11.11.2005

Nouakchott – durstige Stadt

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Nouakchott – durstige Stadt

von Philippe Rekacewicz

Wie kann man nur an einem solchen Ort eine Stadt gründen! Im Norden wird Nouakchott vom Sand verweht, im Süden vom Salz zerfressen. Und es gibt nicht einmal Wasser!“ Mohamed Salim Bamba weiß, wovon er spricht. Er ist Bürgermeister von Teyaret, der nördlichsten der fünf Ortschaften, aus denen das Stadtgebiet von Nouakchott besteht. Seine Gemeinde leidet besonders unter der Wasserknappheit. Mauretaniens Hauptstadt, Ende der 1950er-Jahre in einer Wüstenregion entstanden, war bis 1970 langsam und stetig gewachsen. Doch dann – nach mehreren Jahren der Trockenheit und daraus resultierender Landflucht – verzehnfachte sich die Einwohnerzahl innerhalb von 30 Jahren. In den 1980er- und 1990er-Jahren war die Wasserversorgung ausgebaut worden, damals für 60 000 bis 80 000 Menschen. Für die heutige Einwohnerzahl von 900 000 bis 1 Million ist das Netz nicht ausgelegt. Die meisten Menschen leben ohnehin in Elendsquartieren am Stadtrand, wo es weder Wasser- noch Stromleitungen gibt. „Wir kommen mit der Einrichtung von Vorratstanks und öffentlichen Wasserstellen in den neuen Vierteln einfach nicht nach“, stellt ein Ingenieur in der Stadtverwaltung resigniert fest. „Statt uns auf die Erneuerung und den Ausbau des Leitungssystems zu konzentrieren, sind wir ständig mit Notmaßnahmen beschäftigt. Wir schicken Tankwagen in die am schlimmsten betroffenen Gebiete, aber wir können den wachsenden Bedarf nicht decken.“

In einigen Gemeinden haben die Behörden den Wasserverbrauch bereits durch drastische Maßnahmen eingeschränkt. So wurde der Gemüseanbau, ein wichtiger Erwerbszweig, verboten, die Gemüsegärten verwildern und sind zu ausgedehnten Müllhalden verkommen. In den Elendsvierteln von Nouakchott sterben die Menschen an Dehydrierung oder an den Krankheiten, die der Genuss von ungeklärtem Wasser verursacht. Nur ein paar hundert Meter weiter funkeln die Swimmingpools internationaler Hotels wie Novotel oder Mercure in der Sonne, stets randvoll mit klarem Wasser – hier scheint es keine Versorgungsprobleme zu geben. Tausende von Haushalten in der Nachbarschaft könnten mit den Wassermengen dieser Luxusplanschbecken versorgt werden.

Nouakchott lebt vom Grundwasservorkommen in Trerza, etwa 50 Kilometer außerhalb der Stadt bei Idini. Von dort führt eine Hochdruckleitung in den größten Wasserturm der Stadt, nahe dem Präsidentenpalast. Aus diesem Depot wird das Nass auf vier kleinere Wassertürme im Stadtgebiet verteilt (zwei davon reserviert für die Armee und den allgemeinen städtischen Bedarf), aber aus dem Zentraltank entnehmen auch die industriellen, staatlichen und privaten Großverbraucher (Fabriken, Hotels usw.) ihren Anteil.

Hunderte von öffentlichen Wasserstellen gibt es in Nouakchott. Sie sind lebendige Treffpunkte in den Vierteln. Hier nimmt der „Reigen der Kanister“ seinen Ausgang, die endlose Prozession von Frauen und Kindern mit Schüsseln und Eimern, die Kette der mit Fässern beladenen Eselskarren – ein ständiges Kommen und Gehen, ein Chaos und doch ein System, auf das sich die Haushalte verlassen müssen. Wenige verfügen über einen eigenen Wasseranschluss, das Leitungsnetz erfasst nur die Stadtmitte und einzelne Viertel am Stadtrand. 90 Prozent der Bevölkerung werden durch Wasserkarren oder Tanklastwagen versorgt – der Betrieb öffentlicher Wasserstellen ist also von entscheidender Bedeutung.

Für die Einleitung des Grundwassers ins städtische Netz sorgt die Stadt, hier gibt es feste Tarife. Doch mit der Verteilung sind die Behörden überfordert, sie haben darum einige öffentliche Zapfstellen an offizielle und inoffizielle private Betreiber abgetreten. So können sich die Endverbraucher entweder an den von einem staatlichen „Kommissariat zur Armutsbekämpfung“ verwalteten Wasserstellen selbst versorgen, oder an den (in der Regel teureren) privaten Brunnen. Auch wer einen privaten Anschluss besitzt und dafür Gebühren zahlt, darf Wasser weiterverkaufen. Natürlich werden damit Geschäfte gemacht. In einer Hitzeperiode kann der Preis schon einmal auf das Sechsfache steigen. Für die ärmsten Familien ist das eine Katastrophe: Sie müssen dann mehr als die Hälfte ihres Monatseinkommens für die Wasserversorgung ausgeben. Und je mehr Zwischenhändler ihren Schnitt machen wollen, desto höher steigen die Preise.

Alle Betreiber öffentlicher Zapfstellen, ob privat oder im Dienst der Verwaltung, müssen einen Vertrag mit der Wassergesellschaft SNE schließen, um an Einzelabnehmer oder Verteiler verkaufen zu dürfen. Inhaber von Netzanschlüssen gelten als „Endverbraucher“, auch wenn sie ihr Wasser weiterverkaufen. Die kleinen Fuhrunternehmer dagegen, die Wasser an öffentlichen Brunnen kaufen und dann in die Haushalte liefern, zahlen dafür eine Sonderabgabe an die Gemeinde. Rund um die Wasserversorgung hat sich ein unübersichtlicher Wirtschaftszweig entwickelt, der aber nicht wenige Arbeitsplätze garantiert. Betreiber von Wasserstellen und Wasserlieferanten können ihre unverzichtbare Dienstleistung natürlich auch zur schamlosen Bereicherung nutzen.

Ein großes Problem bleibt die Wasserqualität. Im Prinzip kommt sauberes Wasser aus den öffentlichen Zapfhähnen, doch dann wird es oft in alte Benzinkanister oder Chemiefässer umgefüllt und erreicht die Verbraucher kontaminiert, etwa durch Schwermetallrückstände. Auch Bakterien gelangen ins Wasser, und nicht jede Familie hält sich an die vom Gesundheitsministerium empfohlene Desinfektion durch Chlortabletten. Die öffentlichen Brunnen werden auch nicht immer vorschriftsmäßig gewartet und gereinigt. Wenn das Wasser dort lange genug steht, werden sie leicht zu Infektionsherden. Und dann kostet dieses nicht mehr trinkbare Wasser – die wichtigste Ursache der Kindersterblichkeit in der Stadt – in den armen Vierteln auch noch drei- bis viermal so viel wie in den besseren Wohngegenden im Stadtzentrum.

Der Nachschub an den öffentlichen Zapfstellen, aus dem Leitungsnetz oder durch Tankwagen bricht immer wieder zusammen. Technische Störungen im Netz, Probleme mit den Fahrzeugen – in manchen Vierteln gibt es tagelang kein Wasser. Der Einkaufspreis für den Betreiber einer Wasserstelle beträgt pro 200-Liter-Fass 20 bis 30 Ouguiya (UM), etwa 10 Cent, die Wiederverkäufer zahlen dann schon 60 bis 80 UM (26 Cent). Aus Sicht der Endabnehmer sind die Preisschwankungen allerdings enorm: Von durchschnittlich 150 bis 300 UM (50 Cent bis 1 Euro) bis zu 500 bis 1 000 UM (1,6 bis 3,3 Euro), wenn es besonders heiß ist und das Wasser knapp wird. Familien wissen oft nicht, ob es am nächsten Tag noch Wasser geben wird und ob sie es bezahlen können. Und viele sind so arm, dass sie nicht einmal Vorrat anlegen können. Ein Familienhaushalt von acht bis zehn Personen verbraucht selbst bei sehr sparsamem Gebrauch durchschnittlich 200 Liter innerhalb von 24 Stunden.

Nouakchott lebt mit dem permanenten Wassernotstand. Die mauretanischen Wasserexperten versichern jedoch, die Vorkommen im Land reichten aus, um die Bevölkerung langfristig zu versorgen. Allerdings müssten sie besser genutzt werden. Ein erheblicher Teil der täglichen Fördermenge von 50 000 Kubikmetern aus dem großen Reservoir von Idini verschwindet durch Lecks in den Leitungen oder illegale Entnahmen in der Stadt oder auf dem Weg dorthin.

Aus dem Französischen von Edgar Peinelt Philippe Rekacewicz ist Mitarbeiter von Le Monde diplomatique, Frankreich, und Forschungsleiter des UN-Umweltprogramms Grid-Arendal, Norwegen.

Le Monde diplomatique vom 11.11.2005, von Philippe Rekacewicz