11.11.2005

Domäne Internet

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Domäne Internet

von Ignacio Ramonet

Zwei Jahre nach dem ersten „Weltgipfel zur Informationsgesellschaft“ in Genf, treffen sich auf Ersuchen der UN und unter der Ägide der Internationalen Telekommunikationsunion (ITU) die Teilnehmer dieses Jahr vom 16. bis 18. Dezember in Tunis. Zentrales Thema wird sein, wie man die Verwaltung des Internets demokratischer gestalten könnte.

Das Internet ist eine us-amerikanische Erfindung aus der Zeit des Kalten Krieges. Damals suchte das Pentagon nach einem atombombensicheren Kommunikationssystem. Im Rahmen eines öffentlich geförderten Forschungsprojekts entwickelte eine Arbeitsgruppe um Vinton Cerf Anfang der 70er-Jahre Protokolle und Tools für eine neue, revolutionäre Kommunikationstechnik.

Einige Jahre später, 1989, erfanden die am Europäischen Atomforschungszentrum in Genf tätigen Physiker Tim Berners-Lee und Robert Cailliau das Hypertextprotokoll, das den entscheidenden Anstoß zur Entstehung des World Wide Web gab. Für die Verwaltung der Internetadressen ist seit 1998 die Icann zuständig, eine in Los Angeles ansässige Non-Profit-Organisation, die kalifornischem Recht unterliegt und dem us-amerikanischen Handelsministerium untersteht. Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers ist der große Koordinator des Internets. Sie regelt mit ihren dreizehn weltweit verteilten „Root-Servern“ den Netzwerkverkehr (vier Server stehen in Kalifornien, sechs in der Nähe von Washington, die übrigen in Stockholm, London und Tokio).

Die Hauptaufgabe der Icann liegt in der Verwaltung der Domainnamen (Domain Name Service, DNS), die den Internetbenutzern das Surfen erleichtern. Jeder ans Netz angeschlossene Computer besitzt eine eindeutige Adresse, die so genannte IP-(Internet Protokoll-)Adresse. Damit man keine endlos langen Zahlenfolgen eintippen muss, wurde das DNS-Protokoll entwickelt, das die Verwendung vertrauter Wörter und Namen ermöglicht. Das DNS übersetzt den Namen in die maschinenlesbare Zahl zurück, damit der Computer die entsprechende Website im Netz finden kann. Auch E-Mail funktioniert über diesen Service. Und das alles weltumspannend und schnell wie der Blitz. Die Icann hat „den Auftrag, die operationelle Stabilität des Internets zu gewährleisten, Wettbewerb zu fördern, die Internetkommunikation global zu repräsentieren und im Konsensverfahren entsprechende Maßnahmen zu erarbeiten“.

Von Konsens allerdings kann schon seit geraumer Zeit keine Rede mehr sein. Die beherrschende Stellung der Vereinigten Staaten stößt zunehmend auf Kritik. Auf dem Genfer Vorbereitungstreffen zum kommenden Gipfel in Tunis forderten die 25 Unionsländer einstimmig, die Internetverwaltung nach Auslaufen des Icann-Vertrags mit dem US-Handelsministerium im September nächsten Jahres von Grund auf zu reformieren. Die Gespräche verliefen ergebnislos, denn Washington lehnt jede Veränderung ab.

Unterstützung findet die europäische Position unter anderem bei Brasilien, China, Indien und dem Iran. Schon drohen manche, ihre eigene, nationale Internetorganisation aufzubauen, was für die Vereinheitlichung des Netzes katastrophale Folgen hätte.

Der Streit hat auch eine geopolitische Dimension. In einer zunehmend globalisierten Welt, in der Kommunikation zum strategischen Rohstoff avanciert und die immaterielle Ökonomie weiter wächst, sind die Kommunikationsnetze von herausragender Bedeutung. Wer das Internet kontrolliert, besitzt einen entscheidenden strategischen Vorteil. So wie die britische Weltherrschaft im 19. Jahrhundert auf der Kontrolle der weltweiten Verkehrsverbindungen beruhte.

Die US-Hegemonie übers Internet verschafft den Vereinigten Staaten theoretisch die Möglichkeit, ein ganzes Land vom Netz abzuhängen oder den gesamten E-Mail-Verkehr zu blockieren. Bislang haben sie das nicht getan, aber die Möglichkeit dazu haben sie. Allein schon diese Option führt in zahlreichen Ländern zu wachsender Besorgnis.

Es wird Zeit, die Internetverwaltung Icann aus der Abhängigkeit von Washington zu lösen und der Aufsicht der Vereinten Nationen zu unterstellen.

Le Monde diplomatique vom 11.11.2005, von Ignacio Ramonet