08.10.2010

Blonde Bestien im Lebenskampf

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Blonde Bestien im Lebenskampf

von Bruno Preisendörfer

Wer es nicht bringt, der bringt es zu nichts. Aufsteigen und oben bleiben setzen Talent, Energie, Willenskraft und Disziplin voraus, Vitalität gehört zum Lebenskampf, und das Beherrschen anderer verlangt Selbstbeherrschung. „Der vornehme Mensch“, schrieb der wegen seiner schwächlichen Konstitution im Alter von 35 Jahren frühpensionierte Baseler Professor Nietzsche, der „vornehme Mensch ehrt in sich den Mächtigen, auch den, welcher Macht über sich selbst hat, der mit Lust Strenge und Härte gegen sich übt und Ehrerbietung vor allem Strengen und Harten hat.“ Das Leben muss geführt werden als Daseinskampf, in dem es Gewinner und Verlierer gibt. „Leben ist wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren, Unterdrückung, Härte, Aufzwängung eigener Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens Ausbeutung.“

Deshalb ist, wer kleine Brötchen backt, selber schuld. Frank Hertel zum Beispiel. Frank Hertel, 39, ist Soziologe, hat es aber nicht einmal zum sprichwörtlichen Taxifahrer gebracht. Er ist in einer Backfabrik gelandet. Ein Jahr lang hat er es dort ausgehalten und dann ein Buch darüber geschrieben. Es heißt „Knochenarbeit“ und ist gerade im Hanser Verlag erschienen. Nietzsche schwärmt vom Willen zur Macht, Hertel vom Willen, etwas aus sich zu machen. Der Philosoph, glaubt der Soziologe, „spricht zu den Menschen, die besser werden möchten, die über sich hinauswachsen wollen“.

Das wollte auch die blonde Bestie, die Nietzsche einst rühmte. Heutzutage tragen die blonden Bestien zum Glück Lack- statt Militärstiefel. Außerdem sind sie gefärbt. Wie Daniela Katzenberger. Die 23-jährige Exkosmetikerin ist hertelmäßig „über sich hinausgewachsen“ und zu einer dieser Trash-Berühmtheiten im Privatfernsehen geworden. Gerade hat sie eine eigene Talkshow bekommen. Ein Café am Ballermann hat sie schon.

Daniela kommt von unten. Ihr Vater ist Müllfahrer und hat ihre Mutter geschlagen, weil sie es verdiente. Das stand in der Zeitung. Da stand auch, dass Daniela clever ist: „Wer so schlau ist wie ich, der stellt sich einfach doof.“ Außen Barbie, innen Einstein. Das listige Dummtum ist ein Sklaventrick im Kampf Frau gegen Mann. Viele bewundern diesen Trick, auch Herren, die ihn selbst nicht nötig haben.

Es gibt Herren und Sklaven, schreibt Nietzsche. „Es gibt begabte und unbegabte Menschen“, schreibt Hertel, Schlaue und Dumme, Löwen und Feldmäuse – und „der Löwe teilt seine Beute nicht mit den Feldmäusen.“ Die Mäuse müssen sich schon selber anstrengen, nicht nur die blonden: „Die Ausländer können Deutsch lernen, die Armen zwei Kilometer zum Arbeitsplatz mit dem Fahrrad fahren, die Dicken statt Cola Wasser trinken. Ist das so schwer? Es ist die Dummheit, die im Weg steht.“ Und der Mangel an Energie, Willenskraft und Disziplin.

„Kinder, wie schaffen die das?“, wunderte sich vor ein paar Jahren eine Reportage im Zeit-Magazin über sogenannte Powerpaare. „Wie sich Familie leben lässt, wie zwei Berufe und tausend Bedürfnisse vereinbar sind, das hängt nicht allein, vielleicht nicht mal überwiegend am Geld. Es liegt zu einem großen Teil einfach daran, etwas unbedingt zu wollen, Energie zu haben.“

„Wie schaffen das die Guttenbergs?“, wunderte sich vor ein paar Wochen die Bild am Sonntag über das sogenannte Traumpaar. Die „Sehr-Guttenbergs“, erzählt die BamS, schaffen dass, weil sie nach 23 Uhr am Abend oder um Sechse in der Früh ins Fitnessstudio gehen und weil ihnen „schon im Kindesalter eingebläut wurde, dass eine privilegierte Herkunft sie besonders dazu verpflichtet, Leistung zu erbringen“, und weil „hart zu arbeiten für beide eine Selbstverständlichkeit ist“, und weil sie dynamisch sind und vital und vor Funktionslust nur so vibrieren.

Dieses in großen Buchstaben beschriebene Löwentum fehlt den von Hertel geschilderten Leuten, die kleine Brötchen backen. Dennoch ist für sie schon vor Sechse in der Früh „hart zu arbeiten eine Selbstverständlichkeit“: Schichtarbeit für 8 Euro 10 brutto die Stunde, Schrippen sortieren im Akkord, Paletten ziehen im Laufschritt. Harte Arbeit, hartes Brot.

Woher rührt dann diese duckmäuserische Achtung des studierten Knochenarbeiters vor den Löwen des Lebenskampfs, die sich in Wahrheit die Pfoten doch gar nicht schmutzig machen? Die bei den Alltagsangelegenheiten rundum versorgt werden wie Kleinkinder. Die keinen Koffer mehr selbst tragen, keine Tür mehr selbst öffnen, keine Sache mehr selbst in die Hand nehmen. Die ihre Nähe zur Macht mit einer mitunter von ihnen selbst bedauerten Lebensferne bezahlen.

Was ist der Grund für diese infantile Art, das Soziale mit Metaphern aus dem Tierreich zu erfassen? Ist es eine naturgegebene Angst des Sklaven vor dem Herrn, des Schwachen vor dem Starken? Eine Art mentaler Totstellreflex? Im Gegenteil. Es handelt sich um antrainierte Nachgiebigkeit, um Selbstunterwerfung im Modus des Bewunderns, um den Glauben an die Daseinslüge, „ein Leben im Schatten“ sei „nicht mehr unentrinnbares Schicksal“, sondern eine Option, „die man wählen kann“. Jeder ist seines Glückes Schmied, meint Hertel: „Wir sind wirklich frei. Wir können tun und lassen, was wir wollen.“

Der gescheiterte Soziologe aus der Mittelschicht wird sich von seinem Abstieg in die Fabrik durch einen Aufstieg in die Feuilletons erholen, und die Müllwerkertochter Daniela hat es vom Kosmetik- ins Fernsehstudio geschafft. Das kannst du auch – wenn du kannst. Nichts ist so tautologisch wie der Erfolg. Treuherzig bewerben sich Zehntausende um Casting-, Rate- und Siegershows, wollen Superstar oder Millionär werden, den Raab schlagen oder sonst irgendwie zeigen, dass in kleinen Leuten etwas steckt, das andere kleine Leute großartig finden.

Es gibt aber auch respektablere Botschafter dieses Du-kannst-wenn-du-willst. Beispielsweise schrieb der FDP-Bundestagsabgeordnete Marco Buschmann in der taz: „Die Freiheit des Liberalismus ist Freiheit zum Aufstieg durch Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft.“ Sechs Substantive, null Substanz. Beispielsweise sagte Wendelin Wiedeking der Zeit: „Ich habe mich nur um das gekümmert, was mich nach vorne brachte.“ Aber das war vor fünf Jahren. Inzwischen ist der damalige Porsche-Chef hinten runtergefallen. Es gab Tränen beim Abschied, trotz der Abfindung. Auch Herren sind Menschen.

Aber während die Schwachen mit den Verliererseelen ihre Zeit vertrödeln, an der Nuckelflasche des Fernsehens und am Tropf des Sozialstaats hängen, „bewegen“ die Starken mit den Leader-Genen „etwas“. Man hört es im Radio, sieht es im Fernsehen, liest es in Zeitungen und Büchern von Sarrazin bis Hertel. Die „natürliche Selektion“ scheint sich höchstpersönlich darum zu kümmern, wer große Räder dreht und kleine Brötchen backt. Ein naturwissenschaftlich verkehrt verstandener Darwinismus wird übertragen auf soziale Kraftverhältnisse, die ökonomische und politische Machtverhältnisse sind. Mutter Natur hat die Leute genetisch auf ihren Platz gestellt, und Vater Staat soll dafür sorgen, dass sie dort gesellschaftlich auch bleiben.

In dieser Umdeutung sozialer Rangfolgen zu etwas ganz Natürlichem wird das „Blut“, das immer noch unangenehm nach Faschismus riecht, durch die Gene ersetzt. Die Blaublütigkeit des Ministerbarons ist etwas für die Yellow-Press, die seriösen Medien attestieren goldenes Händchen und Sieger-Genom.

Die sogenannte charismatische Persönlichkeit wird öffentlich generiert als kostbares Einzelstück aus der Oberschicht. Die Fünfzehnminutenberühmtheiten aus der Unterklasse werden am laufenden Band der Kulturindustrie produziert. In der akademischen Mittelschicht wiederum schützt man sich durch ein elitäres Selbstbild vor den eigenen Abstiegsängsten und verteidigt den gesellschaftlichen Status seines Nachwuchses unter dem Vorwand höherer Begabung als Geburtsrecht. Nicht nur in den „sehr-guttenbergischen“, auch in den gewöhnlichen „besseren Kreisen“ wird Heiratspolitik zum Mittel der natürlichen Zuchtwahl und Erben zur Leistung.

Der Austausch der Eliten, zu dem einst der politische Kampf der Bürger gegen die Aristokraten führte, wird durch die soziale Fiktion natürlicher Überlegenheit gebremst. Die adelige Vornehmheit des Blutes kehrt als genetisches Sonderrecht von Lebenskraft und Begabung in die bürgerliche Funktionswelt zurück und wird zur Waffe im Löwenkampf gegen die Feldmäuse. „Das Pathos der Vornehmheit“, schreibt Nietzsche, ist „das dauernde und dominierende Grundgefühl einer höheren herrschenden Art im Verhältnis zu einer niederen Art, zu einem ,Unten‘.“

Bruno Preisendörfer ist Schriftsteller und Herausgeber von www.fackelkopf.de. 2008 erschien sein Sachbuch „Das Bildungsprivileg“ (Eichborn). © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 08.10.2010, von Bruno Preisendörfer