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Transatlantische Falle
Man kann darauf wetten, dass bei den bevorstehenden Europawahlen viel mehr von der Zahl der Ausweisungen illegaler Einwanderer oder von der (angeblichen) Vermittlung von Gendertheorien in der Schule die Rede sein wird als vom Transatlantischen Freihandelsabkommen (Tafta), das achthundert Millionen Menschen mit starker Kaufkraft und im Besitz von fast der Hälfte des weltweiten Reichtums betreffen wird.
Darüber verhandelt die Europäische Kommission im Namen der 28 EU-Staaten mit den USA. Das Europäische Parlament, das im Mai neu gewählt wird, soll es ratifizieren. Noch ist nichts entschieden, aber der französische Staatspräsident drückte bei seinem Besuch in Washington im Februar schon mal aufs Tempo: „Wir können alles gewinnen, wenn wir uns beeilen. Sonst werden sich nur noch mehr Ängste, Drohungen und Spannungen aufbauen.“
Alles gewinnen, wenn wir uns beeilen? In dieser Angelegenheit kommt es im Gegenteil eher darauf an, die Liberalisierungsmaschine und die (US-amerikanischen, aber auch europäischen) Industrielobbys, die sie antreiben, zu stoppen. Das ist umso nötiger, als der Inhalt des Verhandlungsmandats der Brüsseler Kommissare vor den Parlamentariern des Alten Kontinents verheimlicht wurde, während die Wirtschaftsstrategien der Europäischen Union (sofern es jenseits des Mantras vom Abbau aller Hindernisse welche gibt) für die großen Ohren der NSA kein Geheimnis mehr waren.
Eine solche, wenn auch nur partielle, Verschleierung bedeutet selten etwas Gutes. Tatsächlich droht der Große Sprung in Richtung Freihandel und Transatlantismus die Europäer zum Import von Hormonfleisch, Genmais und Chlorhähnchen zu verpflichten. Und den Amerikanern droht das Verbot, lokale Produzenten zu bevorzugen („Buy American Act“), wenn sie etwa öffentliche Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einsetzen.
Dabei gilt gerade die Schaffung von Arbeitsplätzen als Argument für das Abkommen. Bestärkt durch Studien, die oft von Lobbygruppen bezahlt sind, reden die Befürworter allerdings lieber über Stellen, die durch Exporte geschaffen werden, als über die, die durch Importe verloren gehen. Der Ökonom Jean-Luc Gréau erinnert daran, dass jeder neue Liberalisierungsvorstoß – europäischer Binnenmarkt, Einheitswährung, transatlantischer Markt – mit dem Arbeitsplatzargument verteidigt wurde. So wurde 1988 in dem Bericht „Europa 1992 – Die große Herausforderung“ angekündigt, wir würden dank des Binnenmarkts fünf bis sechs Millionen Arbeitsplätze gewinnen. „Tatsächlich“, so Gréau, „trat in Europa nach dessen Durchsetzung eine Rezession ein, die drei bis vier Millionen Stellen kostete“.
1998 wurde das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI), das schon von multinationalen Konzernen und für sie entworfen wurde, durch massenhafte Mobilisierung in Fetzen gerissen. Mit dem Tafta, das einige seiner schädlichsten Elemente wieder aufnimmt, muss das Gleiche passieren. Serge Halimi