10.03.2006

Schlechtes Beispiel Schule

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Schlechtes Beispiel Schule

Wie alle öffentlichen Einrichtungen ist in Diktaturen auch die Schule von der Willkür der Herrschenden, von ihren Launen abhängig.

Habib Bourguiba, ein Verfechter der Moderne, der Schulbildung hoch schätzte und selbst über eine umfassende Bildung verfügte, hatte nach der Unabhängigkeit für Tunesiens zwei vorrangige Ziele formuliert: allgemeine Bildung und die Emanzipation der Frauen. Auch wenn er die Schulen einer strengen Aufsicht unterwarf und Lehrer wie Schüler bestrafen ließ, wenn sie nicht seinen Vorgaben folgten, zeigten sich am Beginn seiner Herrschaft doch viel versprechende Ansätze eines modernen Schulwesens: Die Einschulungsquote stieg, das Unterrichtsniveau erreichte die gesetzten Ziele. Entscheidend für diese Entwicklung waren damals die politischen Absichten, die Begeisterung der Pioniere des Schulwesens und der Bildungshunger der Bevölkerung.

Leider hielt diese Aufbruchstimmung nicht lange vor. Unter der langen und immer deutlicher autoritär geprägten Herrschaft Bourguibas kam auch der Fortschritt im Schulwesen zum Stillstand: unzulängliche Infrastruktur, zu große Klassen, gescheiterte Vorhaben, sinkendes Unterrichtsniveau. Die Lage wurde nicht besser, als ideologische Gruppierungen, die sich öffentlich nicht mehr äußern konnten, das Bildungswesen zum Schauplatz von teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen machten. Man kann aus dem Niedergang des Schulwesens und dem Scheitern der einstigen Ziele Bourguibas ablesen, warum mit Ben Ali ein neuer starker Mann an die Macht kam, der alles richten sollte.

Aber Präsident Ben Ali war Berufssoldat und Geheimdienstmann, politische Visionen oder gar Ideen für das Schulwesen konnte er nicht bieten. Von dem gescheiterten Bildungssystem Bourguibas hatte er nur eine große Truppe von Schulversagern geerbt, die nun Anstellung in seinem Unterdrückungsapparat fanden. Das hinderte ihn nicht, sich vor allem gegenüber den westlichen Verbündeten mit den beiden großen Errungenschaften der Bourguiba-Ära zu brüsten: Bildung und Frauenemanzipation. In beiden Bereichen konnte er allerdings nach Belieben seine politischen und persönlichen Vorstellungen durchsetzen, weil das Parlament, die Experten und die Minister alles absegneten, was von ihm angeordnet wurde. Viele Anweisungen waren wenig durchdacht und der Laune des Augenblicks geschuldet. So erklärt sich auch die hastige Einführung des Arabischen: Der Präsident war einfach sauer auf die französischen Medien.

Unter Ben Ali sind die Schulleiter zu Gefängnisaufsehern geworden. Gelegentlich versucht das Regime den Schein zu wahren und inszeniert Reformen. Aber das sind nur vage Versprechungen, die mittels geschönter Statistik als Erfolg präsentiert werden.

Was bleibt, ist schlechter Unterricht, Gewalt in den Schulen, Geldknappheit (vor allem in den Berufsschulen) und Korruption (Günstlinge des Regimes manipulieren Prüfungsresultate, greifen in Stellenausschreibungen und Versetzungen der Lehrerschaft ein). Die Angehörigen der herrschenden Schicht inklusive der Familie des Präsidenten schicken ihre Kinder auf Privatschulen, und zwar häufig ins Ausland.

Es geht dabei nicht nur um pädagogische Grundsätze: Seit es immer mehr völlig ungebildete und gewaltbereite Jugendliche gibt, muss man sich fragen, welche Folgen der Niedergang der Schulen für den Fortbestand der tunesischen Bildungsideale hat. Rollenvorbilder für diese jungen Leute sind längst nicht mehr die Absolventen einer Hochschule, sondern die Vertreter einer neureichen Schicht, die ihr illegal erworbenes Vermögen schamlos zur Schau stellt.

Naziha Rejiba

Naziha Rejiba ist Chefredakteurin der Internetzeitung „Kalima“, die in Tunesien nicht zugänglich ist. Die Autorin (unter dem Pseudonym Om Ziad) hatte 2003, nach vielen Jahren als Lehrerin, den Schuldienst quittiert, um gegen den Niedergang und die Politisierung des Bildungswesens zu protestieren.

Le Monde diplomatique vom 10.03.2006, von Naziha Rejiba