Glanz und Elend einer alten Hauptstadt
Vom 13. bis zum 15. Jahrhundert war Tlemcen die Hauptstadt eines Reichs im Zentralmaghreb, das auf dem Höhepunkt seiner Macht das Gebiet des heutigen Algerien (ausgenommen die Region um Constantine) und des östlichen Marokko umfasste, in seinen dunklen Stunden aber kaum über die Stadtmauern hinausreichte. Begründet wurde es durch die Banu Abd al-Wad, einen Stamm, den die Aussicht auf Wasser und Weidegründe aus der Sahara in die Region geführt hatte. Auf ihren Anführer Abu Yahya ibn Zayyan, einen gefürchteten Berberkrieger, geht die Dynastie der Zayyaniden zurück. In den 46 Jahren seiner Regierung (1236–1282) kam Tlemcen zu Wohlstand und wurde zu einem weit bekannten geistigen und religiösen Zentrum. 125 000 Einwohner soll die Stadt damals gehabt haben.
„Nachdem die Muslime 1212 in der Schlacht von Las Navas de Tolosa ihre Flotte verloren hatten, wurde das westliche Mittelmeer zur christlichen Einflusszone“, erläutert Professor Negadi Sidi Mohamed, Leiter der Archäologie an der Universität von Tlemcen. „Nur auf dem Landweg konnte die Verbindung zwischen dem Osten und Westen des Maghrebs aufrechterhalten werden, und diese Route führte durch Tlemcen.“
In der Folge wurde die Stadt immer wieder Ziel von Eroberungsfeldzügen. Im Westen drohte aus Fes Gefahr von den Marinidenherrschern, aus dem Osten drangen die tunesischen Hafsiden vor. 1299 begann der Marinidensultan Abu Yaqub Yusuf eine Belagerung der Zayyanidenresidenz, die sich über acht Jahre hinzog. Er war sich seines Sieges so sicher, dass er sein Lager vor Tlemcen zu einer Stadt ausbauen ließ, die al-Mansura (die Siegreiche) genannt wurde. Mansura war von Mauern umgeben, besaß einen Herrscherpalast (den bis heute erhaltenen Mechuar), eine Moschee, Bäder und auch eine Karawanserei (funduq). „Von Tag zu Tag gewann die Stadt an Wohlstand“, schreibt der berühmte Historiker Ibn Khaldun, der später in Tlemcen lehrte. „Die Märkte boten Lebensmittel in Hülle und Fülle, und Kaufleute aus allen Ländern fanden sich ein; so wurde sie bald die Erste unter den Städten des Maghreb.“
Tlemcen hingegen konnte sich retten, weil Abu Yaqub Yusuf ermordet wurde und auch weil es den Beistand der Hafsiden fand, die den Einfluss der Mariniden zurückdrängen wollten.
Im 16. Jahrhundert geriet Tlemcen durch Spanien wie durch das Osmanische Reich in Bedrängnis. Ein Erbfolgestreit in der Zayyaniden-Dynastie und die Abkehr verbündeter Stämme beschleunigten den Niedergang der Stadt zusätzlich. Es zeugt vom einstigen Glanz der „Perle des Maghreb“, dass sich heute in Tlemcen 75 Prozent des algerischen Erbes an islamischer Architektur finden, vor allem Gebäude im andalusischen Stil, die zur gleichen Zeit entstanden wie ihre Vorbilder in Granada oder Fes.
Nach dem Sieg der Osmanen 1552 wurde die Stadt hart gestraft und zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Neue Hauptstadt des algerischen Westens wurde zunächst Mazouna, dann Mascara und schließlich Oran, das noch bis 1792 von Spanien besetzt war. Erst 1837 erhob der algerische Freiheitskämpfer Emir Abd el-Kader Tlemcen wieder vorübergehend zur Hauptstadt, ehe sie 1842 an die Franzosen fiel. Und wie um die historische Niederlage wettzumachen, schlossen Ahmed Ben Bella, erster Staatspräsident Algeriens, und sein Nachfolger Houari Boumedienne in Tlemcen im Juli 1962 die Allianz, die den modernen algerischen Nationalstaat begründete.