12.01.2007

Brief aus Ljubljana

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Brief aus Ljubljana

von Boris Cizej

Ich schreibe euch aus einem Umfeld, von dem ich sagen kann, dass es journalistisch uninteressant, geradezu langweilig ist. Die jugoslawischen Panzer und die weltweite Aufregung darüber sind längst Schnee von gestern und seither wird alles immer stabiler (Nato, EU, Euro, slowenische EU-Präsidentschaft 2008). Es geht immer weiter bergauf.

Und gute Nachrichten sind natürlich überhaupt keine Nachrichten. Diese Medienmaxime liefert mir schlicht und einfach die Rechtfertigung für eine Form des Schreibens, die mir – jedenfalls für diese Zeitung – sehr behagt. Also, keine Nachrichten, stattdessen Marginalien und dergleichen. Nicht einmal etwas über das Wetter, das ist hier nämlich genauso komisch warm (fantastisch!) wie bei euch.

Ich schreibe euch aus einem Umfeld, von dem sich auch sagen ließe, dass in ihm lauter Fragen brodeln. Als Kostprobe, zur schnellen Befriedigung der Neugier, hier eine solche Frage, die unlängst aufkam: Wie sehen wir Slowenen uns selbst, und wie seht ihr uns, zum Beispiel ihr Deutschen? Wie sieht das slowenische Selbstbild jetzt aus, in der Zeit der intensiven Annäherung an Europa, diesmal im Rahmen bereits etablierter institutioneller Bindungen? Was wissen wir über den kritischen Blick anderer auf uns, und sind wir bereit, uns damit auseinanderzusetzen?

Interessante Fragen. Dazu sei angemerkt: Wir Slowenen haben mit unserem Selbstbild spezifische Schwierigkeiten – wir mussten keine sowjetischen Erniedrigungen hinter dem Eisernen Vorhang erdulden. Wir haben in einem tragikomischen, aber relativ freien Experimentierstaat gelebt und in diesem alles andere als eine Nebenrolle gespielt. Wir waren der entwickelte Norden, das Musterländle. Wir haben es genossen, zu den Champions zu gehören. Wir haben die „sozialistische Selbstverwaltung“ erfunden. Wir haben auch als erste vernehmbar unser Streben nach Demokratie, unseren Drang nach Europa verlauten lassen. Im jugoslawischen Spiegel waren wir es gewohnt, unser Bild als das schönste zu sehen.

Der selbstständig gewordene, souveräne Slowene ist natürlich ein ganz anderer als der Slowene in der Knechtschaft des Totalitarismus und des Vielvölkerstaates. Heute ist er eigentlich bloß ein ganz gewöhnlicher Neueuropäer, der in den EU-Statistiken überdurchschnittlich gut abschneidet, ein Student im Erasmus-Programm. Allerdings nur theoretisch, er ist auch ein Chauffeur für polnische Wasserinstallateure. Das Bild im europäischen Spiegel ist – aber was rede ich da, ihr habt es ja vor Augen.

Eintopf (ein traditionelles slowenisches Wintergericht): Man nehme 150 g Trockenbohnen, ein Pfund saure Rüben, ein Pfund Kartoffeln, 2 Esslöffel gehackte Zwiebeln, 60 ml Öl, 2 Esslöffel Mehl, 1 Esslöffel saure Sahne, Salz, Pfeffer, gehackten Knoblauch, Lorbeerblätter, einen ausgelösten Knochen von luftgetrocknetem Schinken. Die Bohnen über Nacht einweichen. Dann kochen. Den Knochen separat kochen. Die Rüben in der Knochenbrühe weichkochen. Die Kartoffeln in Würfel schneiden, kochen und mit dem Kochwasser zu den Rüben geben. Die abgetropften Bohnen dazugeben. Gehackte Zwiebel und Mehl in Öl anbraten. Sobald die Zwiebel anfängt, braun zu werden, mit etwas Wasser ablöschen und fünf Minuten köcheln lassen. Zum Eintopf hinzugießen. Salzen und pfeffern, mit Lorbeerblättern und Knoblauch würzen, Sahne und den Schinkenknochen dazugeben. Durchrühren und fertig kochen. Am besten passt Schwarzbrot dazu.

Ich schreibe euch aus einem Umfeld, in dem alles Alte durcheinandergerührt ist und sich in der Verbindung mit dem Neuen überwiegend als eine Reihe hausgemachter Absonderlichkeiten darbietet. Um eine solche handelt es sich jedenfalls bei den regelmäßigen Auftritten des Außenministers als Autor von Beiträgen in unserer führenden Tageszeitung. Im Rahmen aktueller Medieneinschüchterung nutzt der Minister den Platz in der Zeitung eifrig für seine eigenartige Psychoanalyse der Nation – als ehemaliger Salondissident kann er das ganz gut. Der hiesige Außenminister ist nämlich ein (Ex-) Schriftsteller, dem die Worte glatt aus der Feder fließen – ein Kreuz ist es allerdings mit seinen Schlussfolgerungen. Getarnt als Sorge um das geistige Wohl von Volk und Staat, sind sie eine einigermaßen triviale Abrechnung mit politischen Gegnern. Darüber hinaus dienen sie der Unterhaltung der kritischen Öffentlichkeit, die dergestalt ihre „Freitagspredigt“ bekommt – wenn sie schon nicht in die Kirche geht. Jedenfalls ist es die literarischste Predigt über den aktuellen politischen Mikrokosmos, die bezeichnenderweise mehr über den Autor als über die „Lage der Nation“ verrät. Es lebe die Avantgarde!

Majoranragout (ein Hauptgericht): Man nehme 300 g Rindfleisch, 40 ml Öl, 4 Esslöffel Semmelbrösel, 1 Esslöffel Mehl, Salz, Pfeffer, 1 Esslöffel getrockneten Majoran, Rosmarin. Das Fleisch in etwa 2 bis 4 mm dünne Scheiben schneiden. Mit Majoran bestreuen und in Öl anbraten, bis der Fleischsaft verdunstet ist. Aus der Pfanne nehmen. Im gleichen Fett Semmelbrösel und Mehl anbraten. 10 ml Wasser hinzugießen. Wenn es aufkocht, das Fleisch in die Pfanne legen und wenden, Majoran hinzugeben und weichkochen. Zum Schluss salzen und pfeffern, eine Prise Rosmarin dazugeben. Dazu passt am besten angebratene Polenta. „Kochen ist“, so ein unbekannter Denker, „eine Mischung aus Eitelkeit und Güte.“

Slowenien ist in der europäischen Presse zuletzt als klaustrophobe Gesellschaft in Erscheinung getreten, die ihre Roma vertreibt und ihnen keinen Platz zum Leben gönnt. Warum auch sollte das typisch europäische Klima der Intoleranz und Abwehr von Andersartigkeit ausgerechnet in Slowenien nicht zu Hause sein? Von hier aus betrachtet war es, das kann ich sagen, noch viel schlimmer. Es gab leidenschaftliche Wortgefechte – mit dem Ergebnis, dass wieder mal nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Es ging schlicht darum, dass die Parteien, die an der Macht sind, zu Geiseln ihrer Wähler geworden sind. Die erforderliche Mehrheit haben sie nämlich vor zwei Jahren vor allem dadurch gewonnen, dass sie die im öffentlichen Bewusstsein kaum bedeutsamen „Südländer“, den Bau von Moscheen und, in gewissen regionalen Milieus, wohl auch die Problematik der Roma thematisiert haben. Wähler denken rational: Jetzt, da die „Unsrigen“ an der Macht sind, werden wir diese Probleme im Hauruckverfahren lösen. Da kommt man leicht auf den Gedanken, dass derartige Exzesse auch in Zukunft stattfinden werden und dass die machthabenden (rechten) Parteien arg in der Klemme stecken – wenn sie keine schweren Fehler machen, steht ihnen eine weitere Amtszeit ins Haus und ihre Wähler verstehen nicht, warum man sich neuerdings anders verhalten soll. Sie doch nicht. Sie begreifen nicht, wie ungeschickt es wäre, wenn Slowenien während der EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr durch bürgerwehrähnliche Patrouillen in Dörfern auffiele. Und sie werden das auch nicht so bald begreifen, da sie die politische Demagogie für bare Münze genommen haben. Wer Wind sät, wird Sturm ernten!

Hefestrudel (Estragonstrudel; eine gewöhnliche slowenische Süßspeise): Man nehme für den Teig 600 g Weißmehl, 40 g Zucker, 40 g Butter, 1 Esslöffel Koch-Rum, 15 ml Milch, 20 g Hefe; für die Füllung: 100 g Butter, 100 g Semmelbrösel, 120 g Zucker, 3 Eier, 2 Esslöffel Sahne; fein geschnittenen Estragon. Semmelbrösel in Butter rösten; wenn sie abgekühlt sind, mit Zucker, Eigelb, Sahne und steif geschlagenem Eiweiß verrühren. Den Hefeteig wie gewohnt ansetzen. Den aufgegangenen Teig ausrollen und mit der Füllung bestreichen, die Füllung gleichmäßig mit Estragon bestreuen, das Ganze zu einer festen Rolle formen und noch einmal gehen lassen. Den aufgegangenen Strudel backen wir eine gute Stunde. Zuerst bei 220, dann bei 180 Grad. Am besten passt dazu gute Laune, da es in der Regel eine Festspeise ist.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass wir Slowenen bald alle europäischen Standards einholen werden, zumindest die, denen wir hinterherjagen. Für einen minderjährigen Staat in der Pubertätsphase wird es umso schwerer, sich in die europäische Gesellschaft einzubringen, deshalb sind Selbstbild und Identität auch so wichtig. Ein Staat, der immer eine anonyme Provinz war, kann nicht über Nacht als europäischer Stern aufgehen, wenn er, versteht sich, nicht nur ein teures Sternchen sein will, das seine wahre Identität für einen kurzlebigen Erfolg preisgegeben hat.

Ich schreibe euch aus einem Umfeld, für das im Augenblick ein Zug charakteristisch ist, den ein (bekannter einheimischer) Dichter als „lethargischen Hedonismus“ bezeichnet hat. Die Erläuterung dieses Begriffs würde noch einen ganzen Artikel in Anspruch nehmen. Wir haben hier aber nur diesen einen – über „slo food“ eben.

Aus dem Slowenischen von Hans-Joachim Lanksch © Le Monde diplomatique, Berlin Boris Cizej ist Journalist und Redakteur der slowenischen Ausgabe von Le Monde diplomatique.

Le Monde diplomatique vom 12.01.2007, von Boris Cizej