09.06.2006

Dialog of Civilisations

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Dialog of Civilisations

Kurzes Protokoll eines langen Gesprächs mit politischen Islamisten von Hal Saunders und Basil Eastwood

Die Länder der arabischen Welt stehen am Beginn einer Phase weitreichender politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungen, auf die Europa und die USA konstruktiv reagieren müssen. Die Wahlen in Ägypten haben gezeigt, dass Muslime, die ihren Glauben auf friedliche Weise ins politische Leben ihrer Länder einbringen wollen, bei diesen Veränderungen eine immer wichtigere Rolle spielen werden. Die Beziehungen, die sich zwischen dem Westen und veränderungswilligen Kräften in der arabischen Welt entwickeln, werden enorme Auswirkungen für uns alle haben. Eine konstruktive Beziehung erfordert einen wirklichen Dialog, aufmerksames Zuhören und gegenseitigen Respekt.

Ein solcher Dialog ist durch den Wahlsieg der Hamas und den Machtwechsel in Palästina nur noch dringlicher geworden. Welche fruchtbaren Ergebnisse er haben kann, wollen wir im folgenden dokumentieren. Im Rahmen einer kleinen Gruppe von Arabern, US-Amerikanern und Europäern haben wir uns seit Anfang 2004 siebenmal zu Gesprächen getroffen, die vom International Institute for Sustained Dialogue organisiert wurden. Dabei haben wir einen Raum geschaffen, in dem wir die entstehende Beziehung erproben und prägen können.

Wir beteiligen uns an diesen Treffen zwar als Privatpersonen, aber die Teilnehmer aus Europa und den USA bringen lange und vielfältige Erfahrungen in der Politik und in Regierungs- bzw. diplomatischen Funktionen mit. Die arabischen Teilnehmer kommen aus Ägypten, Jordanien, Syrien und dem Libanon und in letzter Zeit auch aus dem Irak. Sie alle bemühen sich in ihren Ländern um einen friedlichen Wandel. Und fast alle sind exponierte Islamisten und als solche entweder in Parteien oder Organisationen aktiv, die in der Hauptströmung des Islam verwurzelt sind, oder zumindest mit solchen Organisationen assoziiert.

Zu Beginn unserer jeweils dreitägigen Treffen diskutieren wir ausführlich über die jüngsten Ereignisse. Wir gehen nicht davon aus, dass wir einer Meinung sind, aber inzwischen verstehen wir alle viel besser, warum wir die Dinge verschieden sehen, und haben ein gemeinsames Interesse, den stereotypen Wahrnehmungen und Verschwörungstheorien in unseren eigenen Gesellschaften entgegenzutreten. So konnte etwa bei der Diskussion über den Karikaturenstreit jeder seine Empfindungen und Schmerzen ausdrücken und zugleich die Schmerzen der anderen verstehen.

Alle Teilnehmer sind sich einig, dass eine demokratische Reform in der arabischen Welt unbedingt notwendig ist, auch wenn keine Fortschritte in Richtung eines Friedens zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn (den alle Teilnehmer wollen) zu sehen sind. Viel zu lange schon muss das Palästinaproblem als Entschuldigung herhalten, um Reformen zu umgehen. Wir alle unterschreiben die Schlussfolgerungen des Arab Human Development Report (des UNDP), dass die negative Bilanz der Armutsbekämpfung in der arabischen Welt mit deren Demokratiedefiziten zu tun hat.

Alle Teilnehmer gehen davon aus, dass Reformen evolutionär und nicht revolutionär sein müssen, und unsere arabischen Teilnehmer lehnen Gewalt als Mittel des innenpolitischen Wandels entschieden ab. Ein führendes Mitglied der ägyptischen Muslimbrüder meinte, Demokratie sei ein universales Menschenrecht und nicht etwa eine Idee des Westens; er selbst wolle nichts mit Islamisten zu tun haben, die gewaltsam an die Macht gekommen sind. Viele Islamisten äußern ihren Stolz, dass die Hamas auf friedlichem Wege an die Macht gekommen ist. Und sie betonen, dass ihre Bewegungen zu Koalitionen mit anderen demokratischen Kräften kommen wollen. Die westlichen Teilnehmer wiederum sind der Meinung, dass sich die Demokratie nicht mit militärischen Mitteln verbreiten lasse. Und alle sind sich einig, dass Repression und Verzweiflung nur Extremismus und Gewalt hervorbringen.

Die islamistischen Mitglieder unserer Gruppe betonen übereinstimmend, dass sie ein gemeinsames Interesse mit dem Westen haben, nämlich den Extremismus in ihren Ländern wie auch im Westen zu bekämpfen. Und obwohl der Islam für sie unteilbar ist, sagen sie, der Westen solle die unterschiedlichen Weisen, in denen Muslime ihren Glauben praktizieren, nicht in einen Topf werfen. Sie selbst unterscheiden zwischen einem volkstümlichen Islam, der viele un- oder vorislamische Auffassungen und Gebräuche enthält; einem streng formalistischen Islam; einem Islam, dessen (männliche) Anhänger gewaltsame Veränderungen gutheißen, ein verengtes Religionsverständnis haben und sich leicht ereifern; dem politischen Islam, den sie selbst repräsentieren (und deren Vertreter wir hier als Islamisten bezeichnen). Diese werden von Verfechtern gewaltsamer Veränderungen häufig als Ketzer verurteilt und deshalb auch körperlich bedroht.

Alle arabischen Teilnehmer sind der festen Überzeugung, dass die politischen Strategien des Westens die Extremisten stärken und den gemäßigten Reformern schaden – aber auch den westlichen Interessen. Sie berichten, dass sich junge Muslime in arabischen Ländern immer stärker dem Glauben zuwenden, ihre religiöse Unterweisung aber immer häufiger aus dem Internet beziehen. Ein Teilnehmer, der auf einer internationalen muslimischen Website ein Jugendforum eingerichtet hat, registriert eine klare Tendenz: Immer mehr Beiträge rechtfertigen Gewalt als Mittel gegen Unterdrückung und Okkupation.

Alle Teilnehmer teilen die Einschätzung, dass die Machteliten in der arabischen Welt nicht freiwillig ihren Zugriff auf die politische Macht lockern werden. Deshalb komme es auf den anhaltenden und gezielten Druck von außen an. Unsere arabischen Teilnehmer begrüßen das Drängen auf demokratische Reformen von allen möglichen Seiten und betonen zugleich, dass Demokratie nicht von außen eingeführt werden kann, schon gar nicht mit Gewalt. Die Initiative müsse von den Ländern der Region ausgehen. Insbesondere habe jedoch das Verhalten der USA und ihr Einverständnis mit Israel zu einer so feindseligen Stimmung geführt, dass sich kein arabischer Reformpolitiker vorwerfen lassen möchte, Vorgaben der USA zu folgen. Schlimmer noch: Die offizielle Reaktion des Westens auf die demokratische Machtübergabe in Palästina habe das Zutrauen der Reformkräfte in die Unterstützung des Westens zerstört und die autoritären Regime ermutigt, noch raffiniertere Mittel zu ersinnen, um Reformen zunichte zu machen. Alle Teilnehmer sind sich darin einig, dass der Westen seine Unterstützung aufs Neue deutlich machen muss, und zwar mit einem stimmigen Gesamtkonzept, das insbesondere auf bestimmte Maßnahmen der Regime zielt, wie etwa Notstandsgesetze und Gesetze zur Justiz, Pressefreiheit und den Rechten der Parteien.

Während unseres Dialogs haben Vertrauen und Respekt zwischen den laizistisch orientierten arabischen Reformern und den Islamisten stetig zugenommen. Alle Teilnehmer haben wiederholt versichert, dass sich die Islamisten, wenn sie gewählt werden, „an die Spielregeln halten“ und die Macht auch wieder abtreten werden, wenn sie die nächsten Wahlen verlieren. Die Teilnehmer aus den USA und Europa gehen davon aus, dass es weder vernünftig noch realistisch sein dürfte, von den Islamisten zu erwarten, dass sie ihre demokratische Reife im Voraus unter Beweis stellen.

Die westlichen Teilnehmer sehen die Reaktion ihrer Regierungen auf die Durchführung und die Ergebnisse von Wahlen in der arabischen Welt als echten Test dafür, wie ehrlich es diese Regierungen mit ihrer Unterstützung der Demokratie meinen.

Schwierige Diskussionen kreisten um alle Fragen, die mit Besatzung, Widerstand und Terrorismus zu tun haben. Wir haben nicht versucht, uns auf eine Definition von Terrorismus zu einigen. Aber wir stimmen überein, dass es sich bei den Angriffen vom 11. September in New York und Washington oder danach in Madrid, London und Amman um Terrorismus handelt. Unsere arabischen Teilnehmer bezeichnen sie zudem als Verbrechen gegen den Islam.

Auf der anderen Seite hat die Erfahrung der Okkupation die Araber davon überzeugt, dass Widerstand legitim ist und Wirkung erzielen kann. Und wenn der Westen einfach Widerstand mit Terrorismus gleichsetze, trage er dazu bei, den Terrorismus in den Augen junger Muslime zu glorifizieren. Das aber würde es den Islamisten erschweren, Aktionen offen zu kritisieren, die sie selbst für terroristisch halten. Die meisten Teilnehmer sind der Meinung, dass sich Regierungen kontraproduktiv verhalten, wenn sie die Möglichkeit ausschließen, mit der Hamas und anderen Bewegungen zu sprechen, die sie – ob zu Recht oder zu Unrecht – als terroristisch einstufen. Frieden wird dadurch gemacht, dass man mit seinem Feind spricht, nicht mit Leuten, mit denen man einer Meinung ist. Die Teilnehmer aus dem Westen gehen aber davon aus, dass es für westliche Regierungen politisch eher möglich wäre, einen Dialog mit Islamisten aufzunehmen, wenn Letztere akzeptieren würden, dass eine gerechte Vereinbarung mit Israel letzten Endes nur durch Verhandlungen erreicht werden kann. Islamisten sollten sich also keine Rhetorik gestatten, die sich anhört, als seien sie für die Gewalt und gegen den Frieden.

Dem halten unsere islamistischen Kollegen entgegen, man könne von ihnen nicht erwarten, dass sie einen Friedensprozess befürworten, der die gegenwärtige Situation herbeigeführt hat. Solange sie von der Macht und von allen Gesprächen ausgeschlossen sind, sehen sich die Islamisten nicht gedrängt, die schwierigen Entscheidungen zu treffen, die bei Verhandlungen mit Israel erforderlich sind. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass nur demokratisch gewählte (also wahrscheinlich islamistische) Regierungen die nötige Legitimität haben werden, Frieden mit Israel zu schließen, und fordern den Westen auf, die von der Hamas jetzt signalisierte Flexibilität auszuloten. Dabei betonen sie die Bedeutung der jüngsten Erklärung des Obersten Führers der ägyptischen Muslimbrüder, dass seine Organisation, käme sie an die Macht, am Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel festhalten würde.

Unsere Diskussionen wirken auf das Denken der politisch Verantwortlichen in den repräsentierten Ländern zurück. Und das kann nur gut sein. Die Positionen von Islamisten sind nicht einheitlich, monolithisch oder statisch. Viele der arabischen Teilnehmer hatten vor unseren Begegnungen kaum direkte Kontakte mit westlichen außenpolitischen Experten. Und alle äußerten sich begeistert: „Wir hätten nie gedacht, dass wir so aufrichtige Gesprächspartner finden würden.“ „Wir fangen an, uns auch in eure Lage zu versetzen.“ „Wir hatten vor der anderen Seite immer Angst. Unser Dialog hat die Angst überwunden.“

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Hal Saunders ist Präsident des International Institute for Sustained Dialogue; er war Assistant Secretary of State for Near Eastern Affairs unter US-Präsident Carter. Basil Eastwood war von 1996 bis 2000 britischer Botschafter in Damaskus.

Le Monde diplomatique vom 09.06.2006, von Hal Saunders und Basil Eastwood