13.07.2007

Welches Kosovo?

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Welches Kosovo?

von Ignacio Ramonet

von Ignacio Ramonetvon Ignacio Ramonet

Acht Jahre lang blieb die heikle Kosovo-Frage unerledigt, jetzt ist sie wieder ins Zentrum der internationalen Politik gerückt. Noch berauscht von dem triumphalen Empfang, der ihm am 10. Juni in der albanischen Hauptstadt Tirana bereitet wurde, hat US-Präsident George W. Bush seine Amtskollegen mit der Erklärung aufgeschreckt: „Irgendwann und eher früher als später muss man sagen: Es reicht. Der Kosovo ist unabhängig, wir haben es so beschlossen.“ Die Botschaft ist klar: Washington droht, den Kosovo nach einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung anzuerkennen, ohne einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats abzuwarten.

Warum diese Eile in der Kosovo-Frage? In Palästina hat man sich bekanntlich fünfzig Jahre Zeit gelassen und tragische Folgen in Kauf genommen, ohne die Gründung eines unabhängigen Staates durchzusetzen.

Überstürzte diplomatische Aktionen führen auf dem Balkan nicht selten in die Katastrophe. Dass Deutschland und der Vatikan 1991 die Sezession Kroatiens überhastet anerkannten, begünstigte den Zerfall der Bundesrepublik Jugoslawien und den Ausbruch des serbisch-kroatischen Kriegs, der den Bosnienkrieg zur Folge hatte. Man verharmlost die unheilvolle Rolle des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic und der extremistischen Anhänger eines „Großserbien“ nicht, wenn man zugibt, dass auch die europäischen Mächte eine Verantwortung für diese Kriege tragen – die blutigsten in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Ein ähnlich übereiltes Handeln trug auch zum Ausbruch des Kriegs im Kosovo bei. 1999 beschlossen die EU-Staaten und die USA, die Verhandlungen mit Belgrad abzubrechen. Ohne durch ein UNO-Mandat legitimiert zu sein, wurde die Nato eingesetzt, um 78 Tage lang Serbien zu bombardieren und die serbischen Truppen zum Rückzug aus dem Kosovo zu zwingen.

Die UN-Resolution 1244 vom Juni 1999 markiert das Ende der Nato-Offensive. Seither steht das Kosovo unter UN-Verwaltung; eine Nato-Schutztruppe (KFOR) von 17 000 Mann soll die Verteidigung des Landes garantieren. Die UN-Resolution bestätigt die Zugehörigkeit des Kosovo zum serbischen Staatsgebiet und bekräftigt damit ein Prinzip, an das sich die am Balkankonflikt beteiligten Mächte stets gehalten haben: Die Binnengrenzen der ehemaligen sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien nicht in Frage zu stellen.

Dieser Grundsatz bestimmte die ablehnende Haltung gegenüber den Versuchen, Bosnien und Herzegowina unter einem großserbischen und einem großkroatischen Staat aufzuteilen. Auf dasselbe Prinzip beruft sich heute Serbien, wenn es, unterstützt auch von Russland, den Kosovo-Plan des UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari ablehnt.

Dem Verbleiben des Kosovo unter serbischer Verwaltung stehen freilich so viele Hindernisse entgegen, dass die Unabhängigkeit am Ende die einzige mögliche Lösung sein könnte. Doch man darf diesen Weg nicht beschreiten ohne korrekte und fortlaufende Abstimmung mit der Regierung in Belgrad, die sich für das Schicksal der im Kosovo verbliebenen Serben verantwortlich fühlt.

Eine voreilige, nicht im UN-Rahmen ausgehandelte Unabhängigkeitserklärung, wie sie Bush propagiert, könnte schon bald zur Entstehung eines „Großalbanien“ führen. Das aber würde automatisch den kroatischen und serbischen Irredentismus in Bosnien wieder aufleben lassen. Und es wäre ein Präzedenzfall mit unabsehbaren Folgen für die internationale Politik: Viele völkerrechtlich nicht anerkannte Territorien könnten sich veranlasst sehen, ebenfalls einseitig ihre nationale Unabhängigkeit zu erklären. Ist Präsident Bush bereit, die Unabhängigkeit zum Beispiel von Kurdistan, Tschetschenien oder Abchasien ebenso zu garantieren, wie er es im Fall Kosovo ankündigt?

Le Monde diplomatique vom 13.07.2007, von Ignacio Ramonetvon Ignacio Ramonet