Die Differenzen zwischen Teheran und der Internationalen Atomenergiebehörde
Der Iran, der noch zu Zeiten des Schahregimes zu den Erstunterzeichnern des Atomwaffensperrvertrags (NPT) gehörte, stützt sein Atomprogramm auf eine legalistische Argumentation. Teheran macht heute geltend, der NPT garantiere allen Unterzeichnerstaaten das Recht auf die Entwicklung und den Besitz von ziviler Nukleartechnologie. Doch derselbe Vertrag verpflichtet seine Mitglieder zugleich auch zur Transparenz gegenüber der Atomenergiebehörde IAEA in Wien.
Im August wurde bekannt, dass der Iran seit Jahren dieser Verpflichtung nicht nachgekommen war. Ein Ableger der Muhdschahedin Khalk (eine militante Oppositionsgruppe im Exil, die inzwischen von den westlichen Staaten als terroristische Organisation geführt wird) hat enthüllt, dass der Iran seit knapp 18 Jahren den Bau einer Urananreicherungsanlage in Natanz sowie den Bau eines Schwerwasserreaktors in Arak betreibt. Aus einem Schwerwasserreaktor lässt sich Plutonium gewinnen, das wiederum für den Bau einer Atomwaffe benutzt werden kann.
Von beiden Projekten hatte Teheran die Atomenergiebehörde nicht informiert. Dies ist dem Buchstaben nach zwar kein massiver Bruch des Atomwaffensperrvertrags, verstößt aber gegen das Gebot der Transparenz. Und natürlich schürt die Geheimhaltung den Verdacht, dass der Iran im Geheimen ein militärisches Atomprogramm betreibt.
Teheran reagierte auf die Enthüllungen mit dem Versprechen, die Versäumnisse nachzuholen. In einem ersten Schritt erklärte sich die iranische Regierung bereit, das Zusatzprotokoll zum NPT zu unterzeichnen, was den IAEA-Inspektoren größere Handlungsmöglichkeiten einräumen würde. Dieses Protokoll wurde allerdings bislang nicht vom iranischen Parlament ratifiziert und ist deshalb rechtlich nicht bindend.
Die Aufklärung erfolgte bisher aber sehr schleppend und unzureichend. So stießen die Inspektoren auf Spuren von hochangereichertem Uran, obwohl Teheran versicherte, noch keine Urananreicherung betrieben zu haben. Erst nach intensivem Befragen war die iranische Seite zu dem Eingeständnis bereit, dass sie auf dem schwarzen Markt Komponenten für die Anreicherungsanlage gekauft hatte, die möglicherweise durch einen vorherigen Einsatz mit dem hochangereicherten Uran verschmutzt waren. Der Verkäufer wurde allerdings nicht genannt.
Ebenfalls erst aufgrund der eigenen Recherchen der IAEA wurde bekannt, dass Teheran Blaupausen für moderne Zentrifugenanlagen zur Urananreicherung gekauft hatte, und zwar von Dr. Abdul Qadeer Khan. Der Chef des pakistanischen Atomwaffenprogramms hatte seine Kenntnisse und Pläne an interessierte Staaten verkauft. Damit stellt sich die Frage, wieso der Iran solche Pläne kauft, entsprechende Anlagen dann aber nicht gebaut haben will. Nach über zwei Jahren andauernder Nachforschungen sind auch heute noch eine Reihe von Fragen offen. Zudem haben die Inspektoren zu einigen militärischen Anlagen immer noch keinen Zugang.
Immer wieder hat die Atomenergiebehörde den Iran zu mehr Kooperation und Transparenz aufgefordert. Die mangelnde Bereitschaft Teherans, reinen Tisch zu machen, war auch die formale Grundlage für den Gouverneursrat der IAEA, den Fall an den UNO Sicherheitsrat in New York zu überweisen.
Der Iran verweist, um seine friedlichen Absichten zu belegen, auf die Feststellung der Atomenergiebehörde, wonach keine Hinweise auf ein Atomwaffenprogramm gefunden worden seien. Diese Feststellung bezieht sich aber nur auf „deklarierte“ Materialien. Unabhängig davon hegt die IAEA nach wie vor den Verdacht, dass ihr nicht alle Teile des Atomprogramms deklariert wurden.
Mit seiner legalistischen Argumentation nimmt Iran in Anspruch, ein Staat wie jeder andere Unterzeichner des NPT zu sein und damit Anspruch auf dieselben Rechte zu haben. Die Atomenergiebehörde hat in der Tat alle Staaten gleich zu behandeln. Doch die jüngsten Äußerungen des neu gewählten Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, Israel müsse von der Landkarte getilgt werden, lassen darauf schließen, dass der Iran das Prinzip der Gewaltfreiheit in zwischenstaatlichen Beziehungen immer noch nicht anerkannt. Bestärkt wird dieser Eindruck durch die Abberufung der meisten Diplomaten, die bislang mit der EU-Troika die Atomverhandlungen geführt haben. Martin Ebbing
© Le Monde diplomatique, Berlin Martin Ebbing ist Journalist in Teheran.