10.03.2006

Burka, Hidschab, Nonnenschleier

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Burka, Hidschab, Nonnenschleier

Über Mode und Kleiderordnungen von Ethel King

Im letzten Herbst veranstaltete ein nobles Einkaufszentrum an der amerikanischen Ostküste eine Modenschau. In der Gegend leben viele wohlhabende Einwanderer, und die Boutiquen versuchten, aus ihrem Standardrepertoire an Oberbekleidung und Accessoires Ensembles für die vielversprechende neue Klientel zusammenzustellen: Frauen, die sich auf irgendeine Weise nach der islamischen Tradition kleiden.

Es war ein peinlicher Abend. Zwar hatten sich die Organisatoren bezüglich Kopfbedeckungen, dezenter Längen und weiter Schnitte beraten lassen. Doch was Geschmack und unterschiedliche kulturelle Hintergründe ihrer potenziellen Käuferinnen betraf, fehlte es an Einfühlungsvermögen.

Sie hatten keine Ahnung, dass eine schicke Kairoerin vielleicht Gefallen an einem bedruckten Seidenschal von Emilio Pucci findet, der den Kopf bedeckt und mit einer Brosche zusammengehalten wird – und dass derselbe Aufzug für eine Frau aus dem ländlichen Indonesien, deren Kopfbedeckung sich in der Heimat zu einer weichen Baumwollhaube mit Rüschen rund um das Gesicht entwickelt hat, provokant oder sogar obszön wirken könnte. Ein langer, dunkler Mantel von der Art, wie sie in der Türkei seit Jahrzehnten zur streng konservativen Kleidung gehört, kam bei der Schau nicht gut an, weil er nach Unterschicht und Schäbigkeit aussah: In Istanbul kann man sehr viel schärfere Mäntel kaufen, mit raffinierten Details auf dem neuesten Stand aktueller Designermode. In der Türkei werden auch Ganzkörperensembles aus luxuriösen Materialien in Couture-Qualität hergestellt.

Sämtliche Angebote in dem US-Einkaufszentrum dürften auf eine Metropolenbewohnerin aus Teheran einfach nur dröge gewirkt haben. Diese trägt nämlich in letzter Zeit eine Kombination aus weit zurückgeschobenem Chiffonschleier und oberschenkellanger Tunika über einer eng anliegenden Hose, die einerseits gerade noch dem islamischen Kodex entspricht, andererseits deutlich an Extreme der Pariser Mode aus den Sechzigern erinnert, die zu ihrer Zeit als genauso radikal schamlos galten wie der Minirock.

Die Macher der Schau im Einkaufszentrum hatten erkannt, dass es einen riesigen und profitablen Markt für islamische Kleidung gibt, hauptsächlich über das Internet. Aber ihnen war überhaupt nicht klar, wie diversifiziert dieser Markt ist – nach Region und sozialer Schicht, mit ständig neuen Trends. Islamische Kleidung ist nicht unwandelbar festgeschrieben. Es gibt kein „fit-all“ und das hat es auch nie gegeben. Die 24. Sure des Korans, auf deren Auslegung sich die Kleidervorschriften stützen, gehört in den historischen Kontext. Die Frauen, heißt es, „sollen ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten und nicht ihre Reize zur Schau stellen, es sei denn, was außen ist, und ihren Schleier über den Busen schlagen und ihre Reize nicht zeigen“ (ausgenommen bestimmten engen Verwandten und der Dienerschaft).

Modehistoriker werden neugierig: was war mit „Schleier“ eigentlich gemeint? Der Schleier als Verhüllung von Kopf und Gesicht taucht erstmals im assyrischen Recht auf, wo er ausdrücklich adligen Frauen in den Städten vorbehalten war – Sklavinnen und Bäuerinnen wurden bestraft, wenn sie sich mit einer Unsichtbarkeit schmückten, die ihnen nicht zustand. Das antike Athen übernahm den Schleier als tragbares Versteck, um zurückgezogen lebenden Frauen in der Öffentlichkeit jede Entwürdigung zu ersparen.

Vom durchsichtigen Schleier zum derben Wickelumhang

Der ursprüngliche Schleier könnte ein Gewebe aus dünnem Stoff gewesen sein, das durchsichtig war und über einem metallenen Diadem arrangiert wurde. Erfunden hat es vermutlich der persische Adel. Auf seinem Weg durch die östlichen Provinzen des Römischen und des Byzantinischen Reichs in die islamische Kultur hat es dann diverse raffinierte Formwandlungen durchlaufen.

Schon der Begriff „Schleier“ in westlichen Koranübersetzungen ist fragwürdig. Das entsprechende Wort in der 24. Sure lässt sich nämlich auch als „Umhang“ wiedergeben. Damit ist eine lange Stoffbahn ohne Zuschnitt oder Nähte gemeint, die Männer und Frauen um Körper und Kopf wickelten und die sich, vom antiken Mittelmeerraum ausgehend, bis nach Indien verbreitete. Frauen aus der guten Gesellschaft des Römischen Reichs, die in Abgeschiedenheit zu leben hatten, trugen einen weiten Umhang namens Palla. Das war vom Prinzip her ein tragbarer Vorhang. Auch die Räume in kaiserlichen Gebäuden teilte man damals weniger durch Zwischenwände als durch Vorhänge. Was dahinter lag, gehörte zur privaten, häuslichen Sphäre.

Die Forscher sind sich einig, dass in der islamischen Welt das Verschleiern von Kopf, Hals und Gesicht mit einem eigens dafür vorgesehenen Stück Stoff bis ins 10. Jahrhundert durchaus nicht die Regel war. Entsprechend den Vorstellungen des Korans herrschte Diskretion auch bei der Männerkleidung (zumindest was das Verhüllen betraf; denn hochtrabende Edikte, die prunkvolle Gewänder untersagten, wurden eifrig ignoriert). Auch im mittelalterlichen Europa war es bei beiden Geschlechtern üblich, den ganzen Körper zu bedecken. Sieht man davon ab, dass die islamische Welt der christlichen in der Verarbeitung von Seide und Baumwolle weit voraus war, so finden sich markante Kleidungsunterschiede zwischen beiden Kulturen überhaupt erst im 14. Jahrhundert, als europäische Schneider mit kurvigen Nähten im Hüftbereich und mit Schnürverschlüssen zu experimentieren begannen, und im 15. Jahrhundert, als ebenfalls in Europa der skulptural geformte Hut aufkam. Ein bestimmtes Kleidungsstück gab es damals aber fast nur auf islamischen Märkten: die Damenhose. Sie war eine Erfindung der Nomaden in den Steppen Zentralasiens und wurde beim Reisen zu Pferd getragen. Diese Hose gelangte wahrscheinlich über Persien in den islamischen Raum. Und hier gewann sie üppig an Weite, sobald das Gewebe zum Kräuseln und Raffen fein genug war.

Aus Schriften und Bildquellen wissen wir, dass innerhalb der beiden Kulturräume die jeweiligen Variationen größer waren als zwischen ihnen. So zeigte sich im 14. Jahrhundert der sittenstrenge Reisende Ibn Battuta mit nordafrikanischem und spanisch-maurischem Hintergrund entsetzt, als er den seit langem zum Islam bekehrten Turkvölkern in der Steppe begegnete. Denn deren Frauen zeigten unabhängig von ihrem Rang, egal ob Königin oder Dienerin, und selbst unterwegs im Pferdewagen ihre Gesichter. Als sich die osmanischen Türken in Anatolien niederließen, übernahmen sie möglicherweise einige ortsübliche Kleidungsstücke, aber den Snob-Mehrwert für die Oberschicht durch Verschleierung entliehen sie nicht von der ansässigen Bevölkerung, sondern von den Byzantinern, deren Reich sie eroberten. Deren Normen der Körperverhüllung erforderten wesentlich geringeren Materialaufwand als die der Mameluken in Ägypten, deren Herrschaft die Türken ebenfalls beendeten. Im Westen gab es nirgendwo so starke Gegensätze in der Bekleidung wie zwischen Mameluken und Iranern zur Zeit der Timuriden oder zwischen Osmanen und Iranern unter den Safaviden: Miniaturmalereien und Keramiken zeigen, dass Osmanen und Mameluken die gleiche massig-unförmige Ästhetik einer breiten Silhouette in mehreren Lagen mit wuchtiger Kopfbedeckung pflegten, während man im Iran an der schlanken, nirgends ausgepolsterten Form mit spärlichen Kappen und luxuriösen Schals als Kopfbedeckung festhielt.

Das halbkreisförmige Tuch, der Tschador, wurde im 18. Jahrhundert im Iran eingeführt, ursprünglich in Weiß oder in blassen Farben: ein Kompromiss zwischen dem ländlichen Umhang der Antike (wie ihn die Bauern auf den Miniaturen tragen und er bei einigen ethnischen Minderheiten im Iran noch existiert) und den übergroßen Kaftanen aus Mittelasien, die über den Kopf gezogen und ohne Ärmel getragen wurden. Vielleicht spielt er auch auf die privaten Zelte oder Haudahs (Baldachine) an, in denen sich die Frauen aus den Herrscherfamilien der indischen Moguln in der Öffentlichkeit bewegten. Mit Gitterwerk vor den Augen wurde dieses Kleidungsstück zum Prototyp der Burka, die im Afghanistan des 20. Jahrhunderts erst von den Eliten in Kabul und dann vom ganzen Land übernommen wurde. Dieser indische Stil galt als so viel schicker und besser als die eigenen, traditionellen Umhänge und Tücher. (Ich habe selbst eine ältere Dame aus Afghanistan kennen gelernt, die sich noch daran erinnerte, wie die Burka unter den Neureichen der letzte Schrei war und nicht im entferntesten als traditionell oder fromm galt.)

Eine Modespezialistin interessiert an der Wiedereinführung islamischer Kleidung in den letzten 30 Jahren– ob aus Überzeugung oder unter Zwang – die Herkunft ihrer Formen. Etwa der Hidschab, das unter dem Kinn zusammengehaltene Kopftuch: Ein iranischer Mullah namens Musa Sadr, der in den 1970er-Jahren die Schiiten im Libanon stark beeinflusste, behauptete, er habe dieses im Wesentlichen mittelalterliche europäische Modell von den katholischen Nonnen übernommen und seiner Gemeinde als Zeichen muslimischer Identität empfohlen, um Sicherheit durch Reinheit zu gewährleisten.

Mit Foulard und Maxi gegen westlich entkleidete Mütter

Ägyptische Mädchen aus der Mittelklasse erfanden zu etwa derselben Zeit eine neue Körperbedeckung, um sich von ihren westlich entkleideten Müttern durch eine eigene visuelle Identität abzugrenzen. Der lange Gesichtsschleier der ägyptischen Tradition verbot sich von selbst, weil er nach Armut und Unwissenheit aussah. Die jungen Ägypterinnen entschieden sich für lange Mäntel, entsprechend den Pariser Maxicoats, wobei die Schnitte eher osmanischen Kaftanen nachgerieten. Dazu trug man dünne, quadratische Tücher um Kopf und Hals geknotet, die zwar in der Geschichte der islamischen Mode kaum vorkommen (im Gegensatz zum marokkanischen Schal-Turban, der schon seit Jahrhunderten getragen wird), dafür aber sehr den französischen Foulards des 20. Jahrhunderts ähneln.

Auch die Iranerinnen entwickelten schon vor der islamischen Revolution eigene rebellische Gewänder, die den libanesischen Schal mit dem ägyptischen Mantel kombinierten. Nach 1979 nötigte die staatliche Kleiderordnung dann aber allen iranischen Frauen den dunklen Tschador der konservativen, einfachen Leute auf. Das Religiöse war eher Vorwand: Der polizeiliche Puritanismus war politisch – genau wie der Mao-Look und die uneleganten Frisuren während Chinas Kulturrevolution. Im Iran wurde die strenge Ordnung im Lauf der Zeit durch Kosmetik und Schmuck unterlaufen, und die aktuellen bedruckten Kopftücher aus Teheran (die besten haben beinahe Hermès-Qualität) ziehen heute im gesamten Mittleren Osten argwöhnische Blicke auf sich. So wurde eine ausländische Reporterin, die über die irakischen Wahlen im vergangenen Jahr berichtete, wegen ihres eleganten Foulards von den Irakerinnen mit deutlichem Missfallen gefragt, ob sie Iranerin sei. Daraufhin ließ sie sich auf dem nächsten Basar ein schlichtes graues Synthetiktuch besorgen.

© Le Monde diplomatique, London; erschienen im Januar 2006; www.mondediplo.com. Aus dem Englischen von Herwig Engelmann Ethel King ist Journalistin und lebt in London.

Le Monde diplomatique vom 10.03.2006, von Ethel King