Cai Guo-Qiang
Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert gab es in China, so erzählt die Legende, einen weisen General. Ihm waren seine Waffen ausgegangen, weshalb er ein menschenleeres, mit Säcken beladenes Schiff dem feindlichen Beschuss aussetzte, um ohne eigene Verluste den Gegner zu schwächen und an Pfeile zu kommen. Derartige Geschichten aus seinem Heimatland kennzeichnen die Bildersprache des chinesischen Performance- und Installationskünstlers Cai Guo-Qiang (geboren 1957), obwohl er seit über zehn Jahren bereits in New York lebt. In seinen Arbeiten finden sich Drachen, Boote, Lampions und Speere, doch immer wieder greift er für einzelne Installationen auch lokale Spanungen auf: etwa die Situation der Türken in Deutschland (ein fliegender, mit Pfeilen bespickter Teppich) oder das Fortleben des Kommunismus in Polen (eine explodierende rote Fahne).
Um die Nähe von Schönheit und Schrecken, von Harmonie und Zerstörung zu inszenieren, verwendet Cai das Schwarzpulver, das als Feuerwerk und als Schießpulver Geschichte machte. Er „malt“ mithilfe gewaltiger Explosionen Bilder in die Luft, doch die über Monate vorbereiteten Werke sind letztlich ephemere Erscheinungen von wenigen Sekunden. Lediglich bei den Wandarbeiten bleiben am Ende wie Menetekel Spuren der Explosionen als Inschriften des Feuers zurück. Noch in China kam Cai Guo-Qiang mit den raumgreifenden Installationen der Environmental Art, Pop Kunst und Konzeptkunst in Kontakt. Der Partikularismus der Postmoderne zog ihn an. „Ich erfuhr, alles ist möglich, mach, was du willst“, erzählt er. Anders als die zumeist vom Postsozialismus inspirierten chinesischen Künstler, die derzeit den Kunstmarkt erobern, sind Mythen und Traditionen das Bezugsfeld von Cai Guo-Qiangs Arbeiten. Im heutigen China ist er damit längst kein Unbekannter mehr: Im letzten Jahr kuratierte er auf der Biennale von Venedig den ersten Pavillon der Volksrepublik. Die Chinesen kommen.
M.L.K.