Patt in Mexiko
Über ein gespaltenes Land und seine unglückliche Linke von Juan Villoro
Am 1. Dezember 2006 bediente sich Mexikos neuer Präsident Felipe Calderón einer bewährten Bankräubermethode, um den Parlamentsaal zu betreten: Ein Kommando von Leibwächtern schleuste ihn durch den einzigen Zugang, der nicht von der protestierenden Opposition blockiert war.
Mehr als sechzig Stunden hatten die Abgeordneten der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) – die parlamentarische Vertretung der Linken – im Parlamentsgebäude campiert, um den Einzug des ihrer Ansicht nach unrechtmäßigen Amtsträgers zu verhindern. Zu den vielen Absonderlichkeiten unserer unvollkommenen Demokratie gesellten sich nun Zänkereien unter den Mitgliedern der Legislative, ein Gerangel um strategisch günstige Plätze und Szenen wie aus einer Big-Brother-Show: Volksvertreter, die auf dem Fußboden des Parlaments schliefen oder auf ihren Abgeordnetenbänken Pizza mampften.
Die Opposition kontrollierte vier Türen. Es gibt aber noch eine fünfte, hinter der Rednertribüne. Und aus dieser trat am 1. Dezember Felipe Calderón. Es war, als sei er durch einen Tunnel hereingelangt. Den Abgeordneten, die erst perplex waren, dann aber lautstark protestierten, stellte er sich für genau vier Minuten: Er leistete seinen Amtseid, intonierte die Nationalhymne und verschwand, wie er gekommen war.
Als hätte der Schlosser den Schlüssel verschluckt
In der Amtszeit des Vicente Fox von der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) ist es gelungen, das Land, das Mario Vargas Llosa einmal als „perfekte Diktatur“ bezeichnet hat, zur perfekten Karikatur weiterzuentwickeln. Der letzte Akt dieses Karnevals fand im Parlament statt. In einer Nation, in der Symbole reale Substanz gewinnen, gelangte Calderón durch die Hintertür zur Präsidentschaft.
Die Episode beendet die entscheidende Phase des Kampfes, der vor über einem Jahr begann, als Präsident Fox versuchte, die Kandidatur des Linken Andrés Manuel López Obrador zu verhindern. Fox, der den demokratischen Wandel nach einundsiebzigjähriger Herrschaft der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) angeführt hatte, verhielt sich nun wie ein Schlosser, der eine Tür öffnet und den Schlüssel verschluckt. Da er Meinungsverschiedenheiten ablehnt, wollte er seinen Hauptgegner illegalisieren. Monatelang versuchte er, López Obrador wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten vor Gericht zu bringen. Dieser hatte als Bürgermeister von Mexiko-Stadt den Bau einer Verbindungsstraße zwischen einem Krankenhaus und einer Autobahn angeordnet – anscheinend ohne jede Genehmigung.
Das war vielleicht etwas unüberlegt, aber keinesfalls kriminell. In einem der korruptesten Länder der Welt sollte einem Staatsdiener der Prozess gemacht werden, weil er übereilt eine Abkürzung zu einem Krankenhaus bauen ließ. Für so ein solches Bagatellvergehen ist eine Geldbuße von 200 Dollar vorgesehen. Aber Fox hatte ein politisches Motiv: Ein rechtskräftig Verurteilter kann nicht zu Wahlen antreten.
Der Präsident verfolgte diese legalistische Taktik, bis Millionen von Demonstranten zeigten, dass der Bürgermeister den überaus vorteilhaften Status eines Opfers erlangt hatte. Fox wechselte die Strategie: Er versperrte López Obrador nicht länger den Weg, organisierte aber ein Unternehmertreffen, um eine Schmutzkampagne zu lancieren, mit der sein Widersacher in die Nähe von Hugo Chávez gerückt und der Öffentlichkeit als verantwortungsloser Populist präsentiert werden sollte.
Von Ende 2005 bis Mitte 2006 erlebte das Land erbitterte Kontroversen in den Medien, einen Bürgerkrieg der Diskurse. Das Ergebnis war eine nach sozialer, ethnischer und geografischer Herkunft gespaltene Wählerschaft. Noch nie hat eine Wahl so sehr polarisiert.
Liebespaare und Familien lagen sich in den Haaren, als befänden auch sie sich im Wahlkampf. Eine Feier, an der ich teilnahm, endete im Krankenhaus, weil ein Gast nach hitziger Diskussion die Treppe hinunterfiel. Kernpunkt der Streitigkeiten war die Person López Obrador. Seine Anhänger verehrten ihn mit einer Inbrunst, wie sie einst Lázaro Cárdenas zuteil wurde, als er 1938 das Erdöl verstaatlichte. Seine Feinde dagegen hassten ihn mit mehr Leidenschaft, als sie ihrem eigenen Kandidaten entgegenbrachten. Die Wahl war gewissermaßen eine Volksabstimmung über López Obrador.
Und was war die Ursache für all das? Ein in Ungerechtigkeit versunkenes Land, in dem Politik jahrzehntelang eine Form von Korruption und Straffreiheit war. Nach offiziellen Angaben leben 40 Millionen Mexikaner in Armut. Gleichzeitig gibt es 14 Millionen Verbraucher der finanzkräftigsten Kategorie, ein Markt wie in Schweden. Ist eine Gesellschaft vorstellbar als Mischung aus Skandinavien und Pakistan, ohne Ikea-Läden für die winzige Mittelschicht?
Die Wahl von Fox im Jahr 2000 hatte ungeheure Hoffnungen geweckt. Die Erwartungen waren so zahlreich und groß, dass die Handlungsunfähigkeit der Regierung niederschmetternd wirkte. Am Ende seiner Amtszeit blieb ein Gefühl enttäuschter Illusionen. Der Kleinkrieg von 2006 bekam so den Anschein einer „letzten Gelegenheit“ zu wirklicher Demokratie.
Im Juni, ein paar Wochen vor der Wahl, unterzog ich mich in einer Privatklinik einem „Belastungstest“. Nachdem ich mich auf dem Laufband gequält hatte, saß ich im Wartezimmer, wo ich mich einem weiteren, diesmal politischen Belastungstest aussetzte. Eine Dame zu meiner Rechten sagte: „Dieser Indio kann nicht mal Englisch.“ Der Herr zu meiner Linken fiel ein: „Und auf der Uni hatte er ganz schlechte Noten.“ Der Typ, dessen Name nicht genannt zu werden verdiente, war natürlich López Obrador. Das erinnerte mich an ein Abendessen vor wenigen Monaten im Haus einer Freundin, deren Bruder Bankdirektor ist. Verwundert über meine Absicht, López Obrador zu wählen, begann sie, die Fehler des Sozialisten aufzuzählen (alle betrafen sie die „guten Sitten“), bis ein Tischdiener das Zimmer betrat. Sie wechselte ins Englische, um nicht verstanden zu werden.
Ich sagte ihr, dass sie mit dem Verwenden einer fremden Sprache, um sich vor den Armen abzuschirmen, ein weiteres Argument für López Obrador geliefert hatte. Die Ironie der Geschichte ist, dass der Tischdiener alles verstand. Nach dem Essen trat er zu mir, um mir zu sagen, dass er als „wetback“ (Illegaler) in Los Angeles gearbeitet habe. Aus Gründen der Höflichkeit hatte er die Gastgeberin nicht daran erinnert, dass Millionen Arme notgedrungen diese Sprache gelernt haben. Das ist ein weiteres Faktum unserer merkwürdigen Demokratie: die Wirtschaft des Landes wird von Migranten am Laufen gehalten, die gar nicht wählen.
Verloren im eigenen Land
Es gibt unzählige Beispiele für Situationen, in denen die politische Debatte in rassistische Themen oder die unüberwindliche Trennung zwischen „anständigen Leuten“ und „Gesindel“ abdriftete. Der Wahlkampf schlug so hohe Wellen, dass nur ein deutlicher Sieg eines der beiden Lager für Regierbarkeit hätte sorgen können.
Am Nachmittag des 2. Juli teilte der Präsident der bundesstaatlichen Wahlkommission mit, dass gesicherte Zahlen erst gegen 23 Uhr zu erwarten seien. Der Wahlausgang war knapper als erwartet. Um 23 Uhr wurde verkündete, dass man auch jetzt noch nicht mit Ergebnissen aufwarten könne. Kein Meinungsforschungsinstitut war bereit, Zahlen zu nennen. Der Unterschied zwischen beiden Kandidaten war geringer als die bei Umfragen übliche Fehlerquote. In den nächsten Tagen bestätigten offizielle Zahlen den Sieg von Felipe Calderón mit 0,6 Prozent Vorsprung.
Obgleich in vielen Demokratien ähnlich knappe Ergebnisse vorkommen, haben die Härte der Auseinandersetzung und die mangelhafte Informationspolitik der Wahlkommission das Gespenst des Wahlbetrugs heraufbeschworen. Eine lange Tradition von Rechtsverstößen hat die mexikanischen Wähler zu Misstrauen erzogen. Was war geschehen?
Ist es möglich, die Geheimnisse der aztekischen Nacht zu entschlüsseln, auf die ein konfuser Morgen folgte? Ein Gerücht ist in Mexiko wahrscheinlicher als jede Statistik. Das Reich der Azteken, die 300 Jahre Kolonialherrschaft, das Chaos der Unabhängigkeit und 71 Jahre mit der PRI an der Macht haben uns gelehrt, an Verschwörungstheorien zu glauben. Es ist kein Zufall, dass die härtesten Wahlen der mexikanischen Geschichte in einer Atmosphäre von Desinformation und Komplottvorwürfen stattfanden.
Als sich abzeichnete, dass ein Linker in Mexiko an die Macht gelangen könnte, eröffnete der Consejo Coordinador Empresarial, eine Dachorganisation der Arbeitgeber- und Unternehmerverbände, eine Fernsehkampagne unter der Parole „López Obrador, eine Gefahr für Mexiko“. Die Verleumdungen wurden flächendeckend verbreitet. Meine sechsjährige Tochter fragte, warum uns López Obrador unsere Wohnung wegnehmen wolle. Sie hatte im Fernsehen gehört, die Linke wolle unser gesamtes Eigentum beschlagnahmen.
Obwohl die Verfassung Wahlkampfhilfe durch ausländische Politiker verbietet, erschien der Spanier José María Aznar in Mexiko, um den PAN zu unterstützen. Und in seinem Buch „Die schmutzigen Hände“ dokumentiert der Journalist José Reveles die Veruntreuung von Geldern für staatliche Wohnungsbauprojekte zugunsten der Wahlkampagne des PAN. Ein ums andere Mal intervenierte Präsident Fox zugunsten des Amtsanwärters aus den eigenen Reihen und wurde vom Bundeswahlgericht verwarnt. Trotz des ungleichen Wahlkampfs ließen mehrere Meinungsumfragen einen Wahlsieger López Obrador möglich erscheinen. Im Vertrauen auf sein Charisma weigerte sich der Exbürgermeister an der ersten Fernsehdebatte mit seinen Gegnern teilzunehmen, verschärfte den Ton seiner Reden und unterließ es, außerhalb linker Kreise Bündnisse zu knüpfen.
Am Abend des 2. Juli unterhielt ich mich mit einem Freund aus Kindertagen, Geschäftsführer des Hotels Marquis, wo sich die Führungsriege der Linken traf. „Sieht aus, als sei das Ergebnis nicht so toll“, meinte er zu mir. Sofort sprach ich mit befreundeten Journalisten und dem PRD nahe stehenden Leuten. Das Wort „Niederlage“ wurde vermieden, aber die Zahlen boten ein viel weniger klares Bild als erwartet.
In diesem Moment hätte die Wahlkommission Zweifel an einer korrekten Stimmauszählung gar nicht erst aufkommen lassen dürfen. Unglücklicherweise wurde nicht deutlich genug gesagt, dass eine erste Auszählung möglicherweise nicht alle Stimmen berücksichtigen könnte. Als rund 3 Millionen Stimmen nicht in das vorläufige Endergebnis Eingang fanden, befürchtete man Manipulationen.
Mittlerweile hatten sich beide Kandidaten zu Siegern erklärt. Als es endlich offizielle Zahlen gab, hatte der konservative Kandidat – in einem Land mit 106 Millionen Einwohnern – einen Vorsprung von 233 000 Stimmen; das entspricht dem doppelten Fassungsvermögen des Aztekenstadions.
Die Linke erkannte das Ergebnis nicht an und mobilisierte ihre Wähler, um eine Neuauszählung „Stimme für Stimme“ zu erreichen. Das Bundeswahlgericht ordnete dagegen nur eine Neuauszählung in rund sechs Prozent Wahllokalen an. Die Überprüfung erbrachte eine leichte Korrektur zugunsten von López Obrador. Die These vom elektronischen Wahlbetrug ist weniger haltbar als die vielen Beweise dafür, dass der Wahlkampf von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleitet war.
López erprobte einmal mehr seine Begabung zum Aktivisten: Er rief zur Besetzung des Paseo de la Reforma auf, einer der zentralen Verkehrsadern der Hauptstadt; er forderte eine vollständige Neuauszählung der Stimmen und warf gleichzeitig den zuständigen Richtern, die eine Neuauszählung hätten beschließen können, Bestechlichkeit vor. Sein Kampf fand jetzt innerhalb wie außerhalb der Institutionen statt: Er war nicht mehr der Sozialdemokrat, der den Wahlkampf gewinnen wollte, sondern Kämpfer gegen die Wahlfarce, der ein Programm des zivilen Widerstands entwarf, um auf anderem Wege das Land zu verändern.
Anderthalb Monate lang war ein Teil der Stadt von Demonstranten besetzt. Das führte dazu, dass über 2 000 Arbeitsplätze verloren gingen und die Menschenrechtskommission fast 1 000 Anzeigen vorliegen hatte, die erste in Zusammenhang mit einem Kranken, der nicht in die Klinik hatte durchkommen können. Die Linke verlor an Rückhalt und an Bündnisfähigkeit. Dagegen verkündete die Rechte triumphierend, jetzt endlich zeige López Obrador sein wahres Gesicht. Die Fernsehspots seien vielleicht etwas übertrieben, aber prophetisch gewesen: Er stelle eine Gefahr für Mexiko dar.
Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl wurde im Bundesstaat Tabasco, der Heimat von López Obrador, ein neuer Gouverneur gewählt. 23 Prozent derer, die bei den Präsidentschaftswahlen noch PRD gewählt hatten, stimmten jetzt für den Kandidaten des PRI. Zwar mag es auch andere Gründe für diese Wählerbewegung geben, doch zweifellos trug die konfrontative Haltung der Linken zu diesem Wahlausgang bei.
Dennoch sind die Ziele von López Obrador klarer, als es auf den ersten Blick scheint. Der gescheiterte Präsidentschaftskandidat ist er nicht auf Stimmen aus, sondern will den Leuten ins Gewissen reden, vor dem Niedergang des Landes warnen. Er ist nicht pauschal gegen die Institutionen als solche, sondern nur gegen die untauglichen, die wir haben. In dieser Hinsicht war seine Mobilisierung nicht umsonst. Laut einer Umfrage der Tageszeitung El Universal glauben 39 Prozent der Leute (mehr, als am 2. Juli links gewählt haben) an einen Wahlbetrug.
Am 6. September wurde Calderón offiziell zum Wahlsieger erklärt. Bei der Bekanntgabe des Endergebnisses wartete das Bundeswahlgericht mit einer interessanten gesellschaftskritischen Darbietung auf: Es erklärte, der Consejo Coordinador Empresarial und Präsident Fox hätten auf unzulässige Weise den Wahlkampf beeinflusst, es lägen jedoch keine Beweise dafür vor, dass ihre Einmischung den Lauf der Ereignisse verändert hätten. Das heizte die Situation weiter an: Das Gericht erklärte damit seine Unfähigkeit, zu bestrafen, was es verurteilte. Es konstatierte einen Gesetzesverstoß, ohne ihn zu ahnden.
Ist nach alldem noch ein Dialog möglich? Dass der Linken übel mitgespielt wurde, steht außer Frage. López Obrador hat jetzt das Problem, wieder eine politische Strategie zu entwickeln, die die Mehrheit der Bevölkerung überzeugt. Am 2. Juli haben 15 Millionen Menschen für ihn gestimmt. Am 16. September hat ihn eine Versammlung von 800 000 Menschen zum Gegenpräsidenten ernannt. Wie viele Menschen werden ihm lieber auf dem Weg zum Helden, zum Märtyrer oder zur Legende die Treue halten, als mit anzusehen, wie er „wankend wird“, indem er verhandelt? Rechtfertigt das Unrecht, das ihm bei den Wahlen widerfuhr, jede Art von Dialog zu verweigern, öffentliche Räume zu besetzen und die Rolle des Gegenpräsidenten zu spielen? Wird sein Erfolg als politische Ausnahmefigur ihm die Rückkehr zur offiziellen Form der Auseinandersetzung ermöglichen, oder wird man ihn als den Linken wahrnehmen, der auf unfaire Weise verlor, sich radikalisierte und den Rückhalt verspielte, den die Linke gewonnen hatte?
López Obradors Haltung ist ambivalent. Nachdem Calderón seinen voreiligen Protest abgeschmettert hatte, rief der „Gegenpräsident“ dazu auf, nicht länger über Wahlbetrug zu klagen, sondern mit konstruktiver politischer Arbeit zu beginnen. Kurz zuvor hatte er im Senat eine wichtige Gesetzesinitiative eingereicht, mit deren Hilfe die marktbeherrschenden Monopole in Mexiko kontrolliert werden könnten. Diese „sozialdemokratische“ Facette seiner Person verbindet sich mit seinen nicht immer belegbaren Klagen darüber, wie er von den Medien schikaniert werde, wie man ihm Stimmen gestohlen habe und wie moralisch verkommen sei Rivale sei.
Calderón wurde zum Präsidenten mit dem geringsten Rückhalt in der jüngeren Geschichte Mexikos. 64 Prozent der Wähler hatten einen anderen auf der Rechnung. Seine Rhetorik der Einheit hat er noch durch keine einheitsstiftende Politik untermauert.
Hoffnungen zu hegen fällt schwer in einem Land, in dem Präsident Fox seine Versprechen nicht halten konnte, den Chiapas-Konflikt „in 15 Minuten“ zu lösen, die Wirtschaft um sieben Prozent wachsen zu lassen und den Status der Millionen in den USA arbeitenden Mexikaner zu klären. Die Rekordhöhe der Öleinnahmen und die Geldsendungen der Migranten sorgten makroökonomisch für eine – abstrakte – Stabilität. Aber in den Straßen und auf dem Land ist die Ungleichheit eklatant. Außerdem sind die politischen Konflikte weiter ungelöst. Der jüngste Fall ist der Aufstand in Oaxaca, bei dem dutzende Menschen ums Leben kamen, Gebäude, Pkws und Lkws angezündet wurden, Kinder ein Jahr Schule verloren haben: Metapher einer Verwaltung, wo es überall brennt.
Felipe Calderón gelangte durch die Hintertür auf die Parlamentstribüne. Vieles muss sich noch ändern, damit er durch den Haupteingang der Politik eintreten kann. An dem Tag, als das Bundeswahlgericht zu seinen Gunsten entschied, entbot der Drogenhandel ihm seinen Willkommensgruß – mit der Enthauptung von fünf Personen im Bundesstaat Michoacán, wo Calderón geboren wurde. Das ist das makabre Panorama, dem sich ein Mann gegenübersieht, dessen Sieg – nach mexikanischer Art – real und zutiefst ungewiss ist.
Aus dem Spanischen von Christian Hansen Juan Villoro ist Schriftsteller und Journalist und lebt in Mexiko-Stadt. Zuletzt erschien: „El testigo“, (Editorial Anagrama) 2004. Auf Deutsch: „Das Spiel der sieben Fehler“, München (DVA) 1997. © Le Monde diplomatique, Berlin