09.04.2010

Die Angst des Dollars vor dem Yuan

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Die Angst des Dollars vor dem Yuan

Die Chinesen halten ihre Währung billig, weil sie den USA Staatsanleihen abkaufen von Dean Baker

Seit einem Jahr wird in den USA die Mutter aller Gefahren beschworen: China könnte irgendwann beschließen, dass man als Antwort auf die unfreundliche China-Politik Washingtons einfach keine US-Staatsanleihen mehr kauft. Mit Hilfe dieser Bonds – zu guten Zinsen – finanzieren die USA ihr Haushaltsdefizit. Eine Situation, in der sie keine Käufer mehr finden, gilt als Super-GAU der öffentlichen Finanzen, der einen Crash der Realwirtschaft zur Folge hätte.

Diese China-Angst benutzen jetzt viele Kräfte innerhalb der USA als Instrument, um einige politische Grundentscheidungen der Obama-Regierung auszuhebeln, darunter auch die neuen Konjunkturprogramme und eine gewollt inflationäre Geldpolitik. Dieselbe Angst muss auch als Erklärung dafür herhalten, dass Barack Obama die Chinesen nicht heftiger unter Druck setzt, um sie zur Aufwertung des Yuan gegenüber dem Dollar zu bewegen. Und sie dient sogar als Argument dafür, dass man die Sozialausgaben senken müsse, um das Haushaltsdefizit zu verringern. Kurzum: Binnen eines Jahres ist das Schreckgespenst China in den USA zu einem politischen Faktor geworden, der eine ähnliche Wirkung hat wie die Angst vor der atomaren Vernichtung in den heißesten Zeiten des Kalten Krieges.

Nun wurde die Gefahr einer atomaren Vernichtung damals zwar arg übertrieben (im Kalten Krieg war das Konzept der Vergeltung nicht irrsinnig, sondern tatsächlich recht vorsichtig), lag aber nicht jenseits der realen Möglichkeiten. Die heutige China-Angst hingegen ist komplett erfunden. Denn der unmittelbare Schaden für die US-Wirtschaft wäre sehr begrenzt, wenn China schlichtweg keine Staatsanleihen mehr kaufen würde. Im Gegenteil: Unter dem Strich würde sich wahrscheinlich ein enormer Vorteil für die USA ergeben, wie eine kurze volkswirtschaftliche Betrachtung zeigt.

Teurere chinesische Importe sind gut für die US-Industrie

Unsere Überlegungen gehen davon aus, dass die US-Zentralbank (Federal Reserve) und die Zentralbank Chinas beide innerhalb der Volkswirtschaft der USA tätig sind und ungefähr das Gleiche tun: Sie haben enorme Rücklagen, die sie in die Wirtschaft pumpen können, und zwar in Form von Staatsanleihen mit kurzen oder langen Laufzeiten. Üblicherweise pumpt die US-Zentralbank ihre Reserven nur als kurzfristige Anleihen in die Wirtschaft. In der aktuellen Krise greift sie auch noch zu anderen Mitteln: Sie kauft massenhaft Schuldverschreibungen mit längerer Laufzeit auf und in noch größerem Maßstab auch Hypothekarkredite.

Auch die chinesische Zentralbank hat massiv in das Finanzsystem der USA interveniert, indem sie mit ihren angehäuften Devisen kurz- wie langfristige Wertpapiere aufkaufte. So war sie Hauptabnehmer der zehnjährigen Staatsanleihen, als das US-Haushaltsdefizit aufgrund der Krise explodierte.

Würde Chinas Zentralbank diese Käufe auf einmal einstellen – aus politischer Verärgerung oder irgendeinem anderen Grund –, würden die Zinsen zu steigen beginnen (schon um andere Käufer für diese Bonds anzulocken). Damit käme die wirtschaftliche Erholung ins Stocken. Allerdings könnte die US-Zentralbank ohne weiteres gegensteuern, indem sie selbst die Käuferrolle der Chinesen übernimmt. Das liefe darauf hinaus, dass sie das Geld druckt, mit dem sie der Regierung ihre Staatsanleihen abkauft.

Das würde zwar Inflationsängste auslösen, aber die wären unbegründet. Natürlich wird die US-Wirtschaft durch den Zufluss von Geld und vom Zinsniveau beeinflusst, aber dabei ist es ist egal, ob das Geld aus der chinesischen oder der US-Zentralbank stammt. Das Ergebnis ist dasselbe: Wenn Chinas Entscheidung, US-Anleihen zu kaufen und damit die Zinsen niedrig zu halten, keine Inflation ausgelöst hat, wird das auch nicht geschehen, wenn die US-Zentralbank selbst Anleihen im selben Umfang kauft.

Bei diesen Überlegungen war vorausgesetzt, dass Chinas Zentralbank nach wie vor Dollaranleihen mit kurzer Laufzeit kauft, weil sie den Dollar-Yuan-Kurs stabil halten will, um weiterhin billig exportieren zu können. Das würde schlicht bedeuten, dass die Chinesen mehr kurzfristige und weniger langfristige US-Anleihen halten. Die US-Zentralbank hingegen hätte mehr Staatspapiere mit langer Laufzeit und weniger mit kurzer Laufzeit im Depot.

Was aber, wenn sich die chinesische Zentralbank anders entscheidet und insgesamt weniger Dollarpapiere kauft? Das würde bedeuten, dass der Kurs des Yuan nicht mehr an den Dollarkurs gekoppelt ist. Für die Chinesen ist der Ankauf von US-Staatsanleihen eines der wichtigsten Instrumente, um den Wert des Yuan gegenüber dem Dollar niedrig zu halten. Würde sie mit ihren Dollarreserven aus den riesigen Exportüberschüssen nicht die US-Bonds oder andere Dollarpapiere kaufen, würde der Wert des Yuan gegenüber dem Dollar steigen – und eine andere chinesische Außenhandelspolitik erzwingen.

Dies aber ist genau das, was die Bush- wie die Obama-Regierung immer wieder gefordert haben. Beide erklärten offiziell, dass sie einen teureren Yuan haben wollen. Warum also diese Panik, wenn die Chinesen genau das tun, was die Amerikaner von ihnen fordern? Ein stärkerer Yuan würde die chinesischen Importe in die USA verteuern, also eine gewisse inflationäre Wirkung haben. Aber das ist nichts Neues. Chinas Währungspolitik bedeutet vor allem eine Subventionierung der chinesischen Warenverkäufe in die USA (aber auch in weite Teile des Weltmarkts insgesamt, denn der Wert des Yuan wird ja auch gegenüber den Währungen aller anderen Industrieländer niedrig gehalten). Wenn sich der Yuan gegenüber dem Dollar verteuert, ist es mit dieser Subventionierung vorbei.

Damit würden aber nicht nur die Preise chinesischer Güter auf dem US-Markt steigen, sondern auch die Preise von Importen aus den Ländern, deren Währungen an den Yuan gekoppelt sind. Die daraus resultierende Inflation wäre der Preis, der für die Korrektur der US-Außenhandelsbilanz zu zahlen wäre, deren Defizite in ihrer heutigen Höhe nicht mehr hinnehmbar sind. Diese Inflation mag unerwünscht sein, würde aber die US-Wirtschaft nicht stärker schädigen oder gar in eine Hyperinflation à la Simbabwe münden.

Importe aus China und Ländern, deren Währungen sich am Yuan orientieren, machen lediglich 4 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Selbst ein Preisanstieg dieser Importe um 30 Prozent würde nur 1,2 Prozent mehr Inflation bedeuten, auch wenn ihn die Importeure voll an die Verbraucher weitergeben würden. Das ist kein kleines, aber ein beherrschbares Problem. Zum Vergleich: Als der Rohölpreis innerhalb eines Jahres von 70 auf 150 US-Dollar pro Barrel stieg, machten die verteuerten Ölimporte mehr als 2 Prozent des BIP aus.

Die positive Kehrseite höherer Importpreise wäre aber ein enormer Aufschwung für die Fertigungsindustrie der USA, die in vielen Branchen schlagartig viel konkurrenzfähiger wäre. Damit könnten viele Importwaren durch inländische Produkte ersetzt werden. Auf jeden Fall würde sich damit die Zuwachsrate chinesischer Import drastisch verlangsamen. Im Übrigen würde die Verbesserung der „terms of trade“ für die US-Industrie auch die Folgen von Zinserhöhungen mildern.

Kurzum: Die Sorgen für den Fall, dass China keine US-Staatsanleihen mehr kauft, sind unberechtigt. Selbst wenn in Peking eine solche Entscheidung fallen würde, könnte dies der US-Wirtschaft zu mehr Wachstum verhelfen und seit langem bestehende Ungleichgewichte ins Lot bringen.

Aus dem Englischen von Dietmar Bartz Dean Baker ist einer der Vizedirektoren des Center for Economic and Policy Research in Washington, D.C. Zuletzt erschien von ihm: „False Profits: Recovering from the Bubble Economy“, Sausalito, Kalifornien (Polipoint Press) 2010.

Le Monde diplomatique vom 09.04.2010, von Dean Baker