Brief aus Douala
von Prinz Kum’a Ndumbe III.
Ich saß im Flugzeug von Paris nach Douala neben einem jungen Franzosen, um die dreißig, unrasiert oder mit anfänglichem Bart. Er hatte kein Reisefieber und saß so gelassen neben mir, als würde er diese Strecke sehr oft fliegen. Florent erzählte, ein sechsmonatiges Praktikum in Kamerun hinter sich zu haben, nun habe er einen festen Vertrag, um im tiefsten Wald an der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik Bäume in einem französischen Privatbesitz zu fällen und nach Europa zu exportieren. Ja, die Firma hat hunderte von Hektar Urwald gekauft. Da hatte noch niemand zuvor in diesen Wald seinen Fuß gesetzt, meinte Florent ganz stolz. Und alles wird sehr professionell durchgeführt. Mit GPS und Satelliten, da kann man sich im Urwald gar nicht verlieren, die Bäume werden identifiziert, markiert und gefällt. Der Wald wird in dreißig Zonen eingeteilt. Jedes Jahr wird nur eine Zone niedergewalzt. Dann kommt die nächste dran. Die Firma muss danach wieder aufholzen und die Zone dreißig Jahre ruhen lassen. Kameruns Behörden sollen streng darüber wachen. Ob die im Lande so verbreitete Korruption eine effiziente Kontrolle erlaubt? Florent lächelt nur, „so ist halt das Leben!“
Ob er weiß, dass Bäume bei uns heilig sind, zur Harmonie der Schöpfung beitragen, zum Gleichgewicht des menschlichen Lebens führen? Auf die Diskussion will er sich nicht einlassen, es geht um Wirtschaft und nicht um Gefühlsduselei, und er ist sehr glücklich, nach seinem Master so einen tollen Job gefunden zu haben. Er bleibt drei Monate im Wald, dann darf er zwei Monate nach Europa, dann muss er wiederkommen. Nicht mal gegen Malaria braucht er Medikamente aus der Heimat. Die Bauern im Urwald kombinieren drei verschiedene Pflanzen und werden nie malariakrank. Florent auch nicht, denn er unterzieht sich dieser Therapie. Die Biodiversität in diesem Urwald ist überhaupt sagenhaft. Dreißigtausend Heilpflanzen gibt es in den Wäldern Kameruns. Vierzigtausend weltweit, heißt es. Da sollte die Pharmaindustrie des Nordens doch alle diese Wälder kaufen!
Am Flughafen von Douala sprachen alle nur vom Fußballspiel Kamerun gegen Marokko. Wer wird sich für die WM in Südafrika qualifizieren? Der Taxifahrer, der mich nach Bonabéri auf die andere Seite der Brücke brachte, meinte, in einem Land wird es Leute geben, die nach dem Spiel bitter weinen, im anderen überglückliche Menschen, die tanzend eine Flasche Bier in der Hand schwingen. Kamerun, eine Fußballnation ohne Stadien. Seit 1972 keine internationale Fußballmeisterschaft im Land. Kühe weiden manchmal am Stadium Mbape Lepé in Douala, auf der anderen Seite des katholischen Doms. Nun sind die Chinesen da. Nach dem ultramodernen Sportpalast in Yaoundé werden sie mehrere Stadien bauen, kündigte der Wirtschaftsminister an. Aber das Spiel Kamerun gegen Marokko wird niemand verpassen. Nicht einmal der Staatspräsident. Da braucht ein Taxifahrer gar nicht zu fahren!
Männer hatten sich in den Farben der Nationalflagge bemalt, trugen Riesenfahnen auf den Straßen, Frauen hatten sich Kleider nähen lassen, die oben grün, in der Mitte rot mit gelbem Stern und unten gelb waren. Dichte Menschenmengen versammelten sich um die Fernseher in den kleinen Verkaufsständen am Straßenrand und hörten dem Kommentator des Staatsfernsehens CRTV zu. 390 000 Euro sollen für die Übertragung gezahlt worden sein. Nach zehn Minuten Kommentar ohne Bild an diesem traurigen 15. November stand auf dem Bildschirm nur noch: Kamerun gegen Marokko. Aus dem Radio erfuhr man, dass Webo ein Tor geschossen hatte. Irgendwann in der zweiten Hälfte war das Spiel endlich zu sehen. Das Tor von Eto’o, der bei Inter Mailand spielt, konnten wir alle mitverfolgen. Aber die so bekannte Euphorie, wenn unsere Nationalelf spielt, war irgendwie verflogen. Eine ganze Halbzeit ohne Bild! Wir waren kurz vor einem gewaltsamen Volksaufstand. Zum Glück: Zum sechsten Mal wird Kamerun an einer Fußballweltmeisterschaft teilnehmen. Das Ergebnis genügte. Der Staatspräsident gratulierte und spornte seine Mitbürger an, den „Geist des Löwen“ in sich zu tragen, um zukünftige Aufgaben meistern zu können. Zu diesen Aufgaben gehört auch seine Wiederwahl im Jahr 2011. Kamerun wird ja für seine Stabilität gelobt. Seit 1958 regierten nur zwei Staatspräsidenten, Ahmadou Ahidjo bis 1982, und seitdem Paul Biya, der gerade sein 27. Jahr im Amt unter dem Banner der „großen Ambitionen“ gefeiert hat.
An diesem 15. November waren alle Kirchen voll. Die Christen haben Aufwind in diesem Kampf der Kulturen. 9,3 Millionen Christen an der Zahl, darunter 4,7 Millionen Katholiken, gegenüber 3,3 Millionen Muslimen, bei insgesamt 16,3 Millionen Einwohnern. Hier werden ausgewählte Feiertage beider Religionen offiziell gefeiert, und man lebt in Frieden miteinander. Über 81 christliche Kirchen und Neukirchen wetteifern um das Geld der Gläubigen, die Pfingstler aus Nordamerika sammeln schon mindestens ein Zehntel des Gehalts ein. So kommen beträchtliche Summen auch für die Investitionen dieser Kirchen zusammen. Es wird überall gesammelt. Nicht nur anlässlich von Gottesdiensten, sondern auch bei Beerdigungen, Taufen, Heiratszeremonien. Mit der großen Arbeitslosigkeit ist die Gründung von kleinen Kirchen oder Sekten eine gute Alternative geworden. Auch das eigene Wohnzimmer darf herhalten und den Pastor versorgen. Die Frau wacht darüber, dass die Kasse stimmt. Viele christliche Radiosender laden den Bürger zum Gebet ein, zur Bibelstunde, zur Abkehr von verteufelten afrikanischen Traditionen, und versprechen das Heil, wenn man Mitglied der „wahren Kirche Gottes“ wird.
Die Banken haben es den Kirchen lange vorgemacht. Wer hier als Ausländer Geschäfte machen will, braucht kein Vermögen mitzubringen. Es reicht, eine Bank vor Ort zu gründen, Gelder zu mobilisieren und etwas Startkapital zu investieren, möglichst so, dass Kredite die eigene Investition, aber nicht einheimische Firmen finanzieren – es sei denn, wichtige lokale Partner haben Anteile. Banken schwimmen in Überliquidität im entwicklungsbedürftigen Kamerun. Aber es fehlt an Vertrauen, um kamerunischen Firmen Kredite zu gewähren, heißt es. Und wenn das Geschäft am Ende ist oder weniger rentabel, schließt die Bank, und der ausländische Investor verabschiedet sich.
Wie das alles funktioniert, warum das Land so bangt in Unterentwicklung, obwohl es Rohstoffe im Überfluss und viele gut ausgebildete Fachkräfte gibt, das ist zu viel für die Bürger. Religion und Fußball, das beschäftigt die Leute genug, auch die Elite, die das gar nicht schlecht findet. Sie spendet reichlich, oft vom veruntreuten Geld, und freut sich über ihren Ehrenplatz in der Kirche oder der Moschee. Aber auch als Elite muss man genau aufpassen.
Lobeshymnen singen ist zur Gewohnheit geworden, wenn man mit einer guten Stelle liebäugelt. Am besten tötet man den kritischen Geist in sich selbst, freiwillig, dann steigt man auf und beruhigt die eigene Familie damit, dass man es zu was gebracht hat. Dann darf man die teuren Luxuswagen zu Hause vorzeigen. Man braucht nicht genau hinzuschauen, wie die Straßen aussehen. Als würden Bomben eingeschlagen oder kleine Seen sich an Stellen eingenistet haben, auf denen man eigentlich fahren oder gehen sollte. Der Lateritboden färbt die Motorräder mit einem lehmigen Rot. Die Taxis haben sich verabschiedet, sie wählen nur noch die selten gewordenen schön asphaltierten Straßen aus. Auf dem Motorrad hinten sitzen der Fahrer und drei Mitfahrer, vorne steht das Gepäck der Fahrgäste. Augen zudrücken, wenn sogar Babys oder kleine Kinder mittransportiert werden. Auf gut Glück hoffen, dass kein Unfall gebaut wird. Viele Experten kommen aus Europa und Nordamerika und sagen uns, wie wir unsere Probleme lösen könnten. Irgendwie müssen sie es wohl wissen.
Vorige Woche kam ein Herr Doktor aus Heidelberg und erzählte uns, wie es war beim Fall der Mauer in Berlin vor 20 Jahren. Er war selber 13 damals. Die Wende schlug ja große Wellen bis nach Kamerun. Der Demokratisierungsprozess wurde eingeleitet. Bis zu 207 politische Parteien gibt es hier im Jahr 2009, Wahlen werden regelmäßig organisiert, eine beträchtliche Anzahl von Zeitungen trägt zur politischen Bildung bei, die Medienvielfalt hat sich etabliert. Das verdankt auch Kamerun dem Geist der Wende nach dem 9. November 1989. Begeisterte Menschen in einem überfüllten Saal verfolgten die Debatte.
Aber auch diese Debatte im deutschen Seemannsheim in Douala hatte eine Wende. Jemand äußerte die Meinung, dass die alte Kolonialmacht die Kameruner bei der Unabhängigkeit von 1960 betrogen habe, dass diese ermordet, verfolgt und ins Exil geschickt wurden, gerade weil sie Meinungsfreiheit, Pluralismus und freie Wahlen forderten. Der Kalte Krieg wollte aber nur Diktatoren in Afrika, die eine feste Bindung an den Westen zuließen. Und diese Forderungen und Kämpfe hatten nie aufgehört, sie haben nicht erst 1989 angefangen. Nur war in Kamerun danach kein „kommunistischer“ Feind mehr in Sicht, und neue Gesetze einer kontrollierten Demokratisierung wurden 1990 erlassen. Wir wählen fleißig. Immer wieder. Auch das ist Demokratie, wenn gewählt werden darf, und es kommt zu keinem Regierungswechsel.
Beste Grüße aus dem feuchtwarmen und lebensfrohen Douala!
Kum’a Ndumbe III. ist Prinz der Bele Bele in Kamerun, Schriftsteller und Universitätsprofessor. Er schreibt auf Douala, Deutsch, Französisch und Englisch (siehe: www.africavenir.org und www.exchange-dialogue.com). © Le Monde diplomatique, Berlin