10.02.2006

Hamas nach Maß

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Hamas nach Maß

von Alain Gresh

Seit der Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen vom 25. Januar 2006 feststeht, haben es die USA und die EU an Mahnungen und empörten Stellungnahmen nicht fehlen lassen. Was aber ist geschehen? Die Beteiligung der Palästinenser an diesen Wahlen, die unter israelischer Besatzung stattfanden, lag sehr hoch – zweifelsohne ein Sieg für die Demokratie in Palästina. Und die 900 internationalen Beobachter haben den einwandfreien Verlauf der Wahlen bestätigt.

Die Wähler haben mit ihrem Votum zum Ausdruck gebracht, dass sie die Politik von Autonomiebehörde und Fatah missbilligen. Die Führung hat die Quittung erhalten, denn sie hat es nicht geschafft, stabile Institutionen aufzubauen, die Korruption zu bekämpfen und die allgemeinen Lebensbedingungen zu verbessern. Natürlich leugnet niemand, dass die Möglichkeiten unter dem seit fast vierzig Jahren bestehenden Besatzungsregime äußerst eingeschränkt sind. Aber selbst unter diesen Bedingungen hätte die Autonomiebehörde mehr erreichen können.

Mahmud Abbas, im Januar 2005 zum Präsidenten gewählt, täuschte sich in der Annahme, allein durch eine „gemäßigte“ Haltung „den Friedensprozess“ wieder in Gang bringen zu können. Denn Ariel Scharon hatte Arafats Nachfolger nichts anzubieten. Immer noch machen Straßensperren und Kontrollen den Palästinensern ein Alltagsleben unmöglich, sitzen tausende von politischen Gefangenen in israelischer Gefängnissen. Umso befremdlicher wirkt es, wenn die Regierungen in den USA und Europa so tun, als ginge es Israels Politikern darum, „den Friedensprozess fortzusetzen“.

Im Übrigen haben die Wähler nicht für das „historische“ Programm der Hamas – die Vernichtung Israels – gestimmt und nicht für eine neue Welle von Selbstmordanschlägen, sondern gegen die Misswirtschaft der Autonomiebehörde. Dem politischen Erdbeben vom 25. Januar könnte sogar der Aufbau neuer Strukturen folgen, die eine bessere Strategie gegen die Besatzungsmacht ermöglichen. Nach einer Umfrage, die am Tag nach der Wahl veröffentlicht wurde, sind 84 Prozent der Palästinenser für einen Friedensschluss mit Israel; 75 Prozent meinen, die Hamas solle das Ziel der Zerstörung Israels aufgeben; und nur 3 Prozent sind für die Einführung der Scharia.

Unbestreitbar ist, dass die Hamas in den besetzten Gebieten populär ist: Ihre Mitglieder setzen sich für die Bevölkerung ein, sie kämpfen hartnäckig gegen die Besatzung und haben ein funktionierendes Netz von Wohlfahrtseinrichtungen aufgebaut. Wie in vielen arabischen Ländern gilt auch in Palästina: Wer Demokratie will, darf die Islamisten nicht ausgrenzen. Die Regierungsmacht zu übernehmen, wird für die Organisation allerdings eine gewaltige Aufgabe werden. Wirtschaftspolitisch neigt Hamas eher wirtschaftsliberalen Positionen zu. Ihre extrem konservative Haltung in moralischen Fragen verstört vor allem viele Frauen.

Aber die Hamas hat sich in der Vergangenheit immer wieder pragmatisch verhalten; sie hat vielerorts Allianzen mit Honoratioren gebildet und auch Christen auf die Wahllisten gesetzt. Und die von ihr geführten Kommunalverwaltungen funktionieren zumeist gut.

Wer von der Hamas verlangt, dass sie den Staat Israel gemäß internationalem Recht anerkennt, sollte im selben Atemzug davon reden, dass gerade die permanente Weigerung Israels, die UN-Resolutionen umzusetzen, in die gegenwärtige Sackgasse geführt hat.

Der Vorschlag, der Palästinensischen Autonomiebehörde die Hilfe zu entziehen, ist kriminell. Das träfe ausgerechnet diejenigen, die es ohnehin am schwersten haben. Man würde sie dafür bestrafen, dass sie falsch gewählt haben. Vielmehr wäre gerade jetzt eine diplomatische Initiative auf europäischer oder internationaler Ebene vonnöten, die einen palästinensischen Staat im Westjordanland und in Gaza zum Ziel hat, mit Ostjerusalem als Hauptstadt. Nur so ist Frieden denkbar.

Le Monde diplomatique vom 10.02.2006, von Alain Gresh