Aus El Salvador
El Salvador ist ein Musterbeispiel für die Folgen massenhafter Auswanderung. Schätzungsweise ein Viertel bis ein Drittel aller Salvadorianer, das heißt, bis zu drei Millionen Menschen, haben ihr Land verlassen. Die meisten von ihnen leben in den Vereinigten Staaten. Gelegentlich werden die USA in El Salvador als „15. Provinz“ (spanisch: departamento) des Landes bezeichnet. So hat die Tageszeitung Prensa Gráfica, die ausführlich über die Belange der Emigranten berichtet, dafür einen eigenen, Departamento 15 genannten Teil. Die Salvadorianer im Ausland sind gut organisiert, und ihre Interessen werden von einem „Vizeministerium für Salvadorianer im Ausland“ vertreten.
Die Salvadorianer im Exil zeigen sich großzügig. Nach Auskunft der Zentralbank in San Salvador betrugen 2003 die Geldsendungen nach Hause (remesas) 2,1 Milliarden Dollar. 2005 waren es 3 Milliarden. Das entspricht 15 Prozent des salvadorianischen BIP, mehr als das Budget für Bildung und Gesundheit zusammen.
Für die meisten Familien sind die remesas unverzichtbar. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen hat errechnet, dass 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung ihr Einkommen auf diese Weise um 400 Dollar pro Person und Jahr aufstocken. In Regionen wie dem Grenzgebiet zu Honduras, die besonders von der Auswanderung betroffen sind, machen die Geldsendungen bis zu 30 Prozent des Einkommens aus.
Inzwischen breiten sich Jugend- und Verbrecherbanden, die sogenannten maras, im Land aus. Sie entstanden unter den äußerst schwierigen Lebensumständen der Auswanderer in den USA. In den dortigen Gettos schließen sich viele junge Salvadorianer den Banden an. Wenn sie gefasst und verurteilt werden, kommen sie erst ins Gefängnis und werden dann in ihr Herkunftsland ausgewiesen. Dort profilieren sie sich beim Aufbau lokaler Banden mit ihren Waffenkenntnissen und mit Gewaltaktionen. So entstehen Netze, die inzwischen El Salvador, Honduras und Guatemala überziehen und die sich als Subunternehmen des organisierten Verbrechens betätigen.
Das politische Gewicht der etwa drei Millionen Bürger, die in den Vereinigten Staaten leben, beeinflusst maßgeblich die Außenpolitik der Regierung in San Salvador. Die remesas sind für die Wirtschaft und das Überleben der Bevölkerung so wichtig, dass die Staatsführung alles tut, um diese Geldquelle zu sichern. Die Regierungen vermeiden jede Konfrontation mit den USA – zumal dort gerade die Einwanderungspolitik verschärft wird. El Salvador folgt in allen außenpolitischen Fragen den Vorgaben Washingtons und unterhält als einziger lateinamerikanischer Staat sogar eine winzig kleine Truppe im Irak.
In der Provinz La Unión herrscht wegen der Emigration bereits ein Mangel an Arbeitskräften auf Plantagen und Baustellen. Aber die Löhne sind so niedrig, dass Salvadorianer diese Arbeit meiden, wenn sie vom Geld ihrer Verwandten in Nordamerika leben können. So sieht man immer mehr Busse mit Menschen aus den verelendeten Landstrichen der Nachbarstaaten ankommen. Die meisten dieser Zimmerleute, Straßenhändler, Hausangestellten oder Landarbeiter aus Honduras und Nicaragua arbeiten schwarz. Für sie ist El Salvador auch deshalb interessant, weil hier der Dollar seit 2001 offizielles Zahlungsmittel ist. Und so konkurriert das Auswandererland El Salvador heute sogar mit Costa Rica um ausländische Arbeitskräfte. Raphaële Bail