13.08.2010

Die Firma

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Die Firma

Marcus Goldman, ein jüdischer Einwanderer aus Bayern, gründete 1869 in New York ein Unternehmen, das zunächst auf den Handel mit Unternehmensanleihen spezialisiert war. Die junge Firma, in die bald auch Goldmans Schwiegersohn Samuel Sachs eintrat, hatte jahrelang keine Chance, mit den etablierten Finanzunternehmen ins Geschäft zu kommen, denn die waren eine Domäne der berühmten WASP, der weißen angelsächsischen Protestanten.

Nachdem der Börsenkrach von 1929 Goldman Sachs hart gebeutelt hatte, erlebte die Investitionsbank nach dem Zweiten Weltkrieg einen regelrechten Aufschwung. 1956 war sie maßgeblich am Börsengang des Automobilproduzenten Ford beteiligt. Nach und nach erlangte sie einen fast legendären Ruf für ihre professionelle Qualität wie für eine ganz besondere, auf Teamarbeit gegründete Unternehmenskultur. Die brachte nach und nach eine neue Generation hervor, die sich gegen Banker alten Schlages wie Sidney Weinberg oder Gus Levy behaupten konnte und allmählich mit dem alten Establishment verschmolz.

Einer dieser modernen Banker war Robert Rubin, den Präsident Clinton in den neu geschaffenen Nationalen Wirtschaftsrat (Council of Economic Advisers, CEA) berief. Dem stand er bis 1995 vor, danach wurde er von Clinton zum Finanzminister berufen. In diesem Amt hatte Rubin als leidenschaftlicher Prediger der Deregulierung die Aufgabe, die Finanzwelt zu „beruhigen“.

Unter Präsident Bush spielten dann zwei ehemalige Chefs von Goldman Sachs, Henry Paulson und Jon Corzine, eine herausragende politische Rolle, sowohl in verschiedenen Regierungsfunktionen als auch – Pragmatismus verpflichtet – im innersten Machtzirkel beider Parteien. So war Henry Paulson von 2006 bis 2009 Finanzminister und wurde in der Finanzkrise zum Feuerwehrmann, der das Bankensystem vor dem Zusammenbruch rettete.

Und Jon Corzine wurde im Jahr 2000 für die Demokraten zum Senator in New Jersey gewählt. Zuvor hatte er in die teuerste Senatswahlkampfkampagne der USA aus eigener Tasche 62 Millionen investiert. Danach amtierte er von 2006 bis 2010 als Gouverneur von New Jersey.

Andere Spitzenleute von Goldman Sachs spielen in der jüngsten Finanzkrise eine zwar weniger auffällige, aber keineswegs unbedeutende Rolle. Neel Kashaki war schon zu Paulsons Zeiten dessen Schützling. Er folgte seinem Chef auch ins Finanzministerium, wo er als leitender Koordinator von Tarp (Troubled Asset Relief Program) zur Rettung fauler Anlagenpapiere über die Verteilung von 700 Milliarden Dollar entscheiden konnte, die angeschlagene Finanzunternehmen zum Zwecke der Rekapitalisierung beantragen konnten.

Ein anderer, Stephen Friedman, der von 1992 bis 1994 Vorstandsvorsitzender „der Firma“ war, hatte bei Ausbruch der Krise gleich drei Hüte auf: Als Mitglied im Verwaltungsrat von Goldman Sachs war er zugleich Vorsitzender der Präsidentenkommission zur Kontrolle der Geheimdienste (Intelligence Oversight Board, IOB) und zugleich Chef der New Yorker Notenbank. Diesen Posten musste er allerdings im Mai 2009 aufgeben, als die Folgen seiner Ämterverquickung ruchbar wurden. Im Dezember 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, hatte er ein 3 Millionen Dollar schweres Aktienpaket von Goldman Sachs gekauft. Auch Friedmans Nachfolger als New Yorker Notenbankgouverneur, William Dudley, ist ehemaliger Topmanager von Goldman Sachs.

Mit Blick auf dieses Lobby-Netzwerk wird die Geschäftsbank Goldman Sachs in den Medien „die Firma“ genannt. Dabei nutzt das Unternehmen seine Macht zur politischen Einflussnahme keineswegs nur in den USA aus. Romano Prodi und Mario Draghi waren, bevor sie Ministerpräsident und Zentralbankpräsident Italiens wurden, Berater beziehungsweise Vizepräsident von Goldman Sachs Europe. Olusegun Aganga, früher Generaldirektor von Goldman Sachs International in London, ist heute nigerianischer Finanzminister und „Wirtschaftskaiser“.

Zuweilen läuft es auch umgekehrt, dann verhilft die politische Karriere zu einem Versorgungsposten in der Wirtschaft. Ein Beispiel ist Peter Sutherland. Er war zunächst Justizminister in Irland, anschließend EU-Kommissar für Wettbewerb und danach Generaldirektor des Gatt (Vorläufer der Welthandelsorganisation WTO). Heute sitzt er in London als Chef von Goldman Sachs International.

Le Monde diplomatique vom 13.08.2010