15.12.2006

Friede jetzt!

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Friede jetzt!

von Ignacio Ramonet

Das Leid der Palästinenser, die immer entschiedeneren Solidaritätsbekundungen, die dieses Leid im Nahen Osten auslöst, und die Verteidigungsschläge Israels drohen die Welt an den Rand des Abgrunds zu bringen. Die Konfrontation zwischen zwei Völkern, dem israelischen und dem palästinensischen, die einander – zu Recht oder Unrecht – fürchten, darf nicht weitergehen. Dabei sehnen sich die meisten Menschen auf beiden Seiten nach Frieden. Aber hüben wie drüben spricht man auch von „tödlichem Krieg und endgültiger Vernichtung“.

Die Nicht-Niederlage der Hisbollah-Milizen im Libanon und der Nicht-Sieg der amerikanischen Armee im Irak haben den palästinensischen Gruppen neue Hoffnung gegeben: Sie beginnen wieder an die Chancen eines „langen Volkskriegs“ zu glauben. Seit der Entführung des Soldaten Gilad Schalit am 25. Juni (der immer noch festgehalten wird) nimmt der Raketenbeschuss auf Sderot und Aschkelon zu. In den letzten sechs Jahren starben von den insgesamt 1 000 Todesopfern auf israelischer Seite sechs durch Raketenbeschuss. Im selben Zeitraum forderte die Unterdrückung in den besetzten Gebieten 4 500 Menschenleben.

Die Gefahr durch die Raketen schürt das Rachebedürfnis der Hardliner in Israel. Ermutigt durch die internationale Untätigkeit, strafen sie die palästinensische Bevölkerung ohne jede Rücksicht. Am 3. November haben Soldaten in Beit Hanun unbewaffnete Frauen getötet. Fünf Tage später starben dort 20 Zivilisten, darunter mehrere Kinder, durch israelische Granaten. Dieses Verbrechen – die israelische Regierung sprach von den Folgen eines Irrtums – hat die Weltöffentlichkeit aufgeschreckt. Die UN-Vollversammlung verabschiedete mit 156 gegen 7 Stimmen eine Resolution, die die Einstellung der israelischen Militäroffensive im Gaza-Streifen und einen umfassenden Gewaltverzicht fordert.

Davon ist man weit entfernt. Trotz des mutigen Rücktritts von Kulturminister Ophir Pines-Paz (Arbeitspartei) wurde Avigdor Lieberman, der Chef der extremistischen Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel), zum stellvertretenden Premierminister und Minister für strategische Angelegenheiten ernannt. Die Aufnahme Liebermans in ein Kabinett ohne Konzept ist eine Gefahr für die Region – und in erster Linie für Israel selbst. Das wurde in den europäischen Medien, sonst so empfindlich bei der Beteiligung von Extremisten in EU-Regierungen, nicht mit der erforderlichen Klarheit ausgesprochen.

Israelische Zeitungen sind da scharfsichtiger: Den verantwortungslosesten und draufgängerischsten Parteichef mit dem Amt des Ministers für strategische Angelegenheiten zu betrauen, schrieb die Tageszeitung Ha’aretz am 24. Oktober, stelle „an sich eine strategische Bedrohung dar. Liebermans Verzicht auf jegliche Mäßigung und seine unangebrachten Erklärungen – vergleichbar höchstens mit denen des iranischen Präsidenten – drohen die ganze Region in die Katastrophe zu treiben“.

Auch der israelische Politologe und Faschismusforscher Zeev Sternhell äußerte sich sehr klar: Lieberman sei womöglich „der gefährlichste Politiker der israelischen Geschichte“, denn er verkörpere „eine Mischung aus Nationalismus, Autoritarismus und Diktatorenmentalität“.

Mit der Wahlniederlage der Republikaner und dem Eingeständnis des militärischen Scheiterns im Irak könnte sich die Nahostpolitik der USA ändern. Kontakte zu Syrien scheinen sich anzubahnen. Und sogar mit Teheran, dessen Einbeziehung entscheidend sein kann, wenn sich Washington im Irak erfolgreich aus der Klemme ziehen will. In Palästina zeichnet sich die Perspektive einer nationalen Einheitsregierung ab.

Diese Entwicklung kommt in Israel all denen ungelegen, die wie Lieberman weiter auf Konfrontation und militärische Überlegenheit setzen. Sie könnten etwas Unüberlegtes tun. Aber sie spüren, dass sich in der Welt eine Erkenntnis durchsetzt: Es wird in dieser Region keinen Frieden geben, solange die Palästinenser nicht aus ihrem Labyrinth herauskommen.

Le Monde diplomatique vom 15.12.2006, von Ignacio Ramonet