Obama und Cheney
edito
Zeugten die Aussagen des Abgeordneten aus Illinois von mangelnder Weitsicht, als er im Oktober 2002 erklärte, eine Invasion im Irak würde „Öl ins Feuer des Nahen Ostens gießen, in der arabischen Welt die schlimmsten Strömungen stärken und al-Qaida Zulauf bescheren“? War der US-Vizepräsident vorausschauender, als er damals versprach, die amerikanische Armee würde „als Befreier begrüßt“ werden? Dennoch beschuldigt der damalige Vizepräsident Dick Cheney heute den damaligen Abgeordneten Barack Obama, sich im Irak wie ein Verräter und Dummkopf verhalten zu haben. Kaum ein Präsident der USA habe sich je so viel über so vieles auf Kosten so vieler getäuscht, schlussfolgerte Cheney mit einzigartiger Dreistigkeit.
Bisher verweigert Obama die Entsendung amerikanischer Bodentruppen, um die Dschihadisten zu bekämpfen, die einen Teil des Irak kontrollieren. Er hat jedoch angekündigt, der Regierung in Bagdad 300 „Militärberater“ zur Seite zu stellen. Gleichzeitig ließ er durchblicken, Ministerpräsident Nuri al-Maliki solle ausgetauscht werden. Vor fast sechzig Jahren schickten die USA schon einmal „Militärberater“ in ein autokratisches und korruptes Regime – nach Vietnam. Irgendwann waren sie enttäuscht ob der Undankbarkeit ihres Schützlings Ngo Dinh Diem und ließen ihn fallen (oder töten). Was dann kam, erklärt vielleicht die Zurückhaltung der US-Amerikaner, diesmal den Kriegsaufrufen zu folgen: militärische Eskalation, Ausweitung des Konflikts auf ganz Indochina, mehrere Millionen Tote.
Für die Bevölkerung der arabischen Welt ist die Bilanz der Interventionen der westlichen Mächte ebenfalls katastrophal. Diese sind knausrig, wenn sie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Tunesiens oder Ägyptens unterstützen könnten, indem sie ihnen zum Beispiel die Schulden erlassen. Sobald es jedoch darum geht, sich mit Verweis auf die großen humanitären Prinzipien auf den Feind des Tages zu stürzen, spielt das Geld keine Rolle mehr. Diese humanitären Prinzipien gelten allerdings nie für ihre eigenen Schützlinge in der Region, weder in Israel noch in Saudi-Arabien oder Katar, wo Zehntausende unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 schuften.
Am 13. Juni 2014 wies Präsident Obama dem von den USA zerstörten Land die Verantwortung für die Tragödie zu, die es nun durchlebt: „In den letzten zehn Jahren haben die amerikanischen Truppen große Opfer gebracht, um den Irakern die Chance zu geben, ihre eigene Zukunft zu gestalten.“ Mit dieser Verzerrung der Geschichte hat er die Neokonservativen ermutigt, für die jeder Rückzug Washingtons den Niedergang der USA und das weltweite Chaos beschleunigt.
Der Irakkrieg sei „gewonnen“ worden, bevor Obama das Weiße Haus betrat, erklärte der republikanische Senator John McCain wiederholt. Seiner Meinung nach lässt sich jede internationale Krise durch die Entsendung von Marines lösen. Am 15. März forderte er US-Truppen für die Ukraine; am 13. Mai eine Militärintervention in Nigeria.
2002 wollte Obama „kein Öl ins Feuer des Nahen Osten gießen“. Wird er sich in den kommenden Monaten ebenso scharfsinnig zeigen?
Serge Halimi