ausfallend werden. Alle Appelle und Forderungen an die Partei, sich klar von rechtsradikalen Hetzereien zu distanzieren, haben bisher kaum gefruchtet. Aber diese klar nationalsozialistische Kampfansage, ausgerechnet nach den Gedenktagen zum 4. Jahrestag des Massakers auf Utøya, war zu viel. Selbst für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk YLE, der fremdenfeindliche Äußerungen toleriert und bei dem Immonen damals noch mit im Kontrollausschuss saß.
Mit den Parlamentswahlen in diesem Frühjahr ist die rechtspopulistische Partei der Wahren Finnen in der Mitte der finnischen Politik angekommen. Der Wahlsieg der Zentrumspartei Keskusta – einer ehemaligen Bauernpartei – katapultierte sowohl die Wahren Finnen als auch die konservative Kokoomus-Partei als Koalitionspartner in die neue Rechtsregierung: nach ihrem Führungstrio Sipilä (Keskusta) – Soini (Finnen) – und Stubb (Kokoomus) wird sie die „SSS-Koalition“ genannt.
Gleich im Frühsommer machte sich die neue Regierung mit beispiellosen Sparmaßnahmen und einem ehrgeizigen Konjunkturprogramm ans Werk, was in einem „Sozialvertrag“ festgeschrieben wurde. Auf dessen Grundlage versuchte man die Zustimmung der Gewerkschaften für Lohnkürzungen und längere Arbeitszeiten zu erzwingen. Andernfalls sei mit weiteren Einsparungen und Steuererhöhungen zu rechnen. Immerhin: Die Gewerkschaften ließen sich nicht erpressen.
Die radikalen Maßnahmen der Regierung entspringen den Ideen des Ingenieurs und Unternehmers Juha Sipilä, und der neoliberale Wortführer der Kokoomus-Partei, Alexander Stubb, soll sie jetzt als Finanzminister umsetzen. Er kann das derzeit ziemlich ungestört tun, da die Öffentlichkeit vor allem mit den Streitereien seiner Regierungskumpane beschäftigt ist.
Politikwissenschaftler fragen sich schon länger, wie es die Wahren Finnen geschafft haben, ein derart rechtsorientiertes Regierungsprogramm in der Koalition durchzusetzen. Die Partei, die als sozialismusfreier Fürsprecher des Volks auftritt, will vor allem die „kleinen Leute“ ansprechen: Geringverdiener, Arbeitslose, Rentner und Auszubildende.
Ihr Chef Timo Soini wusste genau, was er tat, als er sich für den Posten des Außenministers entschied: Hier kann er sich elegant aus den innenpolitischen Turbulenzen heraushalten. Er hat seinen Traumjob bekommen, den er höchstens gegen den des Präsidenten tauschen würde. Als Außenminister kann Soini auch seinem Lieblingsthema treu bleiben: der Europäischen Union Entscheidungskompetenzen entziehen und stattdessen die Nationalstaaten stärken.
Als Erste haben die Griechen Soinis Engagement zu spüren bekommen: Er tat sein Bestes, um die „griechischen Kommunisten“ aus dem Euro zu drängen. Vor allem auf Druck seiner Partei versuchte Finnland die Kreditvereinbarungen zu torpedieren. Fast wäre es zu einer Regierungskrise gekommen; am Ende lenkte der Außenminister ein – nach schwerem inneren Ringen: „Wir hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera.“ Die Wahren Finnen akzeptierten das neue Hilfspaket zähneknirschend.
Die Partei setzt auf die schillernde Persönlichkeit ihres Chefs. Soini ist ein genialer Stratege und konsequent wertkonservativ: gegen Frauen im Pfarramt, gegen Homo-Ehe, gegen Abtreibung und gegen Sterbehilfe. Seine populistischen Versprechungen finden viel Beachtung in den Medien – ebenso wie die kulturkritischen Schmähreden anderer führender Parteimitglieder.
Doch die „Einwanderungskritiker“ in der Partei, die Soini erst zu seinem historischen Wahlsieg verholfen haben, sind jetzt seine größte Sorge: Auch wenn der Parteichef sich stets verbittet, als Rassist bezeichnet zu werden, muss er sich die Frage gefallen lassen, warum er seine erzradikalen Parteimitglieder nicht in die Schranken weist.
Soini, der vor Kurzem noch ein völlig Unbekannter war, hat es geschafft, verschiedenste Gruppen in seiner Partei zu vereinen; nun zahlt er dafür einen hohen Preis: Der rechte Flügel hat die Agenda gekapert, und der Vorsitzende hat seine Einwanderungspolitik entsprechend angepasst. Mindestens ein Viertel der Abgeordneten der Wahren Finnen zählt zu den „Einwanderungskritikern“. Einer der großen Streitpunkte ist die Flüchtlingspolitik. Finnland ist eines der 25 Länder der Welt, die Flüchtlinge entsprechend einer vom Parlament festgelegten Quote aufnehmen. Diese Quote hat sich von circa 1000 im vergangenen auf 750 im laufenden Jahr reduziert.
Auch wenn Olli Immonens Hetze vor allem in den sozialen Medien ein großes Echo ausgelöst hat, konnte sich Timo Soini mal wieder geschickt aus der Affäre ziehen: Zwar hat er sich über Immonen geärgert – direkt verurteilt hat er seine Äußerungen aber nicht. Bereits beim Parteitag im August anlässlich des 20-jährigen Gründungstags der Wahren Finnen musste er einsehen, dass er den rechten Flügel nicht kaltstellen kann, ohne die Partei zu spalten.
Immonen ist am rechten Rand äußerst aktiv: Er ist Sprecher eines rechtsgerichteten Vereins namens „Sisu“ (etwa „ausdauernde Kraft“), dem viele seiner „Finnen“-Freunde anhängen oder auch angehören. Und er posiert auf Fotos mit Mitgliedern der nationalsozialistischen „Widerstandsbewegung“ (Suomen Vastarintaliike).
Neonazistisches Gedankengut ist unter den „Einwanderungskritikern“ innerhalb der Partei zunehmend verbreitet. Der ideologische Kopf des rechten Flügels ist der EU-Abgeordnete Jussi Halla-aho, der vor allem als Internetrebell bekannt geworden ist. Halla-aho betreibt seit 2004 das Blog „Scripta – kirjoituksia uppoavasta Lännestä“ (Scripta – Notizen aus dem untergehenden Abendland). Das oberste Gericht hat Hallo-aho inzwischen wegen Missachtung der Religionsfreiheit sowie wegen Volksverhetzung verurteilt. Bemerkenswert ist, dass Halla-aho beim Parteitag im August nicht offen kritisiert wurde; im Gegenteil, er ist zu einem der Favoriten aufgestiegen.
Auf massiven öffentlichen Druck ist Olli Immonen am 26. August schließlich aus der Parlamentsfraktion ausgetreten – allerdings nur für zwei Monate. Der Parteisprecher der Wahren Finnen, weit davon entfernt, Immonens Äußerungen zu verurteilen, verlas eine Liste mit dreizehn Namen von Politikern, Akademikern und Journalisten, denen er vorwarf, die Partei zu verunglimpfen, Hass zu predigen – insbesondere gegenüber Immonen – und überhaupt „die Nation zu spalten“.
Mit dem Erdrutschsieg der Wahren Finnen veränderte sich die gesamte politische Landschaft, während der breiten Öffentlichkeit die Tatsache, dass Finnland in eine strukturelle Wirtschaftskrise geschlittert war, erst bewusst wurde. Meinungsmache und populistische Parolen über den Werteverfall in der Gesellschaft bestimmen nun die Agenda, sachliche wirtschaftspolitische Diskussionen sind in den Hintergrund gerückt.
Derweil hat die Zustimmung für die finnischen Linken einen Tiefstand erreicht: Die sozialdemokratische SDP und die Linke kamen bei der Parlamentswahl zusammen auf gerade einmal 23 Prozent der Stimmen, die Wahren Finnen allein auf knapp 18 Prozent – das heißt auf 38 von 200 Sitzen.
Zu diesem Niedergang der Linken trägt Putin bei – mit seiner unseligen Außenpolitik, die nationale Gefühle in den Ländern Nordeuropas hochkochen lässt. Die Wahren Finnen wie die Schwedendemokraten verdanken ihm viel von ihrer unerwarteten Popularität. Der Verteidigungsminister der SSS-Regierung, Jussi Niinistö, ist ein extrem patriotischer Historiker, der die Gefahr einer russischen Militärintervention genüsslich an die Wand malt. (Fairerweise muss gesagt werden, dass Putin nichts getan hat, um diese Ängste zu beschwichtigen.) Also spart SSS bei Bildung und Sozialausgaben und investiert in neue Waffen, Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge. Nach dem Motto von Niinistö: „Ei oikeaan, ei vasempaan vaan suoraan eestä Suomenmaan!“ (Nicht rechts, nicht links, sondern geradeaus für das finnische Vaterland.)
Aus dem Finnischen von Jenni Roth
Mika Rönkkö leitet die finnische Ausgabe von Le Monde diplomatique.
© Le Monde diplomatique, Berlin