Ein globalesNetzwerk
„Le Monde diplomatique“ gibt es inzwischen auf allen gut sortierten Kontinenten von Dominique Vidal
Die International Herald Tribune wird in neun Ländern gedruckt. Newsweek und Vanity Fair haben vier internationale Ausgaben. Elle erscheint weltweit in fünfzehn Editionen. Und von Le Monde diplomatique gibt es derzeit sechzig – die Hälfte davon auf Papier, die andere Hälfte online. Während jedoch die Herausgeber von Herald Tribune und Elle rein kommerzielle Interessen verfolgen, verbindet die Partner von Le Monde diplomatique vor allem die Vorstellung, dass eine andere Welt möglich ist.
Neben Französisch wird diese Monatszeitung in noch fünfundzwanzig weiteren Sprachen publiziert: Afrikaans, Arabisch, Bulgarisch, Chinesisch, Deutsch, Englisch, Esperanto, Farsi, Finnisch, Griechisch, Italienisch, Japanisch, Katalanisch, Koreanisch, Kroatisch, Norwegisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, Serbisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch.
Sehr früh schon verstand sich Le Monde diplomatique eher als internationale Zeitung, die in Frankreich hergestellt wird, denn als französische Publikation, die auch im Ausland vertrieben wird. Bereits Mitte der 1970er-Jahre, nach dem Sturz der Diktaturen in Portugal und Griechenland, erschien Le Monde diplomatique eine Zeit lang in beiden Ländern in der jeweiligen Landessprache. In den 1980er-Jahren kamen weitere Ausgaben hinzu. Die spanischsprachige wurde zunächst in Mexiko produziert, dann – nach der Ermordung ihres Herausgebers Yvan Menéndez 1986 – in Buenos Aires, schließlich in Madrid. Wenig später gab es eine vierteljährlich erscheinende arabische Ausgabe, die von 1987 bis 1998 in Tunis redigiert wurde und danach eine Zeit lang in Beirut. Und 1991 folgte eine – kurzlebige – ungarische Ausgabe, die kürzlich wieder neu gegründet wurde.
Ab Mitte der 1990er-Jahre setzte eine zweite Phase der Internationalisierung mit mehr Ausgaben ein. Damals wurden die ersten beiden „großen Auslandsausgaben“ von Le Monde diplomatique gegründet, die voriges Jahr ihren zehnten Geburtstag feierten: die deutsche Ausgabe, die der tageszeitung (Berlin) angeschlossen ist, und die italienische (bei Il Manifesto, Rom). Ein Jahr später folgte die spanische Ausgabe – zunächst im Verlag L-Press, dann bei Cybermonde in Madrid sowie im Verlag Cono Sur in Buenos Aires. Die portugiesische Ausgabe erscheint beim Verlag Campo Da Comunicaçao und die griechische Ausgabe bei der Tageszeitung Eleftherotypia.
Je größer „die Familie“ wurde, umso unterschiedlicher wurden die internationalen Ausgaben. Die ersten übersetzten ausschließlich die französischen Beiträge; wie es heute noch die meisten Ausgaben machen, die als Beilage einer Tages- oder Wochenzeitung erscheinen. Wo Le Monde diplomatique jedoch auch als separate Zeitung erscheint, steuern die Redaktionen selbstverständlich eigene Beiträge bei, die den besonderen Erwartungen der jeweiligen Leserschaften Rechnung tragen. Da für diese Artikel nicht die Pariser Redaktion verantwortlich ist, sind sie ausdrücklich als Originalbeiträge der jeweiligen Redaktion gekennzeichnet.
Das pragmatisch motivierte Anliegen, eigene Beiträge zu bringen, macht die einzelnen Redaktionen flexibler und trägt sicher auch dazu bei, dass sich weltweit zunehmend mehr Partner, die sich wiederum auch untereinander austauschen, dem internationalen Zeitungsprojekt angeschlossen haben. Ende 1996 waren es fünf internationale Printausgaben (Gesamtauflage: 500 000), Ende 1999 schon zehn und wieder ein Jahr drauf dreizehn (über eine Million Exemplare). 2001 gab es sechzehn Ausgaben weltweit, 2004 fünfundzwanzig (1,5 Millionen), und im Oktober dieses Jahres zählen wir zweiunddreißig internationale Editionen.
Neue Partner sind hinzugekommen, andere sind verschwunden. So mussten wegen zu geringer Absatzzahlen und mangels anderweitiger Finanzressourcen leider die Ausgaben im Libanon, in Jordanien, Mexiko, Österreich, Schweden, der Türkei, Venezuela, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Zypern eingestellt werden.
Einige Mitglieder der Familie produzieren mehrere gleichsprachige Ausgaben. So erscheint die Berliner Ausgabe mit geringen Abweichungen auch in der deutschsprachigen Schweiz (als Beilage der WoZ), zeitweise gab es sie auch in Auszügen in der österreichischen Tageszeitung Standard. Buenos Aires spricht sich bei den Übersetzungen mit Madrid ab und veröffentlicht selbst Sonderbeiträge zu Lateinamerika. Die fertig layouteten Seiten werden von immer mehr Ländern auf dem südamerikanischen Kontinent übernommen – in Chile, Bolivien, Kolumbien, Puerto-Rico und in Kürze auch wieder in Mexiko, wo eine neue Ausgabe vorbereitet wird.
So funktioniert es auch mit der Ausgabe auf Arabisch. Die Partnerschaft mit „A concept mafhoum“ (www.mafhoum.com), gefolgt von der Gründung einer Tochtergesellschaft, „Le Monde diplomatique – Éditions arabes“, machte es möglich, dass eine Printausgabe in Paris ediert wird, die von verschiedenen Tageszeitungen in der arabischen Welt übernommen wird – in Ägypten, Saudi-Arabien, Katar und Kuwait – und die mit insgesamt 600 000 Exemplaren die auflagenstärkste internationale Ausgabe ist. Das bis ins Jahr 2000 zurückreichende Archiv ist unter www.mondip loar.com einsehbar.
Viele der internationalen Ausgaben verdanken sich dem Engagement kleiner, oft von Frauen getragener Redaktionsteams, die über geringe Mittel verfügen und ihre Arbeitsstunden nicht zählen – ein prekärer Balanceakt, wie man sich denken kann.
Die meisten Ausgaben entstanden übrigens nicht auf Initiative der Pariser Redaktion, sondern unserer Partner vor Ort. Manche zählen zu den Erben des Mai 68, andere gehören zur globalisierungskritischen Bewegung, wieder andere vertreten Zeitungen, die einfach auf der Suche waren nach einer kompetenten Auslandsberichterstattung.
Doch es gibt keine Regel ohne Ausnahme. So wurde die Herausgabe einer englischsprachigen Ausgabe von der Pariser Redaktion selbst initiiert. Jedem von uns ist klar, dass die internationale Le Monde diplomatique-Familie ohne ihr angelsächsisches Mitglied nicht das wäre, was sie heute ist. Wir erreichen damit nicht nur die britischen und amerikanischen Leser, sondern auch die anglophonen Länder in Europa, Asien und Afrika, wo die französische Ausgabe nur in geringer Stückzahl vertrieben wird. 1999 war es so weit. Seitdem veröffentlicht der in knapp 100 Ländern erhältliche Guardian Weekly allmonatlich sechzehn Seiten, die von einem direkt an die französische Redaktion gebundenen Team übersetzt werden. Diese Seiten können auch separat als Print- und Online-Ausgaben (www.mondediplo.com) abonniert werden.
Von den 60 internationalen Ausgaben waren Ende Oktober 2006 32 online. Die meisten Online-Ausgaben sind mit einer Printversion identisch. Andere erscheinen nur im Internet, so die brasilianische, die japanische und die tschechische, die in Andorra hergestellte katalanische Version, die in Frankreich übersetzte chinesische Ausgabe und die in Kuba produzierte Esperanto-Version. Dass die Betreiber dieser Internetseiten davon träumen, eines Tages eine Printversion herauszugeben, versteht sich. Und manchmal nimmt diese Hoffnung auch Gestalt an.
Im Herbst 2002 kündigten drei französische Intellektuelle iranischer Herkunft an, sie wollten die Zeitung auf Farsi ins Netz stellen. Ehrenamtliche Übersetzer würden mithelfen. Als es sechs Monate später so weit war, blieb die Neuigkeit in Teheran nicht unbemerkt. Im Frühjahr 2003 veröffentlichte die Tageszeitung Hamchari einige Beiträge, bevor sie von Gefolgsleuten des späteren Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad übernommen wurde. Im Herbst desselben Jahres sprang die Ex-Präsident Rafsandschani nahestehende Tageszeitung Sharg – die im September dieses Jahres verboten wurde – in die Bresche, beendete das Abenteuer jedoch schnell wieder. Anscheinend passte den Herausgebern unsere Kritik am Neoliberalismus nicht .
2005 ergab sich eine neue Partnerschaft mit der auf Farsi erscheinenden Tageszeitung Sedaye Edalat. Das Wesentliche ist damit gesichert: Die iranischen Leser haben nun in ihrer Sprache Zugang zu einer Online- und einer Printausgabe von Le Monde diplomatique.
Auch das kleine Team in Montpellier, das jeden Monat einige Beiträge ins Chinesische übersetzt, träumt davon, die vielen potenziellen Leser in China zu erreichen.
Vor zehn Jahren hätte niemand gedacht, dass Le Monde diplomatique heute so viele Ausgaben zählen würde. Das rasche Wachstum der letzten Jahre verdankt sich der Verbreitung in der arabischen Welt, namentlich in der Golfregion, und den Partnerschaften im ehemals sozialistischen Europa – in Serbien, Bulgarien, Kroatien und Slowenien, seit diesem Jahr auch in Rumänien, Polen, Russland und Ungarn.
Ein ähnliche Entwicklung zeichnet sich möglicherweise in Asien ab. Nach der japanischen Online-Ausgabe und der Zusammenarbeit mit der indischen Zeitschrift Hard News erscheint in Südkorea seit kurzem eine Printausgabe. Die nächste Etappe sollte China sein.
Aus dem Französischen von Bodo Schulze