13.01.2006

Bamako, Caracas

zurück

Bamako, Caracas

von Ignacio Ramonet

Das Weltsozialforum tagt in diesem Jahr zu zwei verschiedenen Zeiten an zwei verschiedenen Orten: vom 19. bis zum 23. Januar in der malischen Hauptstadt Bamako und vom 24. bis zum 29. Januar in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Am Vorabend des ersten Treffens in Bamako findet anlässlich des 50. Jahrestags der Bandung-Konferenz ein wichtiges Treffen statt: der „Internationale Tag zum Wiederaufbau des Internationalismus der Völker und der antiimperialistischen Front“.

Die Idee, alljährlich ein Sozialforum zu veranstalten, entstand nach der Verhinderung des Multilateralen Investitionsabkommens (1998), der Gründung von Attac in Frankreich und dem Erfolg der Demonstrationen in Seattle (1999) gegen den WTO-Gipfel, in einer Zeit also, da es so aussah, als könne man die Offensive der liberalen Globalisierung aufhalten.

Taktisch gesehen ging es darum, ein Gegengewicht zum Weltwirtschaftsforum in Davos zu schaffen, wo sich alljährlich im Januar die neuen Herren der Welt versammeln. So beschloss man, zur selben Zeit ein nicht wirtschaftliches, sondern bewusst ein soziales Forum zu veranstalten, und dies nicht im Norden, sondern im Süden, im brasilianischen Porto Alegre, dessen Kommunalpolitiker das „partizipative Budget“ erfanden. Das Motto, unter dem das erste Weltsozialforum 2001 zusammentrat – „Eine andere Welt ist möglich“ –, hat eine Diskussion über „alternative Globalisierung“ angestoßen.

Das Weltsozialform ist ein politisches Projekt von innovativ-visionärer Kraft. Es will an einem Ort die Vertreter von Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften zusammenbringen, die sich gemeinsam mit den betroffenen Männern und Frauen gegen die verheerenden Auswirkungen der Globalisierung zur Wehr setzen.

Das Forum zeichnet sich durch seine radikal moderne politische Stoßrichtung aus. Während Organisationen wie die Vereinten Nationen stets Staats- und Regierungsvertreter versammeln, nimmt sich das Weltsozialforum erstmals vor, die Keimform einer Versammlung der gesamten Menschheit zu bilden. Sein Fernziel ist, die neoliberale Globalisierung in Schach zu halten, die unsere Gesellschaften aus dem Lot bringt, die schwächsten Volkswirtschaften ruiniert und die Umwelt zerstört.

Im Laufe der Zeit aber verblasste dieses Ziel, verlor seine klaren Konturen und verschwand aus etlichen Köpfen. Ganz deutlich wurde dies beim letztjährigen Treffen in Porto Alegre, wo viele den Elan der Anfangsphase vermissten und zu dem Schluss gelangten, dass das Forum nicht länger nur diskutieren solle. Es müsse auch die Bedingungen für politisches Handeln schaffen und die gemeinsamen Ziele der Bürger aus Nord und Süd zu einem orientierenden Minimalkonsens über Alternativen zur neoliberalen Politik bündeln. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass das Forum zur folkloristischen Veranstaltung verkommt, zu einer internationalen Messe der Bürgerinitiativen, einem Weltsalon der Zivilgesellschaft, wo man wie in Davos, wenn auch mit besten Absichten, über Good Governance debattiert.

Unter dem Einfluss solcher aktiveren und kämpferischen Positionen begann eine umfassende Diskussion über Sinn und Zweck, Aufgabe und Zukunft der diversen Sozialforen auf globaler, kontinentaler, nationaler und lokaler Ebene. Diese entscheidende Debatte wird in Bamako und in Caracas ihre Fortsetzung finden.

In einer Atmosphäre, die durch die erfolgreiche Abwehr des US-amerikanischen Projekts einer Gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA) und durch den Wahlsieg von Evo Morales in Bolivien vom Dezember geprägt ist, werden die Teilnehmer des Forums in Caracas an der venezolanischen Realität selbst sehen können, dass die Globalisierung kein unabwendbares Schicksal bedeutet. Und dass man sie in die Schranken weisen kann, wenn man an Werten wie Gerechtigkeit und Solidarität unbeirrt festhält.

Le Monde diplomatique vom 13.01.2006, von Ignacio Ramonet