Sicherheit für Reiche
Als Corinna Wichmann 2004 mit ihren Recherchen für den Dokumentarfilm „Auf der sicheren Seite“ begann, waren „Gated Communities“ noch ein weitgehend unbearbeitetes Thema. Private Wohnanlagen, die wie Festungen überwacht werden, gibt es überall auf der Welt, in Industrieländern – allein in den USA sind es etwa 40 000 –, in Entwicklungsländern wie Bangladesch oder Schwellenländern wie Brasilien. Corinna Wichmann und Lukas Schmid zeigen Innenansichten von drei Gated Communities auf drei Kontinenten: Dainfern bei Johannesburg, Spanish Trail in Las Vegas und Palm Meadows in Bangalore.
Der Fotograf David Goldblatt, vor allem bekannt für seine Sozialreportagen, hat den Bau von Dainfern, Südafrikas erfolgreichstem Immobilienprojekt, von Anfang an dokumentiert. 1986 hatte die Investmentfirma JCI das 320 Hektar große Gelände außerhalb von Johannesburg erworben. Die vormaligen Bewohner des Geländes hat das Unternehmen vertrieben, erzählt Goldblatt. Auf seinem ersten Foto, das er Wichmann und Lukas zeigt, sieht man ein noch unbebautes, aber schon eingezäuntes Gelände mit gemauerter Toreinfahrt.
Spanish Trail ist eine Eigenheimsiedlung mit 1 200 Häusern am Rande von Las Vegas. Hier wohnen Stacy Standley und seine indische Frau Poochi. Für Standley, den früheren Weltenbummler und sportlichen Rentner, ist es ein Leben im goldenen Käfig. Er ist ein kommunikativer Typ, aber Freunde hat er in Spanish Trail nicht gefunden, „die Leute sind hier sehr auf sich selbst bezogen“.
Eine Abordnung der Eigentümergemeinschaft wird gezeigt. Bei einer Begehung des Geländes sind die Mitglieder entsetzt, „wie heruntergekommen“ die früher doch so schöne Gegend heute sei. Ein schief gewachsener Baum („der muss weg“) oder die falsche Bepflanzung sorgen für Empörung. Auf den geleckten Straßen von Spanish Trail sieht man ansonsten nur den Wachmann Chuck Belvin, der offene Garagentore oder Verstöße gegen die Mülltonnenordnung über Funk sofort an die Zentrale meldet.
Der alte Barbier im Country Club ist vor allem deshalb hierhergezogen, weil es keine Kinder gibt. Das ist für ihn das Beste überhaupt. Wer sich für Spanish Trail entschieden hat, führt ein Leben in selbst gewählter Unfreiheit, darin sind sich alle einig, ob sie das bedrückend finden wie der gesellige Standley oder gut und richtig wie der strenge Geschäftsführer Asa Ashcroft.
Für die weiße Südafrikanerin Penny Steyn, Sicherheitsberaterin in Dainfern, ist der Wohnort eine Frage des Überlebens. Zwei Ehemänner und ihre beste Freundin wurden bei Raubüberfällen umgebracht. Deshalb instruiert sie die schwarzen Hausangestellten von Dainfern in einer Art Animationsshow, wie sie Verdächtige – schließlich leben sie ja mit den potenziellen Tätern unter einem Dach – per SMS der Polizei melden sollen. Der hohe Palisadenzaun hinter der Mauer von Dainfern steht unter Strom – 30 000 Volt – jede Bewegung wird sofort an den Kontrollraum gesendet, und auf dem gesamten Gelände sind Überwachungskameras installiert. Die interessierte Käuferin, die Maklerin Brenda Gilbert herumführt, ist begeistert: „Golf und Sicherheit, das gefällt mir.“ Hier lebten „Südafrikas Weiße und Schwarze“ zusammen, erzählt die Immobilienmaklerin. Sie selbst wohnt seit 17 Jahren in Dainfern und schwärmt von der kleinen geschlossenen Gemeinschaft, in der man nur auf seinesgleichen treffe.
David, der die Gilberts als Caddy zum Golfplatz begleitet, der Vorarbeiter Jack Machaka, der für die Sauberkeit auf dem Gelände zuständig ist, und Mary Galebodiwe, die seit über 20 Jahren bei den Gilberts als Kindermädchen und Haushaltshilfe arbeitet, leben wie all die anderen schwarzen Hausangestellten im benachbarten Slum Zewenfontain („Sieben Quellen“). Der Name sei ein Hohn, sagt Fotograf Goldblatt, denn hier gab es anfangs weder Wasser noch Strom. Mary zeigt Wichmann und Schmid ihr „Haus“, eine zirka acht Quadratmeter große Wellblechhütte, in der sie zu viert wohnen. Mary schläft in dem einzigen Bett; ihrem Sohn und den beiden Cousins bereitet sie abends ein Lager auf dem Boden. Die wenige Kleidung wird in einem schwarzen Rollkoffer verstaut. Wenn sie sich umzieht oder wäscht, zieht sie den Bettvorhang zu.
Den Unternehmer und engagierten Bürger R. K. Misra stören an Bangalore vor allem die miesen Straßenverhältnisse. Er kämpft gegen Schlaglöcher und für den Asphalt. Auf Sitzungen sieht man ihn den verlegen lächelnden Beamten vom Straßenbauamt deutliche Anweisungen geben („Wenn da in zwei Wochen immer noch keine Straße ist, gehe ich Ihnen wieder auf die Nerven“). Mit seiner Mission gewann Misra sogar bei einer politischen Talentshow. Die Zuschauer von „Lead India“ kürten den Mann, der von einer funktionierenden Infrastruktur träumt, zum Sieger.
Ein Leben in selbst gewählter Unfreiheit
Auf den Straßen und Wegen von Palm Meadows mit seinen schönen Villen im viktorianischen Stil geht es im Vergleich zu Spanish Trail lebendig zu. Unter den Vätern, die wie Misra in T-Shirt und Jeans ihre Kinder zum Schulbus bringen, sieht man viele, die auch aus Hongkong oder Berlin kommen könnten.
Für Misra erfüllt Palm Meadows eine Vorbildfunktion: „Ein, zwei Milliarden Menschen können natürlich nicht so leben. Aber wenn wir das Leben draußen verbessern, sind Gated Communities unnötig.“ Bangalore mit seinen vielen Schotterstraßen, auf denen auch mal eine Kuh liegen bleibt, ist gleichzeitig ein IT-Zentrum. Indiens fünftgrößte Stadt orientiere sich an Schanghai oder Singapur, erzählt die Ethnologin Carol Uphadya. Nur hätten die Firmen eben nie, wie angekündigt, in die Infrastruktur investiert. Deshalb gebe es auch dieses Indien der zwei Geschwindigkeiten, sagt H. S. Balram von der Lead India Initiative, der findet, dass die Regierung aktiver werden müsste.
„Auf der sicheren Seite“ ist ein klassischer Dokumentarfilm ohne belehrende Stimme aus dem Off, die von den Bildern ablenken könnte. Man erfährt vieles allein durch die Ruhe, mit der Schmids Kamera beobachtet. So bleiben einem die Gesichter von Stacy, Brenda, Mary und Misra noch lange im Gedächtnis. Am 29. April läuft der Film im Kino an. Dorothee d’Aprile
© Le Monde diplomatique, Berlin