Misstrauen und Migranten
Die griechische Wirtschaftskrise wird zur Krise des politischen Systems. Die Resultate der Kommunalwahlen vom November dokumentieren ein wachsendes Misstrauen in die beiden großen Parteien, die das Land in die katastrophale Staatsverschuldung geführt haben. Beim zweiten Wahlgang am 14. November lag die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent, in Athen ging nur ein Drittel der Wähler zur Wahl, und die Zahl der ungültigen, der Proteststimmen stieg auf über 10 Prozent.
In Athen gab es aber auch ein Hoffnungszeichen. Neuer Bürgermeister wurde Giorgos Kaminis, der sich als ehemaliger „Anwalt der Bürger“ im Kampf gegen die Korruption und die Klientelpolitik der Parteien profiliert hat. Kaminis wurde zwar von der Pasok unterstützt, aber sein Sieg ist keinesfalls ein Sieg der Regierung Papandreou. Ein Parteimitglied hätte in Athen keine Chance gehabt. Auf Kaminis kommen aber harte Zeiten zu. Die Kommunen müssen genauso sparen wie die Zentralregierung. Und in Athen machen sich die sozialen Folgen der Krise und der Rezession (die griechische Wirtschaft schrumpft dieses Jahr um 4,3 Prozent) besonders stark bemerkbar. Am sichtbarsten wird dies in den Innenstadtbezirken, wo schon ganze Straßenviertel zu Slums geworden sind.
Es sind diese Quartiere, die sich bei den Kommunalwahlen als Nährboden für den spezifisch griechischen Rechtsextremismus erwiesen. In Agios Panteleimon stimmten fast 15 Prozent für die Kandidaten der Gruppe Chrysi Avgi („Goldene Morgendämmerung“), die unter dem Symbol des doppelhäuptigen byzantinischen Adlers eine krude Mischung von religiös-chauvinistischen und rassistisch-suprematistischen Parolen verkündet. In der Hauptstadt kam die Gruppe auf insgesamt 5 Prozent, ihr militanter Anführer Nikos Michaloliakos hat es in den Stadtrat geschafft. Dieser Erfolg erklärt sich aus einem weiteren Problem der Innenstadt: dem Zustrom illegaler Migranten.
Dieses Jahr sind bereits über 100 000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, vor allem über die Grenze zur Türkei. Und neuerdings – seit die EU-Grenzwächter der Frontex mit ihren Flugzeugen die Ägäis und die griechisch-türkische Landgrenze in Thrakien überwachen – auch aus Bulgarien. Die meisten dieser illegalen Migranten sind Muslime. Die größte Gruppe sind Afghanen (über 20 000), gefolgt von Somaliern, Palästinensern, Pakistanern und Irakern. Fast jeder, der es mit Hilfe von Schleusern über die griechische Grenze geschafft hat, will zunächst nach Athen oder Thessaloniki. Dort landen sie in den Innenstadtvierteln, wo sie häufig in Konflikt mit der Migranten-Aristokratie der Albaner geraten, die mehrheitlich einen legalen Status haben und inzwischen gut in die griechische Gesellschaft integriert sind.
Die Rassisten des Chrysi Avgi attackieren gezielt die islamischen Migrantengruppen. Mehrfach haben sie deren private Gebetsräume überfallen, von denen es in der Athener Innenstadt inzwischen hunderte gibt. Die Stadt Athen hat über Jahrzehnte versäumt, eine große und repräsentative Moschee zu errichten. Heute ist sie die einzige Hauptstadt eines Eurolands, in der es kein religiöses Zentrum für die Muslime gibt. Obwohl die Regierung anlässlich der Olympischen Spiele 2004 den Bau einer großen Moschee versprochen hatte, wurde der Plan vom orthodoxen Kirchenoberhaupt torpediert.
Seitdem ist die muslimische Bevölkerung Athens auf mindestens 300 000 Köpfe angewachsen. Und viele von ihnen sind nicht mehr bereit, in schäbigen Wohnungen oder feuchten Kellern zu beten. Am 16. November rief die Vereinigung der Muslime erstmals dazu auf, das Eid-Fest öffentlich zu begehen. Über 10 000 Gläubige versammelten sich auf Plätzen der Innenstadt, allein 3 000 vor der Universität. Attacken der byzantinischen Rassisten wurden durch die massive Polizeipräsenz schon im Keim erstickt.
Manche griechische Kommentatoren sprachen von einer frechen „Machtdemonstration“. Doch Naim El-Ghandour, der (ägyptische) Präsident der Vereinigung der Muslime, legte Wert auf die Feststellung, man habe nur zeigen wollen, dass der Bau einer Moschee eine schiere Notwendigkeit ist. Der Erfolg gibt ihm recht. Am 17. November erklärte die Regierung, dass die Planung der Moschee voranschreitet: Die Armee hat einen Bauplatz etwas nördlich des Stadtzentrums an die Stadt verkauft, die Anfang 2011 einen großen Wettbewerb für eine moderne, repräsentative Moschee ausschreiben will.
Das Projekt wird die Stadt mindestens 15 Millionen Euro kosten, und das in Zeiten klammer Kassen und zunehmender Verarmung. Die rassistischen Agitatoren werden versuchen, daraus eine Kampagne gegen „die Muslime“ und gegen die „Überfremdung“ des christlich-orthodoxen Griechenland zu machen. Damit steht die Gemeinde Athen und ihr neuen Bürgermeister vor einer zivilisatorischen Reifeprüfung.
Niels Kadritzke