Ahnung von Ackerbau und Viehzucht
Von den 6,5 Milliarden Menschen unseres Planeten können sich 850 Millionen nicht satt essen, fast 2 Milliarden leiden wegen unzureichender Protein-, Vitamin- und Mineralienzufuhr an Mangelernährung. Die multinationalen Saatgutkonzerne behaupten, gentechnisch veränderte Pflanzen könnten zur Lösung dieses Problems beitragen. Wie glaubwürdig ist ihre Argumentation?
Zwei Drittel der mangel- und fehlernährten Menschen leben in Bauernfamilien, die ausschließlich mit handwerklichem Gerät arbeiten und zu geringe Ernte- oder Vieherträge erwirtschaften, als dass sie sich davon ernähren oder Lebensmittel hinzukaufen könnten. Das übrige Drittel lebt verarmt oder hoch verschuldet in Elendsquartieren und findet keine angemessen bezahlte Arbeit. Das geeignete Mittel zur Behebung von Hunger und Mangelernährung wäre die Anhebung der landwirtschaftlichen Produktivität und der Einkommen der Ärmsten in der Welt.
Dieses Ziel lässt sich mit genetisch veränderten Pflanzen (GVP) nicht erreichen. Unter technischen Gesichtspunkten erfolgversprechend wären vielmehr Mischkulturen und Fruchtwechselwirtschaft. Damit würde via Fotosynthese ein Höchstmaß von Sonnenenergie in Lebensmittelkalorien umgesetzt. Durch stickstoffbindende Zwischensaaten ließe sich ein Höchstmaß an Proteinen produzieren, und durch Laubfall und Humusbildung könnten die Pflanzenwurzeln ein Höchstmaß an Mineralien an die Oberfläche befördern. Eine möglichst lückenlose Pflanzendecke schützt den Boden gegen Erosion durch tropische Regenfälle, abfließendes Wasser und heftige Winde. Mit der Verteilung organischer Stoffen auf den Feldern würde die Humusbildung gefördert und die Verbreitung und Vermehrung von Schädlingen und Schadstoffen verhindert.
Widerstandsfähige Pflanzensorten, die auch unter schlechten Bedingungen hinreichende Erträge bringen, begrenzen das Risiko schlechter Ernten. Man denke an den jüngsten Erfolg des „Regenreises“ Nerica in Westafrika. Als klassische Kreuzung afrikanischer und asiatischer Sorten ist diese proteinreiche Varietät außerordentlich trockenheitsresistent, und zwar ohne gentechnische Manipulation.
Ebenso wäre die Mischwirtschaft aus Feldbau und Viehzucht zu fördern, da die Erntereste zur Ernährung des Viehs und dessen Ausscheidungen zur Düngung der Felder verwendet werden können. Außerdem müssen die Bauern Zugang zu den nötigen Produktionsmitteln erhalten, darunter Zugtiere, Karren für den Transport organischer Stoffe sowie ausreichende Ackerflächen. Es kommt also vor allem auf Ressourcenverteilung an.
Die bäuerlichen Gemeinwesen der Dritten Welt besitzen ein „natürliches“ methodisches Wissen, das weitgehend brachliegt. Hierzu gehören die berühmten kreolischen Gärten, die auf Haiti und zahlreichen Inseln der Karibik zur Selbstversorgung dienen. In der Sahelzone säen manche Gemeinschaften ihr Getreide unter Acacia-albida-Baumbeständen aus, einem Mimosengewächs, dessen Blätter sich zum einen als Viehfutter eignen, zum anderen ein hervorragendes Düngemittel abgeben. Im Flussdelta des Roten Flusses in Vietnam züchten die Bauern in den Reisfeldern Süßwasseralgen, die die Vermehrung von stickstoffbindenden Cyanobakterien fördern. Und die Entenzucht in den Reisfeldern hat sich als wirksames Mittel gegen schädliche Insekten bewährt.
Auch diese traditionellen Methoden sind verbesserungsfähig, den Agronomen wird die Arbeit so schnell nicht ausgehen. Nur ist dabei die Komplexität der Ökosysteme zu berücksichtigen, deren produktives Potenzial sorgfältige Pflege erfordert. Unter diesem Gesichtspunkt gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass die landwirtschaftliche Erzeugung und die landwirtschaftlichen Einkommen mangels Gentechnikeinsatzes an ihre Grenzen stoßen und genetisch veränderte Pflanzen den armen Bauern von Nutzen sein könnten. Sicher haben die multinationalen Saatgutkonzerne die großen Summen in diese Technologie nicht investiert, um ihr Saatgut den zahlungsschwächsten Bauern der Dritten Welt zugute kommen zu lassen. Transgene Soja-, Mais- und Baumwollsorten werden in Brasilien, Argentinien oder Südafrika auf Großplantagen angebaut. Es ist nicht bekannt, dass sie dem Elend der Bauern in den ehemaligen Homelands oder dem der Menschen in den Slums ein Ende bereitet hätten.Marc Dufumier
Marc Dufumier lehrt am Institut national agronomique Paris-Grignon (INAPG).