Befehl zurück
von Ignacio Ramonet
Die neue Haltung Washingtons im Atomstreit mit dem Iran stellt eine spektakuläre Kehrtwende dar. Wir erinnern uns: Noch im April betrachteten hochrangige US-Politiker selektive Militärschläge als eine „mögliche Option“, um Teheran zum Verzicht auf sein Nuklearprogramm zu bewegen. Gedacht war an den Einsatz der Bunker knackenden so genannten Mini-Atombombe vom Typ B61-11, etwa gegen den Anreicherungskomplex in Natanz. Nach einem Bericht von Seymour Hersh vom 17. April in The New Yorker erklärte ein hoher Pentagon-Vertreter, das Problem lasse sich nur „durch strukturelle Veränderungen im iranischen Staatswesen lösen, und das bedeutet Krieg“.
Doch plötzlich hat sich die Lage von Grund auf verändert. Am 1. Juni verständigten sich die Außenminister der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (USA, China, Frankreich, Großbritannien, Russland) und Deutschlands auf ein versöhnlich formuliertes und auf Drohungen verzichtendes Dokument, das neue Vorschläge zur Lösung des schwelenden Streits enthält. Das Dokument wurde am 6. Juni vom EU-Außenbeauftragten Javier Solana in Teheran unterbreitet. Von seinem Inhalt ist so viel bekannt, dass die sechs das Recht des Iran auf die zivile Nutzung der Atomenergie anerkennen und Hilfe beim Erwerb von Leichtwasserreaktoren offerieren. Des Weiteren bieten sie an, das Wirtschaftsembargo zu beenden, Ersatzteile für die zivile Luftfahrt zu liefern und Teherans WTO-Beitritt zu unterstützen, der von Washington bislang verhindert wurde. Die eigentliche Konzession liegt aber darin, dass sich die US-Regierung mit den fünf anderen Großmächten zu direkten Gesprächen mit den Iranern bereit findet. Einzige Bedingung ist die Aussetzung des Urananreicherungsprogramms.
Auch Teheran scheint auf einen Beschwichtigungskurs einzuschwenken und hat sich Bedenkzeit erbeten. Erste Anzeichen stimmen optimistisch. Der iranische Außenminister Manuscher Mottaki räumte am 15. Juni gegenüber der Madrider Zeitung El País ein, dass sein Land die internationalen Bedenken ausräumen müsse. Den Vorschlag der EU wertete er positiv: „Das ist ein Schritt nach vorn. Voriges Jahr sagten die Europäer noch: ‚Hier ist unser Plan: Friss, Vogel, oder stirb!‘ Jetzt heißt es: ‚Hier ist ein Vorschlag: Wir können ihn auf diplomatischem Wege besprechen, prüfen und dann verhandeln.‘ Das ist positiv.“ Und auch die Beteiligung der USA würde Teheran „sehr begrüßen“.
Wie lässt sich die amerikanische Kehrtwende erklären? Zunächst steht außer Frage, dass der Iran – eine Regionalmacht mit 76 Millionen Einwohnern und ein Großlieferant von Erdöl – das Recht hat, die zivile Nutzung der Atomenergie ins Auge zu fassen. Schließlich fand die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bei über 2 000 Inspektionen seit 2003 nie den geringsten Hinweis darauf, dass die Islamische Republik ein militärisches Atomprogramm verfolgt – und nur dieses untersagt der auch vom Iran unterzeichnete Nichtverbreitungsvertrag.
Russland und China räumen zwar ein, Teheran habe sich um ein vertrauensvolles Klima zu bemühen, verteidigen aber dessen Recht auf die zivile Nutzung der Atomenergie. Beide Staaten würden sich gegen Sanktionen aussprechen, sollte die UN diese Option ins Auge fassen. Das haben sie erneut Mitte Juni auf dem Gipfel der Schanghai-Kooperationsorganisation bekräftigt.
Andere Erwägungen dürften die Entscheidung der USA ebenfalls beeinflusst haben. Zum Beispiel der Misserfolg im Irak, wo die proiranischen Schiiten paradoxerweise Washingtons beste Verbündete sind. Oder die iranische Drohung, im Fall eines Angriffs die Straße von Hormus zu verminen, durch die 20 Prozent der globalen Erdölausfuhren verlaufen. Und vielleicht auch die Absicht Teherans, seine Öl- und Gasrechnungen in Euro auszustellen, nachdem der größte Teil der iranischen Währungsreserven bereits in Euro umgetauscht wurde. Schließlich weiß Teheran sehr genau, dass der Dollar derzeit die Achillesferse Washingtons ist.