Marktpanik im Euroland
von Thomas Fricke
Die Stammtischvariante geht so: Griechen und Andere haben geschludert, jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt und am Ende so viele Schulden gehabt, dass sie für so viele Sünden bestraft werden mussten. Keine Frage. Selber schuld. Da darf nicht auch noch geholfen werden. So schrieben in den Krisenmonaten des Winters 2009/10 deutsche Kommentatoren. Und so schien auch die Grundhaltung von Bundeskanzlerin und Bundesregierung – bis die Sache eskalierte und irgendwann doch geholfen werden musste.
Haben die Deutschen mit der Krise wirklich nichts zu tun? Waren es nur die Anderen, jene Südländer, denen wir schon immer misstraut haben – und die für offenbares Fehlverhalten jetzt angemessen bestraft werden? Das wäre einfach. Dann müssten wir die Anderen entweder rauswerfen oder die Strafen, Abschreckungsinstrumente und Drohgebärden nur verschärfen, so lange bis alle gehorsam und solide arbeiten. Und die Welt wäre in Ordnung.
Das scheint selbst nach Monaten Eskalation noch die präferierte Antwort, fragt man deutsche Politiker. Oder Jürgen Stark, den Chefökonomen der Europäischen Zentralbank, der sich eher darin bestätigt sieht, wie falsch es war, den Stabilitätspakt, den er mit erfunden hat, nicht noch viel strikter zu machen, mit noch mehr Strafen und Sanktionen.
Ob die Währungsunion dann wirklich funktionieren würde? Ob die aktuelle Krise dann vermieden worden wäre? Es gibt Gründe, die dafür sprechen. Die meisten dürften allerdings eher dagegen sprechen. Und: Je nachdem, wie man auf die gestellten Fragen antwortet, macht das einen atemberaubenden Unterschied – für die Zukunft der Euro-Zone und die richtigen Lehren aus der Krise. Was ist, wenn das, was die Deutschen vorschlagen, die tieferen Ursachen der Krise gar nicht behebt? Wenn die Deutschen mit ihrem wirtschaftspolitischen Selbstverständnis ungewollt zur Krise beigetragen haben? Und wenn es in Wirklichkeit darum geht, Finanzmärkte zu bändigen, die den Bezug zur Wirklichkeit mit zunehmendem Ausmaß und zunehmend erschreckenden realen Folgen verlieren. Dann könnte es nur noch eine Frage der Zeit sein, wann das Euro-Experiment krachend scheitert. Dann sind die Deutschen womöglich die größten Verlierer.
Zum deutschen Selbstverständnis gehört der feste Glaube daran, dass es ökonomisch reicht, wenn alle Länder einer Währungsunion ihre wirtschaftspolitische Energie darauf konzentrieren, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und ausgeglichene Haushalte zu haben. Dazu gehört auch ein erstaunlich hohes Vertrauen in die Urteilskraft und Effizienz von Finanzinvestoren. Nach dem Motto: Wenn der Markt Griechenland pleitegehen lässt, wird das schon gute Gründe haben. Genau hier liegt das Euro-Drama.
Beispiel Wettbewerbsfähigkeit: Natürlich ist es ökonomisch schlecht, wenn eine Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert und die Kosten stärker steigen als anderswo. Die Frage ist nur, ob das unter allen Umständen gilt. Und ob es von Vorteil ist, wenn alle sich beim Kostensenken zu überbieten versuchten. Immerhin haben auch die Griechen keine so dramatisch hohen Lohnzuwächse gehabt; sonst wäre die Arbeitslosigkeit in den 2000er-Jahren auch nicht stärker gefallen als in Deutschland. Sie haben ihre Kosten nur nicht so dramatisch gedämpft wie die Deutschen. Und wenn die Deutschen mit derart forciertem Kostensenken einigermaßen erfolgreich waren, lag das am Ende auch daran, dass die Anderen im Euro-Raum relativ kräftig wuchsen und eben nicht das Gleiche taten.
Beispiel Finanzmärkte. Klar, haben griechische Regierungen über Jahre hinweg mehr Staatsdefizite gemacht, als sie laut Stabilitätspakt durften. Klar, war es ein mittleres Desaster, als sich herausstellte, dass schlechte öffentliche Haushaltszahlen zurückgehalten wurden. Die Frage ist nur: Reicht das, um ein ganzes Land in die Pleite zu treiben? Und lässt das auf effiziente Finanzmärkte schließen?
Dagegen spricht, dass Griechenland längst nicht das einzige Land ist, in dem das Staatsdefizit über 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen ist. Warum gibt es nicht ansatzweise so viel Wind um die Briten, deren Staatsfinanzen nach EU-Studien so wenig nachhaltig sind wie in kaum einem anderen Land? Warum haben sich die Finanzmärkte so schnell mit irischen Konsolidierungsversprechen abgefunden, obwohl der Abbau der Defizite dort langsamer vorangehen soll als in Griechenland? Und warum, ganz nebenbei, haben dann führende Konjunkturexperten über Monate diagnostiziert, Griechenland werde nicht in Pleitegefahr geraten – wenn die Gründe dafür angeblich so klar waren?
Die Finanzmärkte haben sich fatal verselbständigt
Dagegen spricht auch die Einseitigkeit, mit der mittlerweile über alles geurteilt wird, was Griechenland und seine Wirtschaft betrifft. Das ist ein Fall beinahe kriminell selektiver Wahrnehmung. Es ist keine zwei Jahre her, da schwärmten orthodoxe Ökonomen aus internationalen Organisationen noch davon, dass die Griechen über die vergangenen fünfzehn Jahre das zweithöchste Pro-Kopf-Wachstum in der ganzen Industriewelt hatten. Jetzt gilt die Wirtschaft als marode. Dabei blieben die Risikoprämien auf Unternehmensanleihen niedrig, als die Krise um Griechenlands Staatsfinanzen ausbrach.
An einem effizienten oder gerechten Urteil der Finanzmärkte lässt auch die Tatsache zweifeln, dass es seit Ausbruch der Krise keine neuen horrenden Nachrichten über die Grundlage der Staatsfinanzen gab – und die Risikoprämien trotzdem in Wellenbewegungen immer höher schossen. Wenn die Märkte nur ansatzweise effizient reagiert hätten, hätten die Prämien eher sinken müssen. Immerhin hat die griechische Regierung ja alles darangesetzt, die Forderungen nach einem drastischen Konsolidierungspaket zu erfüllen. Dass es bei der Umsetzung verständlicherweise Proteste gab, ist allein kein Grund, den Staat in den Bankrott zu schicken. Proteste und Verzögerungen hat es bei weit weniger gravierendem Anlass auch in Deutschland gegeben, als die Agenda 2010 durchgeboxt werden sollte.
All das spricht dafür, dass sich das Drama an den Finanzmärkten irgendwann fatal verselbstständigt hat. Es gibt mittlerweile reichlich Indizien dafür, dass Hedgefonds und andere Investoren zeitweise kräftig gegen griechische Anleihen und den Euro spekuliert haben – um mit der Wette auf Griechenlands Pleite eine Menge Geld zu machen. Solche Attacken gingen über Wochen mit dem Phänomen einher, das moderne Finanzmärkte auf zunehmend fatale Weise bestimmt: dass sich prozyklisch Wellen entwickeln, bei denen alle Akteure ganz rational einem Trend hinterherlaufen, auf diese Art Gewinne einstreichen und den Herdentrieb damit noch verstärken. Anders lässt sich kaum erklären, warum – ohne große neue Hiobsbotschaft – die Risikoprämien auf griechische Staatsanleihen im April irgendwann sogar auf 10 Prozentpunkte hochschnellten.
Wenn das stimmt, haben die Deutschen womöglich einen viel größeren Anteil am Desaster der Euro-Zone, als es das gängige wirtschaftspolitische Selbstlob erahnen lässt. Das gilt schon für die fundamentalen Ursachen der Krise. Natürlich kann es auf Dauer nicht gutgehen, wenn ein Land den Großteil seines Wirtschaftswachstums daher holt, dass es wie Deutschland in den 2000er-Jahren stetig mehr exportiert als importiert. Dieses Ungleichgewicht lässt sich auch nicht allein auf die Schluderei der Anderen schieben.
Deutsche Regierungen haben über zehn Jahre fast alle Energie darauf gesetzt, immer und immer wieder Kosten zu senken, die Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit als (beinahe) alleiniges Ziel von Wirtschaftspolitik aussehen zu lassen – und dabei so zu tun, als reiche es, wenn Andere unsere Waren kaufen und wir derweil unseren Konsum (und die Importlust) durch höhere Mehrwertsteuern de facto bremsen. Dabei waren die deutschen Exporteure entgegen den damaligen Panikeinlagen im Land schon 2003 ziemlich fit. Da darf man sich nicht wundern, wenn die eigenen Überschüsse in anderen Ländern irgendwann entsprechende Defizite bedeuten, die dann irgendwann zu tieferen Krisen für alle führen. Siehe Griechenland.
Beim VWL-Studium des Merkantilismus lernt man, dass es auf Dauer in Krisen endet, wenn ein Land Überschüsse hortet. Das gilt auch für die moderne deutsche Variante. Es kommt einer Art ordnungspolitisch korrektem Protektionismus gleich, wie 2007 die Mehrwertsteuer zu erhöhen (die auch Importeure zu zahlen haben), um mit dem Geld Sozialbeiträge zu senken, wovon nur heimische Betriebe profitieren. Das ist im Euro-Ausland zu Recht auf viel Unmut gestoßen.
Ähnliches gilt in Sachen Finanzmarktpanik. Womöglich hat das, was die Deutschen gut meinten, zum Desaster erst beigetragen. Nach altdeutscher Lesart war es gut, die Griechen immer wieder im Unklaren darüber zu lassen, ob wir helfen – weil das den Druck angeblich erhöht. In Wirklichkeit könnte gerade das die Reaktion gewesen sein. Wenn Investoren auf eine Pleite spekuliert haben, haben sie dazu quasi regierungsamtlich aus Deutschland immer wieder neue Nahrung bekommen: jedes Mal, wenn eine deutsche Kanzlerin Bedingungen stellte, Regierungspolitiker an Zusagen zweifelten oder Professoren neue Klagen in Karlsruhe ankündigten. Klar: Spekulation gedeiht am besten, wenn Unsicherheit herrscht. Dann bleibt Potenzial, um gegen oder für etwas zu wetten. Dann hätte es eine solch dramatische Krisenzuspitzung ohne Frau Merkels Wankelmut und Zögern gar nicht gegeben. Dass es in Griechenland zu viel Korruption gibt, ist dafür kein hinreichender Grund.
All das heißt nicht, dass Defizitländer keine Schuld trifft und es nicht wichtig wäre, Regelverstöße zu ahnden. Es lässt nur erahnen, dass das nicht reicht. Und es lässt erahnen, dass auch die Deutschen gefragt wären, wenn es darum geht, solche Desaster künftig zu vermeiden. Das wird nicht gelingen, wenn sich wirtschaftspolitische Koordinierung im Euro-Raum darauf beschränkt, gegenseitig möglichst solide Haushaltspolitik einzufordern.
Wie wenig das – selbst bei bestem Willen – allein hilft, zeigt das Beispiel Spanien. Die Regierungen reduzierten über Jahre hinweg vorbildlich die Haushaltsdefizite, fuhren über Jahre sogar Überschüsse ein. Nach dem Stabilitätspakt war Spanien ein Musterschüler. Nur sieht der Stabilitätspakt eben nicht wirklich vor, dass es auch andere Krisengründe geben kann. Dabei war seit Jahren klar, dass Spanien früher oder später auf ein Ende des enormen Baubooms zusteuern würde; und dass dies zu heftigen Rückschlägen führen wird. Ein schlauerer Stabilitätspakt müsste darauf setzen, dass auch solche verdeckten Übertreibungen frühzeitig angegangen werden. Hätten die EU-Partner Spanien nicht viel früher drängen sollen, mit finanziellen Bremsaktionen einer Überhitzung der Immobilienentwicklung entgegenzuwirken – statt mit EU-Zustimmung mitten in der Überhitzung nochmals Steuern zu senken?
Zu einem ökonomisch sinnvolleren Stabilitätspakt könnte auch gehören, sich beim Abbau enormer Überschüsse und Defizite im innereuropäischen Handel abzustimmen. Selbst wenn es für das ein oder andere Ungleichgewicht Gründe gibt, kann es auf Dauer nicht gutgehen, wenn ein Land wie Deutschland mit allen wirtschaftspolitischen Mitteln nachhilft und im Ergebnis fast durchweg steigende bilaterale Überschüsse forciert, sprich: den Euro-Partnern damit per Definition Marktanteile abzunehmen versucht – während die anderen immer höhere Defizite einfahren. US-Ökonomen haben einmal empfohlen, Strafen einzuziehen, wenn ein Land dauerhaft mehr als 3 Prozent Überschuss oder Defizit in seiner Leistungsbilanz hat. Das könnte auch in der Euro-Zone disziplinierend wirken.
Da nützt auch die naive Empfehlung wenig, die Anderen sollen jetzt eben auch ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern und Kosten entsprechend senken. Das klingt immer gut. Nur: Wenn die Anderen über solch einen Kostenabbau ihre Defizite abbauen wollen, müssen sie eine ganze Zeit lang mehr exportieren, als sie importieren – und die Deutschen weniger verkaufen, als sie einführen. Das hieße, dass die Anderen Marktanteile gewinnen – und die Deutschen verlieren. Sonst funktioniert das arithmetisch nicht.
Die Frage ist, ob dieser Weg dann optimal ist, zumal dabei die reale makroökonomische Gefahr wächst, dass beim Abwärtskorrigieren eine gefährliche Deflationsspirale entsteht, eine Art Abwertungskampf über die Kosten. Das wäre ein Desaster. Da wäre es besser, sich darüber abzustimmen, ob nicht die Deutschen in Maßen mehr für die Binnennachfrage tun sollten, während die Anderen in Maßen konsolidieren.
Ein brachialerer Stabilitätspakt nach bisheriger Fiskallogik würde das Problem eher verschlimmern als verbessern. Auch dafür bräuchte man neue Abstimmungsmechanismen. Dabei müsste es auch gar nicht darum gehen, deutsche Exporte zu verhindern. Es würde reichen, Deutschland auch mal dafür zu ermahnen, die Wirtschaftspolitik nicht wieder fast ausschließlich auf die Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit auszurichten und stattdessen für eine stabilere Binnennachfrage zu sorgen. Da würde es im Zweifel schon reichen, auf höhere Steuern zu verzichten oder hier und da sogar zu entlasten. Dann könnten die Deutschen umgekehrt ihrer Neigung nachgehen und Andere übers Sparen belehren.
Spätestens die jüngste Zuspitzung der Griechenlandkrise drängt den Verdacht auf, dass die Solidarität noch viel weiter gehen muss – und im Notfall auch einer ganz anderer Logik folgen muss, als dem bisher noch gängigen wirtschaftspolitischen Selbstverständnis in Deutschland entspricht.
Nach der Analyse von US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz wäre Griechenland nach gängigen Erfahrungen mit anderen Bankrotteuren 2009/10 gar kein Pleitekandidat geworden, wenn Zinsen und Risikoprämien an den Finanzmärkten nicht irgendwann dramatisch gestiegen wären. Sprich: Bei einigermaßen normalen Sätzen wäre die Refinanzierung der Staatsschulden wahrscheinlich nie zum Problem geworden.
Die deutschen Drohgebärden waren auf die Falschen gezielt
Wenn das stimmt, wäre es dringend nötig gewesen, die Verselbstständigung der Marktpanik samt steil steigender Zinsen so rapide wie möglich zu stoppen, statt wochenlang Formulierungen zu wälzen. Wäre schon im Dezember klar und zweifelsfrei gewesen, dass die mächtigen EU-Regierungen (mit oder ohne IWF) im theoretischen Notfall alle Mittel zusammenwerfen würden, um eine griechische Pleite unbedingt zu verhindern (und das Schuldenproblem intern zu lösen), dann hätten Investoren auch keine Option mehr gehabt, auf so eine Pleite zu wetten; dann hätte es auch keinen Grund für einen panikgetriebenen Käuferstreik gegen griechische Anleihen gegeben; und der Herdentrieb hätte frühzeitig gestoppt werden können. Dann hätten die Deutschen mit Hilfen nur drohen müssen, weil dies die Märkte vor großen Spekulationen abgeschreckt hätte. Wenn das stimmt, hat die Bundesregierung mit ihren Drohgebärden gegen die griechische Regierung und ihr Volk auf katastrophale Weise danebengelegen und sozusagen auf die Falschen gezielt.
Schon daraus ließen sich tiefere wirtschaftspolitische Konsequenzen ziehen. Dann wird es auch künftig in akuten Krisenfällen wenig helfen, noch mehr Drohgebärden gegen eine Regierung aufzubauen, die dem Entgleisen der Finanzmärkte auch nur staunend zusehen, bis sie vor lauter Exzesszinsen ihre Schulden tatsächlich nicht mehr bedienen können. Dann gilt es politisch künftig rasch zu entscheiden, ob ein Land ungerechtfertigt in eine Bankrottspirale zu geraten droht, und es dann mit aller Macht zu stützen und spekulative Attacken abzuschrecken. Dann sollten die Europäer rasch einen Stabilisierungsfonds und ein Frühwarnsystem einrichten. Dann müsste es künftig möglich sein, in Windeseile vorab beschlossene Mittel freigeben zu dürfen, ohne im Notfall jene parlamentarischen Hürden und Zweifel überwinden zu müssen, die nur zu noch mehr Spekulation an den Märkten Anlass geben, wie sich im Frühjahr 2010 gezeigt hat.
Viel spricht nach den vergangenen Wochen dafür, dass es keine Floskel mehr ist, zu sagen, dass die Euro-Zone ohne grundlegend neues Selbstverständnis früher oder später zu krachen droht. Es ist auf Dauer nicht vereinbar, wenn ein gewichtiges Land wie Deutschland auf ein wirtschaftspolitisch sehr simples Selbstverständnis pocht, bei dem jedes Land für alle seine Probleme selbst verantwortlich ist. Das ist in einer globalisierten Finanzwelt ebenso absurd, wie es dies in einer Währungsunion ist, in der die Erfolge der einen eben auch rasch die Krisen der Anderen sein können.
Der Kampf ums Helfen oder Nichthelfen zugunsten Griechenlands steht für ein erschreckendes Auseinanderklaffen wirtschaftspolitischer Denkmodelle zwischen den Euro-Staaten. Und die Deutschen stehen mit ihrem Modell heute ziemlich allein da, nicht nur im Euro-Raum. Es ist fahrlässig, derart naiv auf die Effizienz von Finanzmärkten zu setzen, wenn sich die Wette auf den ökonomischen Absturz eines ganzen Landes so schnell selbst erfüllt. Und es ist naiv, zu glauben, dass es für alle prima wäre, wenn jedes Land versucht, den Anderen Marktanteile abzunehmen. Das geht nicht gut, wenn nicht irgendwer auch Geld ausgibt, statt nur zu sparen – am besten alles in Maßen.
Wenn die Euro-Länder sich nicht auch gegenseitig füreinander verantwortlich fühlen, droht der ganz große Crash. Da hilft auch der Verweis auf bestehende Regeln wenig, wenn diese aus alten Erkenntniswelten stammen. Das Euro-Verbot, sich gegenseitig finanziell zu helfen, ist eine Regel aus Schönwetterzeiten. Es setzt voraus, dass Länder nur deshalb in solche Schwierigkeiten kommen können, weil sie selbst daran schuld sind. In so einem Fall wäre das auch sinnvoll. Was aber ist, wenn ein Land zum Opfer spekulativer Attacken wird, gegen die es sich selbst mit dem härtesten denkbaren Sparpaket nicht mehr wehren kann? Dann wäre es absurd, das Land fallen zu lassen, schon weil das Desaster dann um sich zu greifen droht.
Thomas Fricke ist Chefökonom der Financial Times Deutschland. Sein Text ist Teil der Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Euroland auf dem Prüfstand. Ist die Währungsunion noch zu retten?“ (library.fes.de/pdf-files/id/ipa/07227.pdf). Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Le Monde diplomatique, Berlin