Nach den Wahlen
Als Nawaz Sharif von der Muslimliga (PML-N) am 5. Juni 2013 zum neuen Premierminister vereidigt wurde, war dies eine Zäsur. Zwar erhält Sharif bereits zum dritten Mal diesen Posten, doch zum ersten Mal in der 66-jährigen Geschichte Pakistans gab es am Ende einer Legislaturperiode einen regulären Machtwechsel. 1993 war Sharif vom Präsidenten vorzeitig entlassen worden, und 1999 zwang ihn der Putsch seines Militärchefs Pervez Musharraf ins Exil nach Saudi-Arabien. Weil ihm damals niemand eine Träne nachweinte, ist das Comeback des Industriellensohns aus dem Pandschab umso erstaunlicher.
In seiner ersten Rede nach der Wahl forderte Sharif ein Ende der US-Drohnenangriffe in seinem Land. Viele Pakistaner sehen in den Angriffen, bei denen immer wieder Zivilisten getötet werden, eine Einschränkung der nationalen Souveränität. Bereits im Wahlkampf hatte Sharif angekündigt, das Terrorismusproblem durch Gespräche mit den pakistanischen Taliban zu lösen.
Ob Sharif die Drohnenangriffe wirklich beenden kann, ist zweifelhaft. Zum einen dürfte Pakistans mächtiges Militär darüber direkt mit den USA verhandeln wollen, zum anderen hat die Obama-Regierung mit der Tötung des stellvertretenden pakistanischen Talibanführers erst kürzlich gezeigt, dass sie am bisherigen Kurs festhalten will. Als Reaktion auf den Anschlag erklärten die Taliban, dass sie keine Gespräche mit der Regierung in Islamabad aufnehmen wollten.
Bei den Parlamentswahlen vom 11. Mai wurde Sharifs PML-N stärkste Kraft und löste damit die seit 1998 regierende Volkspartei (PPP) ab. Diese hat nicht viel mehr erreicht, als die volle Amtszeit durchzuhalten. Vor allem ihre Unfähigkeit, die häufigen Stromausfälle von bis zu 20 Stunden am Tag in den Griff zu bekommen, machte die PPP unbeliebt. Umgekehrt war die Sharif zugeschriebene Wirtschaftskompetenz sein größtes Plus im Wahlkampf.
Asif Ali Zardari von der PPP, der seit 2008 amtierende Staatspräsident und Witwer der 2007 ermordeten Benazir Bhutto, will bei der im September anstehenden Präsidentschaftswahl nicht mehr antreten. Die Aussichten wären auch gering, denn der Präsident wird vom Parlament und den Provinzversammlungen gewählt.
Die PPP stürzte bei den Parlamentswahlen ab und kam nur noch auf 40 Sitze (zuvor 124). Sharifs PML-N verbesserte sich hingegen von 91 auf 166 Sitze. Die „Bewegung für Gerechtigkeit“ (PTI) des zum Hoffnungsträger der Jugend und der Mittelschicht avancierten Ex-Kricketstars Imran Khan errang 35 Mandate. Ein Achtungserfolg, aber nicht der versprochene radikale Wandel. Khans PTI war insbesondere in Karatschi erfolgreich. Im Gegensatz zu den anderen Parteien, die sich gegenseitig der Korruption und Gewalt bezichtigten, galt die PTI in der Hafenmetropole als unbelastet und konnte glaubhaft einen Wandel versprechen. In Karatschi gab es zudem massive Unregelmäßigkeiten, woraufhin die Wahlkommission Nachwahlen anordnete.
Zwar dominiert Sharifs konservative PML-N die nationale Ebene, doch in den vier Provinzparlamenten muss sie sich die Macht mit den beiden anderen großen Parteien teilen. Nur in Pandschab besitzt sie eine Mehrheit. Den Islamisten blieb erneut ein nationaler Durchbruch verwehrt. Ihre Bedeutung ist weiterhin regional und lokal begrenzt.
Positiv ist die auf 55 Prozent gestiegene Wahlbeteiligung. Denn damit zeigt die Bevölkerung trotz der grassierenden Gewalt ihre Unterstützung für die Demokratie. Zudem hielt sich das Militär bei Wahlen auffällig zurück. Die wahren Machtverhältnisse wurden Sharif jedoch auf dem Weg zu seiner eigenen Vereidigung demonstriert: Medienberichten zufolge wurde sein Fahrzeugkonvoi von der Polizei für drei Minuten angehalten, um dem Konvoi des Armeechefs Platz zu machen. Eine subtile Warnung an den neuen Regierungschef, der früher schon mit den Generälen aneinandergeraten war.
Sharif muss jetzt die Energieversorgung wiederherstellen, die Wirtschaft ankurbeln, die Staatsfinanzen sanieren und die ausufernde politische Gewalt eindämmen. Eine Lösung der ersten beiden Probleme ist ihm zuzutrauen. Bei den Finanzproblemen setzt er auf saudische Hilfen, um den Gang zum IWF zu vermeiden. Ein Konzept zur Beendigung der Gewalt jenseits von Verhandlungsrhetorik ist bislang nicht zu erkennen. Sven Hansen
Sven Hansen ist Asienredakteur der taz. © Le Monde diplomatique, Berlin