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Sarkos Halsbandaffäre
Frankreich kommt aus dem Staunen kaum noch heraus: Spitzenpolitiker pflegen beste Kontakte zu den Wirtschaftsbossen. Letztere halten die Parteien der Ersteren finanziell aus – und zahlen auch für deren Wahlkampagnen. Im Gegenzug wird ihnen ein Teil ihrer Steuerschuld erlassen. Unglaublicher noch: Die gesunkene Steuerlast auf hohe Einkommen und Vermögen (in den letzten zehn Jahren um fast 100 Milliarden Euro) hat vor allem – hört, hört! – die hohen Einkommen und Vermögen begünstigt, die sich seit 2006 hinter einem eigens geschaffenen Schutzschild verschanzen dürfen.
Bislang hat die Affäre Bettencourt freilich nur das ohnehin Offensichtliche zutage gefördert. Wo waren eigentlich die großen Journalisten und Professoren, als im April dieses Jahres Madame Bernadette Chirac in den Aufsichtsrat des Luxuskonzerns LVMH einzog, der Bernard Arnault, dem reichsten Franzosen überhaupt, gehört? Zur selben Zeit gab nämlich Florence Woerth einen Verwaltungsposten bei Hermès auf, um sich fortan den Finanzen von Madame Liliane Bettencourt zu widmen, der zweitreichsten Person Frankreichs. Was Eric Woerth hinterher wie folgt erklärte: „Ich bin Minister für Gleichstellungsfragen, da kann ich doch nicht die Karriere meiner eigenen Frau bremsen.“ Das hätte ihm freilich auch niemand unterstellt.
Da wird eine Frau zur Verwalterin eines Riesenvermögens, betraut mit der „steuerlichen Optimierung“ auf den Seychellen, während der (mit ihr verheiratete) Sozialminister die Altersrenten der Armen drastisch kürzen will. Das war vor der „Affäre Bettencourt“. Die Bande zwischen Geld und Macht waren so eng wie heute. Aber damals ging noch alles gut.
Vielleicht hat der Skandal ja einen pädagogischen Nutzen: Da fleht ein ehrgeiziger Arbeitsminister am Rande einer Dienstreise nach London in der City ein paar Bosse von Spekulationsfonds an, seine Kleinstpartei zu finanzieren, die den aparten Namen „Frischer Sauerstoff“ trägt. Da bewegt sich die jährliche Einkommen- und Vermögensteuer von Madame Bettencourt zwischen 1 und 6 Prozent (der Schutzschild funktioniert). Und da ergattert eine prominente Journalistin ein Exklusivinterview mit der Eigentümerin von L’Oréal – warum? „Ich kannte sie von einem Diner bei gemeinsamen Freunden, außerdem sind wir uns manchmal bei einer Vernissage begegnet.“
Noch ist es nicht so weit, dass aus dem Fall Bettencourt ein der königlichen „Halsbandaffäre“ von 1784 vergleichbarer Skandal erwachsen würde. Dafür müssten wenigstens noch die wechselseitigen Gefälligkeiten zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre aufhören, samt „Beziehungspflege“ zu Journalisten, die sich ihr heimliches Einverständnis bislang sogar vertraglich versilbern ließen.
Das Tohuwabohu der letzten Wochen könnte einen siamesischen Zwilling des Nicolas Sarkozy in den Élysée-Palast spülen, zum Beispiel den IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn – dann würde das Schauspiel, das die Herren des Geldes darbieten, wieder von vorne anfangen. Serge Halimi