14.03.2014

Sputz-Spitza Chukkunk-Clunk

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Sputz-Spitza Chukkunk-Clunk

Comics und Musik von Brigitte Helbling und Jens Balzer

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Es sind nicht die schlechtesten Leser, die einen Comic grundsätzlich dreimal anschauen, einmal, um die Bildfolgen zu studieren, ein zweites Mal, um den Textverlauf zu erfassen, ein drittes Mal, um die Dynamik zwischen diesen beiden Darstellungsarten zu begreifen und zu genießen. Von Beginn an – setzen wir den Beginn hier bei Outcaults „Yellow Kid“ im Jahr 1895 – ließ das Medium Erzählexperimente nicht nur zu, sondern schien sie geradezu zu fordern.

Und wie beim Film, jenem anderen, fast gleichzeitig auftretenden Medium, waren die ersten Jahre des Comics im Ausloten des Möglichen besonders fruchtbar. Panels sortierten sich wie Schrift von links nach rechts, manchmal auch von rechts nach links oder von oben nach unten, zeigten parallele Erzählstränge am Fuß der Hauptgeschichte oder vignettenartig an ihrer Seite, lagerten sich übereinander wie die Lamellen einer Jalousie, dann wieder verschwanden sie ganz und ließen Figuren vervielfacht in der Landschaft stehen, als Sichtbarmachung eines verräumlichten Zeitflusses, der so nur im Comic erscheint. Es konnte schon auch vorkommen, dass ein ganzer narrativer Strang in einem einzigen Bild verschmolz, Comic als Haiku.

Reden wir aber vom Rezipienten. Gerade die frühen, überformatigen Sunday-Comic-Seiten müssen ihr, müssen ihm vorgekommen sein wie die Partitur eines Orchesterwerks, mit immer neuen Instrumentierungen, Tempi, Tonalitäten, in Punkt und Strich und Linien notierter Klang. Im Lesen zunehmend geübt, verbinden sich für den Betrachter Bild und Text irgendwann zu einer narrativen Stimme, aus dem Nacheinander von Panels wird Erzählung, fast unbemerkt fügen sich Sounds in ihren rhythmischen Fortgang … schrab-schrab-schrab, das langsame, beharrliche Treten eines Dreirads als Tonspur von Charlie Browns Vier-Bilder-Welten, das Sirren des Frühlingswinds, der durch die Blätter von Jiro Taniguchis „Der Spaziergänger“ raschelt …

Comics sind ein rhythmisches Medium, der Beat ist ihr Fundament. Sie erzählen nicht im Flow eines ausschließlich geschriebenen Textes, und sie zeigen ihre Welt nicht in einzelnen Bildern. Sie verschränken Bilder und Texte zu zeitlich komplexen Situationen. Man kann Panels gleichmäßig gestalten, gleich groß und gleich breit, dann erzählt man die Story gewissermaßen in einem geraden Takt. Man kann die Breite regelhaft variieren, dann erzeugt man Synkopen, ungerade Beats, rhythmische Modulationen. Man kann Breite, Höhe und Größe verändern, dann verlagert man den Rhythmus vollends in den Raum – der Donald-Duck-Zeichner Carl Barks ist ein früher Meister dieser ästhetischen Technik gewesen.

Aber nicht nur im Kleinen, auf der einzelnen Seite, im einzelnen Strip sind Comics ein rhythmisches Medium; rhythmisch sind sie auch in der Struktur ihrer Erscheinungsweise. Zu Beginn ihrer Geschichte sind Comics ein serielles Medium gewesen. Von jeder Serie erschien jeden Sonntag eine Sonntagsseite, später kamen an den Werktagen die Daily Strips hinzu, immer wieder traten darin die gleichen Figuren auf, variierten Standardsituationen und -muster, Verhaltensweisen und Gags – ohne dass sich daraus eine Fortsetzungsgeschichte entsponnen hätte.

Das passierte erst mit den langen Abenteuer-Fortsetzungs-Comics seit Ende der zwanziger Jahre (Tarzan, Popeye, Mickey Mouse …). Der serielle Comic ist wie ein Loop, ein Minimal-Techno-Track. Er scheint dir nur das Gleiche und immer wieder das Gleiche geben zu wollen – umso wichtiger und effektvoller sind die Abweichungen vom Immergleichen, die Variationen und Modulationen.

Der Beat ist das Fundament

Im Fortsetzungsstrip hingegen wird eine lange, manchmal epische Handlung in Episoden von stets gleicher Größe, meist auch gleicher Panelzahl portioniert; jede von diesen Episoden trägt zur Entwicklung des großen Ganzen bei und folgt zugleich ihrem eigenen Rhythmus: Am Ende hat stets ein Gag zu stehen oder ein Cliffhanger, der neugierig auf die Fortsetzung macht.

So überlagern sich im Fortsetzungsstrip zwei verschiedene Rhythmen: ein ruhiger, über Wochen und Monate hinweg tragender Flow und ein hektisches, täglich von neuem einsetzendes Stottern. Der Fortgang der Story vollzieht sich in gewissermaßen ruckelnder Weise, aber je kunstvoller der Zeichner es ruckeln lässt (man lese die Mickey-Mouse-Strips von Floyd Gottfredson und die Popeye-Strips von E. C. Segar aus den Dreißigerjahren), desto stärker spürt der Leser das schöne Gleichmaß, das unter den scheinbar so ungleich laufenden Beats liegt.

So sind die besten Comic-Erzähler immer auch Rhythmusexperten und Beatbastler gewesen, und in den tollsten Momenten haben sie überdies eine Sprache erschaffen, die man wie Musik hören kann.

„Gladink Bzzzt Kladwak Sproink Fwak Kazik!“ Das hört man zum Beispiel in den Comics von Don Martin, wenn Milch aus einem Frischmilchautomaten sprudelt und schäumt – schallt es nicht wie Sphärenmusik? „Faba-dap!“ So klingt hingegen der Euter der Kuh, wenn er sich nach dem Melken wieder in seine Ausgangsform bringt. „Sputz-Spitza Chukkunk-Clunk“ stöhnt wiederum ein Personenkraftwagen, wenn die letzten Tropfen Benzin aus dem Tank gesogen sind.

Von 1957 bis 1988 hat Don Martin das Magazin MAD mit seinen Comics bereichert – und mit seinen Wort- und Klangkreationen. Das comictypische Soundword, das viele nur als Ausdruck einer verarmten Sprache ansehen wollen, erhob er zu einer Kunstform eigenen Rechts: Geräuschmusik! Kein Wunder, dass er seine Karriere als Gestalter von Schallplattencovers begonnen hat, zum Beispiel für Miles Davis’ 1953er Album „Miles Davis and Horns“.

Wie Martin haben sich viele Comic-Künstler zugleich als Plattenhüllengestalter betätigt. Der bekannteste ist natürlich Robert Crumb, Ikone der Gegen- und Subkultur seit Mitte der Sechzigerjahre, Cover-Zeichner unter anderem für Janis Joplin – und dabei doch jemand, der dem Hippierock seiner Zeit weitgehend ablehnend gegenüberstand; so soll er sich zum Beispiel geweigert haben, ein Cover für die Rolling Stones zu gestalten. Deren Retroblues gefiel ihm halt nicht, lieber hörte er den original stuff – bis heute besitzt er eine der weltweit größten Sammlungen an Zwanziger- und Dreißiger-Jahre-Blues- und -Jazz-Schellackplatten.

Doch ob Crumb das passte oder nicht: In der Hippiekultur der Sechzigerjahre kamen sich Rockmusik und Comics so nah wie nie zuvor. Rick Griffin, einer der jungen Underground-Comic-Künstler, die Crumb in seinem ZAP-Magazin veröffentlichte, wurde zum Hauszeichner der Grateful Dead und entwarf nicht nur für sie viele Schallplattencover, sondern auch viele Plakate für das Fillmore, einen Konzertsaal in San Francisco, der zum wichtigsten Zentrum der kalifornischen Musikszene wurde. Ein paar Jahre später wurde Led-Zeppelin-Sänger Robert Plant gar zum Protagonisten einer eigenen Comic-Serie: In dem japanischen Manga „From Eroica With Love“ gab er das unverkennbare Vorbild für den Geheimagenten James.

Von den Rhythmen bis zu den Sounds, von den Inspirationen bis zu den Images sind die Beziehungen zwischen Comics und Rockmusik bis heute vielfältig. Comics sind Klangwelten, in Bildern geronnene Musik.

Grund genug, sich dem Comic einmal von der musikalischen Seite, von Klangwelten her anzunähern. Die Eingangsfrage muss dann neu gestellt werden: Was hören wir, wenn wir einen Comic lesen?

Musik und Comics – das sind die beiden Königskinder („sie hatten einander so lieb“), die sich endlos und ohne Hoffnung auf Vereinigung begehren. Es gibt keinen Klang im Comic, einzig im Kopf des Betrachters stellt er sich her. Es gibt keine Bilder in der Musik, außer denjenigen, die dem Zuhörer erscheinen.

Zwar wird unter Comics gern mal ein Soundtrack gesetzt, werden zu musikalischen Darbietungen Bilder an die Wand geworfen, dann aber kann es schon passieren, dass der Rezipient den Akt der „Illustration“ als Beschneidung der Freiheit, das Eigene zu hören, zu sehen – zu fühlen –, erfährt. (Im Vergleich zu Comics ist die Musik, dank dem Film, deutlich mehr Manipulationen ausgesetzt. Wagners Walkürenritt, der für mehrere Generationen von Kinogängern unweigerlich Bilder von Coppolas Helikopterformationen über Vietnam beschwört. Oder auch: dass kein Disney-Film-Freund mehr „Sacre du Printemps“ hören kann, ohne dabei an die Dinosaurier aus „Fantasia“ zu denken.)

Die Frage, ob ein Comic-Künstler beim Zeichnen Musik höre, wird in Interviews oft gestellt und fast immer mit Ja beantwortet. Der eine oder die andere fügt vielleicht noch hinzu: „Nicht, wenn ich mich – auf das Layout, auf die Konzeption der Geschichte – konzentrieren muss.“ Umgekehrt kommt Musik gern zum Einsatz, um in die Emotionalität einer Szene hineinzufinden. „Ich kenne keinen Comic-Zeichner“, erklärt ATAK in einem Arte-„Tracks“-Beitrag von 2011, „der nicht Musik hört beim Zeichnen.“

Gut möglich, dass die Musik in der Werkstatt in einer Art alchemistischer Wesensverwandlung selbst zum Comic wird (oder auch nur hilft, zeichnerische Fleißstrecken zu überbrücken). Außerhalb verschwindet sie jedoch nicht einfach; wie freundliches Ektoplasma bleibt sie im erweiterten Tatenraum von Comic-Schaffenden präsent.

Brigitte Helbling ist Autorin und Songtexterin der freien Theatergruppe Mass & Fieber/Mass & Fieber Ost. Helbling schreibt in diversen Print- und Onlinemedien regelmäßig über Comics und war von 2000 bis 2005 Übersetzerin und Comictexterin beim Gruselcomicverlag EEE. Jens Balzer ist stellvertretender Feuilletonchef bei der Berliner Zeitung. © Reprodukt Verlag und Le Monde diplomatique, Berlin. Aus dem Vorwort zu „Comics zur Lage der Welt“, herausgegeben von Karoline Bofinger, Berlin (Reprodukt) 2014.

Le Monde diplomatique vom 14.03.2014, von Brigitte Helbling und Jens Balzer